Lehren aus der MIS-Krise

25.11.1994

Dieter Eckbauer

Die Meldungen ueberschlagen sich, die Message bleibt die gleiche: das digitale Weltdorf ein Online-Paradies, in dem den Usern die Informationen wie gebratene Tauben in die Windows-weit geoeffneten Maeuler fliegen (MIS-Nachtigall, ick hoer dir trappsen!), in der Millionen Verbraucher laut "Spiegel" bereits der Faszination der kommerziellen Datennetze erlegen sind und Microsoft-Chef Bill Gates wie gedopt wirkt, wenn er von "unbegrenzten Moeglichkeiten fuer die PC-Industrie" spricht. Mit dem "Microsoft Network", das als "Marvel"-Erlkoenig durch die Fachpresse geisterte, strebt Gates die Vorherrschaft auch im Geschaeft mit Online-Diensten an - in einem Zukunftsmarkt, dessen Zukunft ungewiss ist.

Die Netzwerkeuphorie balanciert auf der Kippe zum Hoehenrausch, der den Sachverstand vernebelt. Dabei sollten die Anbieter von der MIS-Krise in der traditionellen Datenverarbeitung gelernt haben.

Als "Management Information System" wurde verkauft, was aufgrund seiner technischen Herkunft (Batch!) nichts weiter als ein Schuettelsieb fuer Abrechnungsdaten sein konnte. Die entscheidende Frage, was die Anwender wollen, blieb ungeklaert. Der Benutzer kam, wenn ueberhaupt, im Mainframe-orientierten Ereignisszenario allenfalls als Stoerfaktor vor.

Schlimmer noch: Wettbewerbsvorteile durch neue Informations- und Kommunikationstechniken wurden den Unternehmen vorenthalten, weil sich die DV-Verantwortlichen zu lange an Bewaehrtes klammerten, nicht den Mut zur Migrationsluecke aufbrachten. Das Ergebnis kennen wir: Die DV ist bei vielen Unternehmern und Topmanagern in Misskredit geraten, man trennt sich von Teilen, die als Ballast empfunden werden.

Spaet, hoffentlich nicht zu spaet, wurde auch von DV-internen Kritikern auf diese Entwicklung hingewiesen, die zwar einen an sich richtigen Ansatz enthaelt, der jedoch in die falsche Richtung fuehrt. Zur Fehlentwicklung in der Vergangenheit ein Zitat von Ulrich Nelte, Abteilungsleiter fuer Informationswirtschaft bei Krupp Mak in Kiel, aus der Jubilaeumsausgabe "20 Jahre COMPUTERWOCHE": "Welches Rationalisierungspotential verschenkt worden ist, laesst sich nur erahnen. DV als Medium fuer das Zusammenwirken der Menschen in der Organisation, als Mittel zum Ueberwinden von Hierarchien und zur Organisation voellig neuer, moderner und effektiver Prozesse, das duerfen wir nicht wieder vor uns herschieben."

Wir haben den Bezug zu Gates Global-Village-Visionen nicht aus den Augen verloren. Nur wenige Anwender unterliegen dem Zwang zur Online-Recherche. Was wollen die Benutzer? Wir koennen die Frage auch andersherum stellen: Was macht erfolgreiches Marketing des Produktes "Information" aus? Darauf sollte schnellstens eine Antwort gefunden werden. Noch muss sich niemand entschuldigen, wenn er dem Informationsangebot der Online-Service-Provider nicht viel abgewinnen kann. Andererseits sind die Neltes keine Einzelkaempfer mehr. Sie erwarten, dass sich die Branche auf das Problem der Info- Qualitaet konzentriert. Ist das zuviel verlangt?