Problem 2000/Freundliche Gespräche, schriftliche Mahnungen, Kontrollen

Langsam wächst der Druck der Hersteller auf ihre Zulieferer

31.10.1997

Ein Horrorszenario ist schnell gestrickt. Ein Automobilproduzent hat sich auf das Jahr 2000 gut vorbereitet. Nur bei einem Lieferanten ruhen die Maschinen nach einem Computerausfall aufgrund zweier Nullen. Im zeitgenau abgestimmten Logistikgeflecht steht zur Jahrtausendwende der Hersteller ohne Zulieferteile und ohne Lagerbestände da. Denn diese wurden durch die Just-in-time-Produktion und In-line-se- quence-Lieferungen konsequent abgebaut.

Was unternehmen Firmen, damit sie nicht durch die Fehler der Lieferanten zur Jahrtausendwende böse Überraschungen erleben?

Bei der Deutschen Telekom AG (DTAG) gibt sich die Pressestelle zugeknöpft. "Wir machen uns Gedanken zu diesem Thema." Auf eine Abstimmung mit den Zulieferern angesprochen heißt es, die müßten "sicher auch" umstellen. Von außen kommende Daten und Software würden gecheckt. Und auf eine Nachfrage zum Prozedere : "Wie wir das machen, muß ich jetzt nicht auspacken."

Ebenso wenig mitteilsam gibt sich Bosch, einer der großen Zulieferer der Automobilindustrie. "Die Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Kunden hat einen hohen Grad an Vertraulichkeit", heißt es sinngemäß aus der Pressestelle. Angesichts der "Kürze der Zeit" sei keine genauere Auskunft möglich.

Auch BMW will derzeit zur Zuliefererproblematik nichts sagen. Dabei beschäftigt sich in München eine Projektgruppe schon seit April 1996 mit der Umstellung der DV-Systeme, bis Ende 1998 sollen die zentralen Programme umgestellt sein. Und auch beim Konkurrenten Opel, beim Chemiekonzern Henkel oder bei der Kölner Kaufhof-Zentrale kein Kommentar.

Andere Unternehmen fangen gerade an, sich mit den Zulieferern zu beschäftigen. So arbeiten bei der Audi AG mehrere Projektgruppen am Problem 2000. "Wir haben aber den Umstellungsprozeß noch nicht abgeschlossen", erläutert Ute Röding-Lange aus der Ingolstädter Pressestelle. Speziell zu den Themen Einkaufssystem und Materialfeindisposition will sich der Automobilhersteller in nächster Zeit mit den Zulieferern zusammensetzen. "Da werden dann auch Fragen diskutiert, wie Ausfälle bei Zulieferern durch fehlende Jahr-2000-Kompatibilität zu verhindern sind", erläutert die Sprecherin.

Auch die Deutsche Bahn (DB) hat zum Problem eine Projektgruppe eingerichtet. "Wir sehen die Probleme mit den Zulieferern allerdings nicht ganz so dramatisch wie mit unseren Kunden", erklärt Christine Geißler-Schild, stellvertretende DB-Unternehmenssprecherin.

Der Grund sei, daß die Zulieferer als Geschäftspartner ein eigenes Interesse hätten, die Probleme zufriedenstellend zu lösen. Alle eventuell bei ihnen auftretenden "Schwachpunkte", so Geißler-Schild, würden von der Projektgruppe untersucht und ein Lösungsvorschlag ausgearbeitet. Was nicht heißen muß, daß alle Probleme analysiert, geschweige denn gelöst sind. Insider kolportieren denn auch, daß die Projektgruppe gerade erst gegründet wurde.

Zu viele Lieferanten, um alle zu überprüfen

Im Gegensatz dazu befaßte sich das Handelsunternehmen Karstadt intensiv mit dem Thema. Es nahm alle Softwarelieferanten unter die Lupe. Heinz-Günter Peters, Bereichsleiter für die Informationswirtschaft, erläutert: "Wir haben alle Softwarelieferanten angeschrieben. Entweder bestätigten sie, daß die Umstellung bereits gelaufen sei, oder aber sie legten einen Umstellungszeitplan vor." Allerdings hat Karstadt die Herstellerangaben geprüft und zumindest in einem Fall einen "dicken Fehler" entdeckt.

