Internetworking mit Frame Relay

LAN-LAN-Kopplung in Echtzeit und in ATM-Breitbandnetzen

15.03.1996

Internetworking muss sich auf offene Standards stuetzen, schliesslich sollen die unterschiedlichsten Geraete und Anwendungen zusammenarbeiten. Die Anwender haben so die Auswahl zwischen verschiedenen Verfahren und koennen das jeweils fuer ihre Anforderungen am besten geeignete Equipment samt Software einsetzen. Wenn sich die Anforderungen aendern, bleiben dadurch die vorhandenen Einrichtungen weiterhin verwendbar.

Im Falle einer ueberregionalen Vernetzung gibt es, vereinfacht ausgedrueckt, zwei Kategorien von Anforderungen: zeitkritische Anwendungen und solche, die darauf warten koennen, bis eine Verbindung aufgebaut ist. Den ersten Typ bildeten anfangs vor allem Terminalanwendungen auf Grossrechnern. Die Benutzer meldeten sich einmal am Tag an, und dann blieb die Verbindung in der Regel so lange bestehen, wie die entsprechende Applikation benoetigt wurde. Dabei waren die uebertragenen Datenmengen gering, da lediglich Befehle und Bildschirmdaten ausgetauscht wurden.

Wenn groessere Dateien uebertragen werden muessen, lohnt sich der Aufbau einer zusaetzlichen Verbindung, denn andernfalls waere der Terminalzugriff fuer die Dauer der Datenuebertragung blockiert. Terminalanwendungen kontrollieren naemlich regelmaessig, ob die Verbindung noch besteht, und erwarten daher in gewissen Abstaenden ein "Lebenszeichen" von den angeschlossenen Teilnehmern. Diese Rueckmeldungen haetten aber auf einer Festverbindung, die mit der Datenuebertragung beschaeftigt ist, keine Chance, durchzukommen.

Diese Grundtypen von Internetworking-Anwendungen existieren auch heute noch. Allerdings sind die Datenmengen, die zwischen LANs bewegt werden, wesentlich groesser als bei Terminalanwendungen. Wie diese benoetigen sie aber regelmaessige Bestaetigungen, dass die Verbindung noch besteht. Auch bei den Anwendern werden Zweifel aufkommen, dass ihre Anforderung bearbeitet wird, wenn der Computer laengere Zeit keine Reaktion zeigt.

ISDN hat diesen Grundtypen eine neue Variante hinzugefuegt. Im Gegensatz zu Modemverbindungen, deren Aufbau etliche Sekunden in Anspruch nimmt, kommt eine ISDN-Verbindung meist in weniger als einer Sekunde zustande. Fuer sporadische Fernzugriffe lohnt es sich daher, die Verbindung jeweils nach Bedarf auf- und abzubauen.

Aus Sicht der beteiligten Netze bleibt die Verbindung allerdings logisch bestehen, die erwarteten Lebenszeichen werden jeweils vor Ort nachgebildet und gaukeln, wenn man so will, den jeweiligen Anwendungen die Existenz des Kommunikationspartners vor.

Andererseits sind LAN-Verbindungen wiederum nicht so anspruchsvoll, dass sie tatsaechlich Reaktionen in Echtzeit verlangen - ein paar Millisekunden Verzoegerung duerfen es schon sein. Fuer derartige Anwendungen wurden Paketvermittlungsdienste wie X.25 entwickelt. Sie teilen eine physikalische Verbindung in mehrere logische auf und nutzen dadurch die vorhandene Leitungskapazitaet besser aus. Da X.25 aber in der Terminalaera entwickelt wurde, ist es auch fuer die dort ueblichen Geschwindigkeitsbereiche ausgelegt, die sich im Normalfall im Bereich von 9,6 Kbit/s bewegen. Fuer die Megabit-gewohnten LAN- Verbindungen ist dies jedoch indiskutabel und stellt allenfalls eine Notloesung dar.

