Produktpalette von Novell, 3Com, Banyan und IBM im unmittelbaren Vergleich

LAN-Betriebssysteme: Kaum noch Unterschiede

10.04.1987

Der Markt für LAN-Betriebssysteme im PC-Bereich hat sich nach anfänglicher Unübersichtlichkeit beruhigt: Neben der IBM geben heute 3Com, Novell und Banyan den Ton an. Helmut Holighaus* gibt einen Überblick und stellt fest, daß sich die Systeme inzwischen fast wie ein Ei dem anderen gleichen.

Von der Vielzahl der Betriebssysteme für lokale Netze sind nur einige wenige geblieben. Auch hier bestimmt IBM den Standard, dem alle Hersteller, die bestehen wollen, folgen müssen. Die technischen Leckerbissen der einzelnen Lösungen machen den großen Unterschied aus.

Als vor etwa drei Jahren mehr als fünfzehn Netzwerkhersteller auch zu ihren Netzwerkkarten jeweils ein eigenes Betriebssystem anboten, mußten die gepeinigten Softwarehäuser zu ihren netzwerkfähigen Anwenderpaketen auch jeweils das zu benutzende Netzwerk nennen. Erst jetzt haben sich einige wenige Netzwerkbetriebssysteme als Standard herauskristallisiert. Die Systeme werden sich allerdings immer ähnlicher, Unterschiede erkennt fast nur noch der Fachmann.

Nach Meinung der Anwender, der Softwarehäuser und der gesamten Netzwerk-Welt ist das Konzept der kreuz und quer möglichen File-Zugriffe bei Microsofts PC DOS 3.1 nicht der ideale Weg, denn alle anderen verfolgen den Weg der zentralen Dateien, aber trotzdem haben alle als Standard-Netzwerkoberfläche die PC-LAN- und Netbios-Befehle übernommen. Neben Microsoft, dem Haus- und Hoflieferanten von Betriebssystemen für IBMs PC-Linie, bestimmen die LAN-Szene die Hersteller Novell, 3Com und Banyan.

Die historisch bedingten unterschiedlichen Befehlsstrukturen der verschiedenen Systeme bieten zwar den Kennern unter den Herstellern von Anwendersoftware ideale Voraussetzungen für entweder besonders schnelle, besonders sichere oder besonders kommunikative Produkte, aber die meisten der Branche nutzen die von Microsoft entwickelte Oberfläche. Vielleicht wird so nicht das Letzte an Performance aus den Paketen herausgeholt, aber sicher ist eines: Die Produkte laufen auf jedem Netz. So bieten Ashton-Tate und Data Access ihre Produkte dBase III und Dataflex als universelle Pakete auf PC-LAN-Basis an, SPI aber hat für jedes der marktbestimmenden Netze eine eigene Version und holt so ein Maximum an Geschwindigkeit und Möglichkeiten aus seinem Open Access II heraus.

Banyan erfüllt mit seinem Netzwerk-Betriebssystem "Vines" (Virtual Integrated Network System) sogar zwei wichtige Standards, nämlich den MS-NET-Standard von Microsoft und den Novell-Standard "NetWare". Pakete, die für PC-LAN geschrieben sind, laufen auf allen anderen Netzen. Pakete, die für Novells NetWare geschrieben sind und die besonderen Fähigkeiten nutzen, laufen demnach auch auf dem Vines, das von Banyan und von Tallgrass genutzt wird.

Novells NetWare wurde inzwischen von vielen Netzkarten-Herstellern als Betriebssystem übernommen, viele Anbieter von schlüsselfertigen Systemen gehören ebenfalls dazu. Zu den bekanntesten Netzen die hier im Handel mit NetWare angeboten werden, gehören AT&T Starlan, Corvus Omninet, Gateway Gnet, Orchid PCnet, Proteon ProNET, SMC "Arcnet", Molecular System 16/300, Davong Multilink Nestar Plan 2000, Netzworth vLAN North Star Dimension, Quadram Quadnet VI und IX, Racal Milgo Planet, Sperry Usernet und Televideo Personal Mini. Andererseits werden bekannte Lösungen wie zum Beispiel das IBM-Token-Ring-Netz oder die Ethernet-Netze wahlweise mit jedem der bekannten Betriebssysteme angeboten. So kann der Kunde selbst entscheiden und ist auch langfristig nicht festgelegt.