Was die anderen Zulieferer angeht, erläutert Peters: "Eine Zusammenarbeit und Koordinierung mit allen Zulieferern geht allein von der Zahl her nicht. Karstadt operiert mit fast 30 000 Lieferanten." Warenausfälle durch eine eventuelle fehlerhafte Umstellung der Datenverarbeitung bei Zulieferern würden Karstadt nicht so treffen, wie die Just-in- time-Produktion in der Industrie, ist sich Peters sicher.

Die gefährdete Brücke hat den Namen EDI

Der Konzern besitzt über Zentralläger einen Puffer, der einige Tage Produktionsausfall einzelner Zulieferer problemlos überbrücken hilft. Danach wird es ernst: "Letzten Endes sehe ich keine große Gefahr durch mangelnde Umstellung im Bereich der Lieferanten unseres Unternehmens", erklärt Peters.

Doch so optimistisch wie er sind nicht alle Fachleute im Handel. Es mehren sich Befürchtungen, daß viele Lieferanten das Problem nicht als relevant ansehen und deswegen überhaupt nicht umstellen. Die Folgen seien nicht abzusehen.

Daß Frank Sempert eher zu den Skeptikern gehört, was die reibungslose Umstellung deutscher Unternehmen auf die Jahrtausendwende angeht, überrascht nicht. Er ist Sprecher der "Initiative 2000", einem Zusammenschluß 13 führender Softwarehäuser, der über das Problem des drohenden Daten-Crash aufklären will.

"Wir haben hierzulande zu spät angefangen", behauptet er knapp. Electronic Data Interchange (EDI) gehöre zu den größten Problemen, wenn auch "die wichtigen Programme sicherlich laufen werden". Sempert befürchtet einen Schneeballeffekt, "wenn der ganze Datenverkehr ins Stocken gerät".

Er empfiehlt den Unternehmen, konsequent vorzugehen. "Sie sollten sich erstens von den Lieferanten bestätigen lassen, wie und in welchem Umfang sie sich mit dem Problem befassen. Konkrete Pläne und ein verbindlicher Zeitplan müssen vorliegen." Grundsätzlich sollten Betriebe durchaus erwägen, Firmen, die sich dazu nicht bereit erklärten, von der Zuliefererliste zu streichen. Diese drastische Maßnahme könnte notwendig werden, um die Sicherheit des Unternehmens zu gewährleisten.

Zweitens ist für Sempert "bei EDI-Systemen der Einbau einer Firewall unumgänglich". Nur so ließe sich ein Import falscher Datumsangaben analog zu Viren vermeiden. An dem Kommunikationsstandandard sollte der Arbeitskreis "Elektronischer Geschäftsverkehr" des Verbands der Automobilindustrie (VDA) ein reges Interesse haben. "Wir sind an dem Thema dran", heißt es aus Frankfurt, entschieden sei allerdings noch nichts.

In der IT-Branche ist der Papierkrieg schon ausgebrochen. Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG (SNI), Mitglied der Initiative 2000, zieht das Programm mit seinen Zulieferern bereits durch. "Wir haben jeden Zulieferer angeschrieben und uns bestätigen lassen, daß die 2000-konforme Umstellung innnerhalb eines bestimmten Zeitraums abgewickelt ist", schildert Hans-Gerhard Kruse, Leiter des SNI-Headquarters "Jahr 2000" im Bereich Öffentliche Auftraggeber, knapp das Vorgehen. "Wer dieses Schreiben nicht unterzeichnet, gehört nicht mehr zu unseren Lieferanten."

Amerikanische IT-Konzerne setzten ebenfalls auf die Schriftform. So will Hewlett-Packard die Liefersicherheit der Zulieferer durch ein abgestuftes Modell erreichen. "Zuerst schreiben wir unsere Geschäftspartner an mit der Bitte, uns innerhalb eines Monats die Kompatibilität der Produkte und der Produktion des Unternehmens für das Jahr 2000 zu bestätigen", erläutert Günter Krause, Einkaufsleiter der Böblinger Instruments und Semiconductor Test Division, den ersten Schritt.

Erhält HP eine solche Okay-Erklärung nicht, will das Unternehmen wissen, wie und mit welchem Zeithorizont die Zulieferer umzustellen gedenken. "Die weiteren Anfragen erfolgen zunächst schriftlich, wenn es nötig sein sollte, suchen wir auch das persönliche Gespräch", so Krause.