Als das X.25-Protokoll entstand, wurde der TK-Verkehr noch ueber analoge Vermittlungsstellen abgewickelt. Die analoge Uebertragung ist von Stoerungen auf den Leitungen wesentlich staerker betroffen als die heute uebliche digitale Technik. Daher enthaelt X.25 umfangreiche Verfahrensmuster zur Fehlererkennung beziehungsweise -beseitigung. Die auf dieser Basis laufenden Anwendungen koennen sich also weitgehend darauf verlassen, korrekte Daten zu erhalten - und sie erwarten dies auch. Seither ist jedoch die Leitungsqualitaet, zumindest in modernen Netzen, wesentlich besser geworden.

Diesem Umstand wurde auch bei der Entwicklung neuer Verfahren wie Frame Relay Rechnung getragen. Frame Relay geht daher sparsamer mit Fehlerkorrekturmassnahmen um, was wiederum wesentlich hoehere Uebertragungsgeschwindigkeiten ermoeglicht. Die Erkennung und Behebung der gelegentlich doch auftretenden Fehler ueberlaesst Frame Relay daher im Prinzip den Anwendungen.

Die wichtigsten Eckdaten von Frame Relay sind zwar standardisiert, doch diese Normen enthalten auch Wahlmoeglichkeiten. Wenn Hersteller in unterschiedlicher Weise von diesen Freiheiten Gebrauch machen, entstehen dabei unter Umstaenden Produkte und Loesungen, die trotz eines einheitlichen Standards nicht kompatibel sind. Aus diesem Grund haben sich mehr als hundert Hersteller im sogenannten Frame-Relay-Forum organisiert, das eine intensivere Abstimmung bezueglich der Auslegung der Standards gewaehrleisten soll. Zu den bedeutendsten Vereinbarungen, die seither geschlossen wurden, gehoert die Schnittstelle zur Kopplung von Frame-Relay- Netzen, NNI (Network-to-Network Interface). Sie stellt sicher, dass sich diverse oeffentliche Frame-Relay-Netze ebenso miteinander verbinden lassen, wie private Frame-Relay-Netze eine Verbindung zu oeffentlichen Netzen aufnehmen koennen.

Frame Relay gilt unter Insidern als Uebertragungstechnik, die hohe Geschwindigkeit und geringe Verzoegerung der Leitungsvermittlung mit den Vorzuegen der X.25-Paketvermittlungstechnik verbindet. Im Gegensatz zu X.25 ist Frame Relay aber auf der Ebene 2 im OSI- Referenzmodell angesiedelt. Das Verfahren teilt mehreren gemeinsamen Nutzern eines Anschlusses dynamisch Bandbreite zu, so dass auch kurzzeitige Lastspitzen zu bewaeltigen sind. Dadurch eignet sich Frame Relay vor allem auch fuer Uebertragungen mit stark schwankenden Datenmengen (meist im Bereich zwischen 9,6 Kbit/s und 45 Mbit/s), dem sogenannten "Bursty Traffic" also, wie er in LANs typisch ist.

Frame Relay bedient sich dazu des statistischen Multiplexing. Anwender beziehungsweise Betreiber grosser Firmennetze koennen auf diese Weise die Auslastung ihrer Netze verbessern. So lassen sich beispielsweise 40 bis 60 Prozent der Kosten einsparen, wenn herkoemmliche Festverbindungsnetze durch Frame-Relay-Leitungen ersetzt werden. Dieses Einsparungspotential ist letztlich auch der entscheidende Vorteil von Frame Relay gegenueber den herkoemmlichen Festverbindungen, muessen diese doch in der Regel immer fuer den Spitzenbedarf konzipiert werden. Die Konsequenz: Da sie im Durchschnitt nicht einmal zu einem Fuenftel ausgelastet sind, wird teure Uebertragungskapazitaet die meiste Zeit nutzlos vorgehalten.

