COMPUTERWOCHE-Dialog

Legt ITIL dem Mittelstand wirklich Fesseln an?

17.07.2012
Von Thomas Schmitt

Ein Problem des Projekt-Managements

Der Autor des besagten COMPUTERWOCHE-Beitrags erweckt den Eindruck, ITIL schreibe vor, welche Prozesse wie und in welchem Umfang implementiert werden müssen. Und das bedinge besipielsweise Einführungszeiten von 18 Monaten für einen einzigen Prozess; konkret genannt wird das Asset and Configuration Management. Dieses Beispiel mag ja durchaus der Realität entnommen sein. Es zeigt jedoch eher die Folgen ungenügenden Projekt- Managements, unter Umständen auch mangelnder Erfahrung des Bereratungsunternehmens, als die Mängel von ITIL auf. ITIL bietet, wie schon erwähnt, alle Freiheiten, das zu nutzen, was passt, aber es schreibt nichts vor. Der Asset-and-Configuration-Management-Prozess lässt sich beispielssweise auch nur für Unix-Server einführen, also für kein einziges weiteres Configuration Item.

Ähnliches gilt für das von ITIL verwendete Rollenmodell. In der Tat wird dort eine astronomisch anmutende Anzahl von Rollen beschrieben. Aber die Rollen sind nicht gleichzusetzen mit organisatorischen Stellen. Man kann die Aufgaben eines "Service Desk Agent", der die eingehenden Benutzeranfragen bearbeitet, und die Rolle des "Incident Managers", der für deren vollständige Beantwortung sorgt, nicht einfach negieren, nur weil in der jeweilien IT-Organisation der beides von derselben Person erledigt ist - die dann eventuell auch noch für die Installationen am Mail-Server zuständig ist, also Changes implementiert, die sie möglicherweise sogar selbst bewilligt hat. ITIL beschreibt allgemein, was zu beachten ist, damit diese Aufgaben gut erledig5t wird. Wie das konkret umgesetzt ist, hängt von der jeweiligen Organisation ab.

Seit Jahren ist es meine zentrale Aufgabe, ITIL im Schweizer Mittelstand zu implementieren. Unternehmen mit IT-Organisationen von weniger als 20 Mitarbeitern sind hier keine Seltenheit. Gibt es in diesen Organisationen etwa keine Incidents? Identifizieren die Verantwortlichen keine Probleme, die nachhaltig beseitigt werden müssen? Ist das Inventar unwichtig? Ändern sich die IT-Services und die Infrastruktur nie? Braucht diese IT Organisation keine IT-(Service)Strategie, kein Service Portfolio? Schickt man dort alle Mitarbeiter nach Hause, wenn die IT-Systeme nicht verfügbar sind? Und werden die Verträge mit Lieferanten einfach abgelegt, ohne die Bedingungen zu prüfen sowie deren Einhaltung zu überwachen?

Natürlich nicht. Die Themen in der ITIL-Methodik sind ja auch deshalb in den Büchern beschrieben, weil sie für die meisten IT-Organisationen wichtig sind. Aber jede Organisation muss ITIL auf das Maß beschränken, das sie benötigt. Das kann, darf und muss sie machen. ITIL hat den Mittelstand also nicht vergessen. Tatsächlich nutzen immer mehr mittelständische Unternehmen die Inhalte aus ITIL sowie die Prozesse, Rollenbeschreibungen und Prozessabläufe, Vorschläge für Servicekataloge etc. (qua)