Modularer Aufbau der Betriebssysteme

Die Betriebssysteme von 3Com, Novell und Banyan sind inzwischen modular. Das heißt, sie unterstützen nicht mehr nur ein Netzwerkprotokoll, sondern so ziemlich alle. Bei der Installation eines Netzes wird zu den gewählten Netzwerkkarten eben auch das Modul "Treiber" geladen Somit können so unterschiedliche Topologien wie Stern, Bus, Baum, Ring oder verteilte Sterne ebenso bedient werden wie die verschiedenen Protokolle CSMA/CD, CSMA/CA, CSMA/CE, Token Passing, Token Ring oder Polling.

Durch die ISO-Normung und das bekannte ISO-7-Schichten-Modell wurde dies erst möglich. So kann ein Anwender unter Umständen sein bestehendes Netzwerkkonzept von einem Hersteller auf den anderen umstellen, ohne auch nur einen Rechner zu öffnen oder eine Kabelverbindung zu lösen.

Die Modularität beschränkt sich nicht auf die Topologien und Prozeduren. Modular sind inzwischen auch die Gateway-Lösungen geworden, also die Anbindung eines Netzwerkes an Großrechner. Diese Art der Schnittstellen-Normung geht inzwischen schon so weit, daß sogar komplette Module zwischen den Betriebssystemen ausgetauscht werden können, da hier ebenfalls Standards genutzt werden. Diese Standards regeln den Datentransfer zwischen den einzelnen Stationen, sind topologie- und protokollunabhängig und berücksichtigen auch nicht den Aufbau von Datenstrukturen in den zentralen File-Servern. Diese Schnittstelle heißt bei Microsoft "Netbios". Novell hat - eine eigene schnelle Übertragungsschnittstelle, IPX (Inter Package Exchange), emuliert darüber hinaus aber auch Microsofts komplettes Netbios. Banyan und 3Com haben ebenfalls das Netbios emuliert. Module also, die der Kommunikation zu Mainframes oder Minis dienen und auf Netbios aufsetzen, arbeiten auch in allen anderen Netzen.

Bei der Kommunikation zu IBM-Hostrechnern hat sich die Emulation von 3278-Terminals durchgesetzt. Die Funktion ist ähnlich wie die der "Irma"-Karte, aber hier wird auch noch die Cluster-Controller-Einheit ]BM 3274 ersetzt. Alle oder einzelne Rechner des Netzes sind in die Mainframe-Kommunikation einbezogen. IBM selbst geht bei seinem Token-Ring-Netz einen anderen Weg. Hier werden Möglichkeiten angeboten, dieses Token-Ring-Netz direkt an eine neuartige Cluster-Controller-Einheit anzustecken. Der Zugang zur DEC-Welt bahnt sich für alle Netze ebenfalls an und ist für Mitte 1987 zu erwarten.

Wegen der vorhandenen Modularität. kann nur der Fachhändler entscheiden, welches Netz für seinen Kunden das beste ist. Hier sollte nicht so sehr darauf geachtet werden, ob ein Kollisionsprinzip, ob ein Token-Netz oder gar das Polling-Verfahren den Vorzug bekommt, denn die Unterschiede sind nicht so gravierend, daß die Entscheidung dadurch leichtgemacht würde.

Vielmehr sind es Topologien, die verglichen werden sollten, oder die Gesamtleistung oder der Preis für die Installation. Sehr beliebt ist die Topologie der verteilten Sterne. An Sternverteilern sind bis zu acht Rechner angeschlossen. Mehrere Sternverteiler werden wiederum durch Kabel verbunden. Diese Art der Verlegung, zusammen mit preisgünstigen und sicheren Koaxialkabeln, wird am besten durch die "Arcnet"-Lösungen praktiziert.

Lokale Netze sind eigentlich Insellösungen

Kleinere Netze werden am sinnvollsten mit dem Bus-System aufgebaut: Ein einziges Kabel, meist ein koaxiales, wird von Rechner zu Rechner verlegt. Dort ist die Interface-Karte über ein T-Stück mit dem ankommenden und dem weitergehenden Kabelende verbunden. An die beiden äußeren Enden werden Abschlußwiderstände gesteckt.

