DV-Weiterbildung für Lehrer öffentlicher Schulen in Nordrhein-Westfalen:

"Learning by doing" statt Kreide-Unterricht

06.07.1979

Verfolgt man die junge, aktuelle Entwicklung der Aus- und Weiterbildung im Bereich Datenverarbeitung und Informationsverarbeitung, so ist sie geprägt von der Aussage eines expansiven, innovativen Marktes, eines entsprechenden Bedarfes an Fachkräften und eines Engpasses in der Schulung. Der Schwerpunkt jeglicher Schulung lag und liegt bis in die Gegenwart hinein bei den Herstellern von Datenverarbeitungsanlagen, die allein schon aus Gründen der Selbsterhaltung Weiterbildungsmaßnahmen organisierten und DV-Schulen einrichteten. Der Intelligenzverstärker Computer ist nur dann ein taugliches Instrument und er kann nur dann die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen, wenn er sachgemäß bedient wird.

Mit der Erfahrung, daß die Datenverarbeitung als "Schlüsseltechnologie" auf nahezu alle Lebensbereiche große Ausstrahlungskraft ausübt und daß inzwischen viele Menschen dieser Technologie beziehungsweise ihrer Anwendung ihre Existenz verdanken, hat zu der Forderung geführt, Informatik beziehungsweise Organisationslehre/Datenverarbeitung als ordentliches Lehrfach in den

Weiterbildung aus Gründen der Selbsterhaltung

Schulen einzuführen. Anfang der 70er Jahre tauchte in Realschulen und Gymnasien das Fach Informatik in Arbeitsgemeinschaften auf. Dies ermöglichte beispielsweise, Datenverarbeitung zum Gegenstand von Abiturprüfungen zu machen. Das Interesse seitens der Schüler ist ständig steigend, zumal in jüngster Zeit Schulen immer mehr vom Kreide-Unterricht abgehen können und Kleincomputer "learning by doing" ermöglichen.

"Learning by doing" ist seit jeher Grundbedingung einer Ausbildung im dualen System zwischen Betrieb und Schule. Es ist deshalb zwangsläufig, daß von hier aus, gewissermaßen von den Sachzwängen des beruflichen Alltags entscheidende Impulse zur einer Ausbund Fortbildung in der Datenverarbeitung ausgingen. Dies geschah Anfang der 70er Jahre in der Berufsschule als auch in sogenannten Fachschulen, Fachrichtung EDV. Der entscheidende Impuls ging von entsprechenden Verordnungen des Bundes aus (vergleiche Bundesgesetzblatt 10. 5. 73). Sie brachten beispielsweise für Softwareberufe wie Bankkaufmann, Industriekaufmann, Versicherungskaufmann und Groß- und Außenhandelskaufmann einen durch Kammerprüfung nachzuweisenden Sachzwang, entsprechende Grundkenntnisse in der automatisierten Datenverarbeitung zu erwerben.

Mit den geschilderten gesetzlichen Maßnahmen, die in ihrer Exemplifizierung andere Berufsbilder der Hardware (Informationselektroniker) sowie Fortbildungs- und berufliche Vollzeitschulen nicht einmal betreffen (EDV-Fachschulen, Technikerschulen, Handelsschulen) hat die Datenverarbeitung breiten Eingang in das Schulwesen gefunden. Nach Kammerstatistik bilden beispielsweise allein für die oben genannten vier Berufsbilder bundesweit fast 34 000 Betriebe aus.

Neue Anforderungen des Gesetzgebers an die Betriebe stellten im dualen System aber auch neue Anforderungen an die beruflichen Schulen. Wer sollte den Unterricht erteilen und wie sollte welches Wissen vermittelt werden? Damit stellt sich die entscheidende Frage nach der Aus- und Weiterbildung von Lehrern: Die neue Lehrergeneration bringt Kenntnisse der Datenverarbeitung aus dem Studium mit. Dabei gibt es drei Fachrichtungen, und zwar die von der Mathematik herkommende Informatik, die von der Betriebswirtschaftslehre herkommende Organisationslehre und die Elektronik, die hardware-orientiert ist. Den Unterrichtsfeldern entsprechend dürften die Absolventen analog dem allgemeinbildenden Schulwesen, den kaufmännischen oder den gewerblich-technischen Schulen zuzuordnen sein.

Mit der Ausbildung der neuen Lehrergeneration ist die gewiß große Aufgabe eines modernen EDV-Unterrichtes allein nicht zu lösen. Zunächst ist die Zahl der entsprechenden Studienabschlüsse zu

147 000 Lehrer warten auf ihre Fortbildung

gering und zum anderen spielt der qualitative Aspekt eine entscheidende Rolle. Wer kann - wie dies bei den Praktikern auch geschehen mußte - interessierte Lehrer "umschulen" und wer sorgt dafür, daß Fachlehrer ihr Wissen zukünftig in einem so innovativen Bereich wie der Datenverarbeitung dem aktuellen Wissen anpassen können? Ansprechpartner hierzu sind die Fortbildungseinrichtungen in den verschiedenen Bundesländern, wie beispielsweise in Dillingen (Bayern), Rinteln (Niedersachsen) und Düsseldorf/Neuss (Nordrhein-Westfalen).

Das Lehrerfortbildungs-System in Nordrhein-Westfalen mag als besonders zukunftsweisend gelten, weil es mit einer Art "Schneeballsystem" völlig neue Wege geht. Mit einem Lehrerausbildungsgesetz (1974) soll erreicht werden, daß nach einem zentralen Einstieg für "Multiplikatoren" durch das Landesinstitut (für Curriculumentwicklung, Lehrerfortbildung und Weiterbildung, Neuss) Fachwissen über fünf regionale Gesamtseminare weitergegeben wird

"Die neue Lehrergeneration bringt DV-Kenntnisse aus dem Studium mit."

und schließlich einmünden kann in örtliche Maßnahmen. Nur mit dieser organisatorischen Maßnahme kann Lehrerfortbildung ständig und aktuell - was besonders für die Datenverarbeitung zutrifft - wirken. Lehrerfortbildung als "lifelong learning" in der 3. Phase der Lehrerbildung "ist bedingt durch rasche Fortschritte der Wissenschaft, durch das Hervortreten neuer fachübergreifender Disziplinen, in der Basis aber durch schnelle Veränderungen der Struktur der modernen Industriegesellschaft" (Landesinstitut NW, 2/79). In diesem Sinne wird die Datenverarbeitung besondere Berücksichtigung finden: In der zweiten Hälfte 1979 stehen "Moderne Aspekte der Organisationslehre/Datenverarbeitung" für Multiplikatoren auf dem Programm. Logik der Programmierung, verschiedene Programmiersprachen und Unternehmensplanspiele werden folgen. Nicht, daß es so etwas hier oder in anderen Bundesländern nicht schon gegeben haben könnte. Nur: Das geplante mehrstufige "Schneeballsystem" ist die einzige Möglichkeit, flächenhaft zu wirken. Allein in Nordrhein-Westfalen warten 147 000 Lehrer auf ihre Fortbildung, wozu in erster Linie auch die Datenverarbeitung gehört.