Der Einkaufsleiter hält nichts von der Methode, Lieferanten, die ein gewisses verpflichtendes Papier nicht unterschreiben mögen, gleich das Geschäftsverhältnis aufzukündigen. "So etwas steht bei uns nicht auf der Tagesordnung und wäre die allerletzte Notbremse, wenn es für HP gar nicht anders geht, die Liefersicherheit aufrechtzuerhalten." Er sei vielmehr zuversichtlich, "denn unsere Geschäftspartner haben auch ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran, pünktlich und korrekt umzustellen".

Auch Motorola sichert sich schriftlich ab. Hannes Drescher, Business Manager von Motorola Halbleiter in München, erläutert: "Wir lassen uns bestätigen, ob von Lieferantenseite das Problem bereits gelöst beziehungsweise welche Schritte eingeleitet wurden, um die Umstellung zu realisieren, und wie der Fahrplan dafür aussieht."

IBM setzt auf die Papierform, arbeitet aber zugleich daran, die Geschäftspartner für das Problem zu sensibilisieren. David McMillan, für die Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika (EMEA) zuständiger Manager Procurement Strategy & Operations bei der Europazentrale in Paris: "Weltweite Zulieferer informieren wir auf Seminaren, wir erklären ihnen, was getan werden muß. Und wir versuchen sie aufzuklären, in welche Richtung sie denken sollten, wenn sie sich mit der Vorbereitung auf das Jahr 2000 beschäftigen."

Big Blue verfolgt diesen globalen Ansatz auch mit lokalen Zulieferern, die nur eine IBM-Niederlassung beliefern. Die Kampagne hat im Frühjahr 1997 begonnen. "Natürlich erwarten wir nach einer gewissen Zeit eine Garantie, daß Produkte wie Software kompatibel für das Jahr 2000 sind", fügt McMillan hinzu.

Bei Vobis ist das Thema Jahreszahlenumstellung seit 1996 auf der Tagesordnung. Schließlich fließen zwischen Zulieferern und dem Distributor aus Würselen bei Aachen beträchtliche Online-Datenströme. Heribert Kraus, verantwortlich für den Bereich Organisation und Sonderprojekte: "Als wichtiges Thema steht für das kommende Jahr die Lieferfähigkeit der Zulieferer auf dem Programm. Eine unterlassene oder fehlerhafte Datumsumstellung mit der Folge des Produktionsausfalls bei einem unserer wichtigen Lieferanten könnte in der Tat zu einem Problem führen."

Zertifizierte Qualität der Software beruhigt

Joachim Gut, Geschäftsführer für den Bereich Einkauf/Technik beim Tochterunternehmen Maxdata, sieht das Jahr 2000 trotzdem gelassen auf sich zukommen. "Durch unser Qualitäts-Management haben wir die Angelegenheit im Griff", erklärt er zuversichtlich. "Bevor ein Zulieferer für uns fertigt, auditieren unsere Ingenieure oder auswärtige Zertifizierer den Fertigungsprozeß von A bis Z." Und wie sieht es mit der nötigen Datenverarbeitung aus? Die korrekte Umstellung der Fertigungsanlagen der Lieferanten in puncto Problem 2000 sei Bestandteil dieses Qualitätssicherungssystems, ergänzt Gut.

Daß bei Zulieferbetrieben die Software auch in der Produktion zu auditieren ist, darüber redet außer Gut keiner offen. Dabei bieten unterschriebene Erklärungen keinerlei Sicherheit vor einem eventuellen Datendesaster. Sie klären lediglich die Haftungsfrage. Aber ein Betrieb, der fehlerhaft umstellt, wird dieses "Year-2000-Compliance"-Papier nicht nur bei einem Kunden unterschrieben haben. Was im Ernstfall finanziell zu holen wäre, dahinter setzen Branchenkenner ein großes Fragezeichen.

Angeklickt

Alle Anstrengungen eines Unternehmens, von zwei- auf vierstellige Jahreszahlen umzustellen, wären vergeblich, wenn ein Geschäftspartner, der seiner DV weniger Aufmerksamkeit gewidmet hat, keine Zulieferteile herstellen kann. Die Bänder stünden trotzdem still. Es ist daher nur zu verständlich, daß große und zugleich abhängige Hersteller entsprechende Aktionen in ihrem Umfeld einleiten. Wie sich Unternehmen im einzelnen absichern, kann sehr unterschiedlich sein. Ergebnisse dazu förderte eine von der "COMPUTERWOCHE" in Auftrag gegebene Umfrage zutage.

*Stephan Eder ist freier Journalist in Bonn.