Genaugenommen sind lokale Netze Insellösungen. Sie sind für eine begrenzte Zahl von Personal Computern geschaffen, die gemeinsame Dateien nutzen. Neben diesen LANs kommen jetzt die WANs, die Wide Area Networks. Lokale Netze innerhalb eines Betriebsgrundstücks werden über sogenannte Bridges (Brücken) verbunden. Diese Funktion kann im zentralen File Server aktiv sein, aber auch in einem der angeschlossenen Rechner. Bridges verbinden die einzelnen lokalen Netze, sogar unabhängig von der gewählten Hardware, Topologie und Prozedur der zu koppelnden Netze. Nur eines müssen die Netze haben: die Betriebssoftware vom gleichen Hersteller.

Netze melden Dienste über "Street Talk"

Diese Bridges werden ebenfalls von allen Herstellern angeboten. Eine herausragende Lösung bieten Tallgrass und Banyan mit ihrem Produkt "Street Talk" an. Hier können viele lokale Netze, betriebsintern, bundesweit oder weltweit, über alle verfügbaren Kommunikationswege gekoppelt werden. Über "Street Talk" melden sich alle Netze gegenseitig ihre verfügbaren, für die Allgemeinheit zugänglichen Dienste wie Dateien, aber auch angeschlossene Peripheriegeräte oder Gateways zu Hostrechnern.

"Street Talk" kann auch Entscheidungen treffen. Nämlich die, welcher bei mehr als einem möglichen Verbindungspfad der schnellste ist. Das Produkt nutzt unter Umständen verschiedene Pfade gleichzeitig, wenn der Datenverkehr über nur eine Verbindung zu dicht wird. Weil auch bei den Wide Area Networks der gesamte Austausch über einzelne Datenpakete erfolgt, können diese unabhängig voneinander getrennt übertragen werden. Der empfangene File Server mit dem "Street-Talk"-System setzt die Module wieder zu einer ganzen Dateneinheit zusammen, überprüft die Unversehrtheit der Daten und meldet dem Absender den Empfang. Datex-P der Deutschen Bundespost ist der für die großflächige Kopplung von lokalen Diensten am häufigsten genutzte Dienst.

Lösungen auf Basis zentraler und gemeinsamer Dateien

IBM mit seinem PC-LAN-Konzept erweitert das eigentlich für Einplatznutzung entwickelte PC-DOS. Hierbei kann jeder Rechner auf die Dateien der anderen zugreifen. Wenn alle Dateien zentral auf einem einzigen Rechner für alle verfügbar gehalten werden, ist PC-LAN nicht die beste Lösung.

Novell, Banyan, Tallgrass und 3Com verfolgen allesamt die Lösung der zentralen gemeinsamen Dateien. Dazu werden besonders leistungsfähige zentrale File Server eingesetzt.

Gerade hier geht jeder Hersteller eigene Wege: Novell bietet die breiteste Palette von Möglichkeiten mit seinem NetWare-Betriebssystem: spezielle Server mit dem MC-68000-Prozessor, spezielle Server mit 80286-Prozessoren sowie ATs als File-Server. Banyan und Tallgrass bieten als Paradepferd die 68000-File-Server an, kommen aber auch mit einer Lösung für ATs. Auch 3Com hat den eigenen zentralen File Server, Erweiterungen sind in Sicht. Die Bereithaltung aller gemeinsamen Dateien in einem zentralen Gerät vereinfacht die Verwaltung, die Absicherung gegen Defekte und die regelmäßige Datensicherung.

Zukünftige Konzepte bieten noch weitere Kopplung

Neue Lösungen sind in Vorbereitung, die eine noch breitere Kopplung zwischen den Systemen bieten werden. So ist abzusehen, daß die Unix- und Xenix-Systeme ebenfalls in die Vernetzung einbezogen werden. Außerdem denkt man daran, auch schnellere Minis als zentrale File Server für alle Netze einzusetzen. Die langfristige Zukunftsvision in den Köpfen der Betriebssystemhersteller ist die Einbindung aller Betriebssystemkonzepte und aller modernen Kommunikationssysteme, inklusive des neuen ISDN.

Heutige Benutzer von Netzen können durch die sogenannten Update-Disketten die jeweils neuesten Entwicklungen als Module in ihre Netze einspeisen und sicher sein, daß keine veralteten Versionen entstehen.

*Helmut Holighaus ist Geschäftsführer der Adcomp Datensysteme GmbH, München.