Dennoch gibt es Anwendungen, die vorerst auf die Eigenschaften der Leitungsvermittlung angewiesen sind. In den meisten Faellen handelt es sich dabei um Applikationen, die durch ein konstantes Datenaufkommen (Constant Bit Rate = CBR) gekennzeichnet sind und keine nennenswerten Verzoegerungen zulassen. Mit geeignetem Equipment koennen hier aber leitungsvermittelte Dienste und Frame Relay im gleichen Netz betrieben werden - was dazu fuehrt, dass sich die vorhandene Technik weiter verwenden laesst, waehrend gleichzeitig aber das Netz effizienter betrieben wird, weil fuer Anwendungen mit schwankendem Datenaufkommen (Variable Bit Rate = VBR) nicht unnoetig Bandbreite vorgehalten werden muss.

So genuegt bei entsprechenden Internetworking-Komponenten und Vermittlungsrechnern (beispielsweise beim "3600/3645 Mainstreet" von Newbridge Networks) schon das Einsetzen einer Frame-Relay- Karte, um ihn fuer selbiges Uebertragungsverfahren tauglich zu machen. Und, wenn die Geraete entsprechend konzipiert sind, ist Frame Relay auch nach "oben" offen: es kann die Zukunftstechnik ATM als Hochgeschwindigkeits-Backbone in Multiservice-Netzen nutzen.

Eine, wenn man so will, reibungslose Nahtstelle zu ATM ist sowieso ein aeusserst wichtiges Thema beim Einsatz von Frame Relay. ATM kann naemlich als Hochgeschwindigkeits-Trunk-Verbindung fuer Frame Relay dienen. Auf diese Weise ist es moeglich, dass Anwendungen, die im Idealfall ueber Frame Relay transportiert werden, auch mit Anwendungen kommunizieren, fuer die ATM das geeignetste Transportverfahren ist. Die Integration mit ATM kann dabei bei den Netzen und bei den Services stattfinden.

Netz-Interworking nennt man beispielsweise das Verfahren, mit dem sich Frame-Relay-Frames durch ATM-Verbindungen tunneln lassen. Dabei werden die Frames zerlegt und in ATM-Zellen eingekapselt. Auf diese Art verpackt, lassen sich die Frames durch ein ATM-Netz transportieren.

Beim sogenannten Service-Interworking werden hingegen die wesentlichen Merkmale von Frame Relay in entsprechende ATM- Charakteristiken ueberfuehrt. So verbindet die Interworking-Funktion fuer Frame-Relay-Dienste auf ATM die Permanent Virtual Circuits (PVC) der Frame-Relay-Zugangsleitungen mit Hilfe einer gewoehnlichen ATM-Strecke.

Von Frame Relay zu ATM und wieder zurueck

Frames aus einem Frame-Relay-Netz werden in folgenden Schritten in ATM-Zellen ueberfuehrt:

-Der Frame wird gemaess den Core procedures Q.922 verarbeitet,

-der nach Q.922 verarbeitete Frame wird ohne Flags und Frame Check Sequence (FCS) in einen Frame gemaess ATM Adaptation Layer 5 (AAL5) Frame Relay Service Specific Convergence Sublayer eingepackt,

-dieser AAL5-FR-SSCS-Frame wird dann seinerseits in einen AAL5- CPCS-Frame verpackt und

-der AAL5-CPCS-Frame kann in ATM-Zellen zerteilt und ueber das ATM- Netz verschickt werden.

Nach der Ablieferung am Ziel werden die Core-Frames wieder entsprechend Q.922 zusammengesetzt, indem sie nach ATM und AAL5 verarbeitet werden.

Kurz & buendig

Switching kontra Routing - ein "Streit", der seit geraumer Zeit die Internetworking-Gemeinde spaltet. Beide Techniken ergaenzen sich, ist hingegen die Meinung von 3Com-Spezialist Chuck Semeria. Ihre Kombination ermoeglicht ihm zufolge vielmehr das Wachstum von Netzwerken weit ueber den Umfang hinaus, der durch eine dieser Techniken alleine erreichbar waere. Switching stellt demnach eine preisguenstige Variante dar, um den akuten Mangel an Bandbreite zu beheben. Routing dagegen verfuegt ueber Features wie "Broadcast"- Kontrolle, Redundanz, Protokoll-Verwaltung und WAN-Zugriff.

*Christian Sauer ist Geschaeftsfuehrer der Newbridge Networks GmbH in Muenchen.