Lamberti: "Wir haben viele Dinge nicht gemacht"

22.05.2001
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Im Februar dieses Jahres hat die Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main, die gesamte Konzernstruktur und damit auch ihren IT-Bereich neu geordnet (Computerwoche online berichtete). Das veränderte auch den Wirkungskreis des IT-Vorstands Hermann-Josef Lamberti. Über die Hintergründe dieser Umstrukturierung und den letzten Stand des "Global-E"-Projekts sprach er mit CW-Redakteurin Karin Quack.

CW: Im Rahmen ihrer Neustrukturierung hat die Deutsche Bank auch ihre IT-Bereiche neu gestaltet - warum? Lamberti: Für uns war es ein vollständig natürlicher Prozess, die Anwendungsentwicklung und die Infrastruktur den neuen Business-Divisions zuzuordnen, also zum einen dem Firmenkunden- und Investment-Banking-Geschäft, CIB genannt, zum anderen dem Privatkunden- und Asset-Management-Business, PCAM , und zum dritten dem IT-Dienstleistungsbereich DB-Services . Das war der nächste Schritt in einem Prozess, den wir Business Alignment nennen. CW: Worin bestehen Ihre Aufgaben als IT-verantwortliches Vorstandsmitglied? Lamberti: Die IT bildet sich in der Bank auf drei Ebenen ab: In den beiden großen Geschäftsbereichen CIB und PCAM mit dem Konzept des Business-Alignment, auf der Ebene von DB-Services mit dem Prinzip der marktgerechten Leistungsverrechnung und last but not least auf der Ebene der Corporate Governance; damit sind wir bei meiner Funktion. Ich trage als CIO im Corporate Center die Verantwortung für die IT der Gesamtbank. Als Linienfunktion bedeutet das: Die IT-Manager der Geschäftsbereiche berichten an mich. Aber es bedeutet auch: Ich mache Vorgaben für die Gesamtgruppe bezüglich Themen wie Architektur, Security, strategische Kooperationen mit großen IT-Providern sowie Kosten- und Performance-Management. CW: Ist für Security nicht eher der Chief Technology Officer, kurz CTO, zuständig? Lamberti: Auch das! Aber für uns ist Security so wichtig, dass sie auf der Vorstandsebene verankert wird. Je stärker wir die Bankenwelt mit unserer Multikanalstrategie nach außen öffnen, desto deutlicher tritt der Security-Aspekt in den Vordergrund und desto mehr muss er deshalb als Corporate-Governance-Aufgabe begriffen werden. CW: Sie waren auch vor der Umstrukturierung schon für die IT verantwortlich. Wie haben sich Ihre Aufgaben verändert? Lamberti: In der alten Organisation hieß mein Verantwortungsbereich Global Technology and Services, kurz GTS; darin enthalten waren nicht nur IT-Funktionen, sondern beispielsweise auch das Custody-Geschäft und bestimmte externe Beteiligungen. Damals wurde der Bereichsaspekt stärker betont als der CIO-Aspekt. Heute nehme ich die reine CIO-Funktion im Corporate Center für die gesamte Bank wahr; daneben habe ich eine neue divisionale Verantwortung - für das Personal Banking. Die Aufgaben von CIO und CTO CW: Bei der Deutschen Bank sind Positionen der CTOs sehr deutlich von denen der CIOs unterschieden. Wie sieht die Aufgabenteilung zwischen diesen Verantwortungsbereichen aus? Lamberti: Mit dieser Zweiteilung wollen wir dokumentieren, dass wir die Infrastruktur als eine separate Disziplin betrachten - getrennt von der Anwendungsentwicklungs-Verantwortung. Der CIO hat die Leitfunktion. Aber der CTO trägt als Herr über die gesamte Infrastruktur regulative Verantwortung für Themen wie Sicherheit, Desaster Recovery und Business Continuity Planning - auch gegenüber dem Bundesaufsichtsamt. Was das bedeutet, wird etwa beim Continuous Link Settlement deutlich, den wir in Kürze einführen werden; dieser Begriff bezeichnet die punkt- und minutengenaue Abwicklung von grenzüberschreitenden Zahlungsvorgängen mit anderen Banken. Ich wähle dieses Beispiel, weil damit besondere aufsichtsrechtliche Belange im Bankwesen verbunden sind, für die der CTO verantwortlich ist. Er hat für solche Fälle eine Dotted Line direkt zu mir. Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass in jedem Unternehmen das Thema Infrastuktur vom Anwendungsportfolio zu trennen ist. CW: Warum halten Sie das für wichtig? Lamberti: Die Infrastruktur macht sich zunehmend unabhängig von den Anwendungen. Sie wächst immer stärker in die Netze und damit in eine multiple Anbieterlandschaft hinein. Damit ist das Bild der Infrastruktur nicht mehr homogen: Die Bandbreite der Komponenten reicht vom Application-Service-Provider über den Internet-Service-Provider bis zum großen IT-Outsourcer. Hinzu kommt, dass die Infrastruktur immer ortsunabhängiger wird. Dank der verfügbaren Bandbreiten haben wir heute die Möglichkeit, unsere europaweite Infrastruktur aus Frankfurt, das Global Network aus Singapur und den Foreign-Exchange-Handel aus London oder Sydney zu steuern. Das bedingt, dass wir unser Anwendungs-Portfolio und die Umgebung, in der es produktiv läuft, voneinander trennen müssen. CW: Zurück zu Ihnen. Ihre Aufgaben als Konzern-CIO reichen schon für einen Fulltime-Job. Wie lassen sich die bewältigen, wenn man gleichzeitig für das Personal Banking verantwortlich ist? Lamberti: Das passt schon alles noch in einen 24-Stunden-Tag - auch wenn es manchmal schwierig ist. Nein, im Ernst: In den drei Unternehmensstrukturen CIB, PCAM und DB-Services sind sehr starke operationale Management-Funktionen angesiedelt. Wir haben in jedem dieser Häuser einen CIO, der die Verantwortung für die Gesamtorganisation und das Tagesgeschäft trägt. So kann ich mich stark auf das Personal Banking konzentrieren. CW: Sind Sie der oberste Alignment-Manger? Lamberti: Als solchen habe ich mich nie begriffen. Die Abstimmung zwischen IT und Geschäft geschieht auf der operationalen Ebene. CW: Wie plant ein Unternehmen dieser Größenordnung sein IT-Budget - angesichts der ständigen Veränderungen im geschäftlichen Umfeld? Lamberti: Selbstverständlich ergeben sich während des Jahres Veränderungen - insbesondere dann, wenn wir eine große Akquisition tätigen. Als wir beispielsweise Bankers Trust übernahmen, mussten wir einen komplett neuen Plan schreiben. Aber wir werden nicht jede Veränderung dazu nutzen, das Budget neu zu berechnen. Vielmehr erlaubt die hohe Integration der beiden Häuser Trade-offs innerhalb des jeweiligen Business. Diese Entscheidungen fallen ad hoc während der Umsetzungsperiode.

CW: Apropos Akquisitionen und Fusionen: Es geht das Gerücht, die Vereinigung von Deutscher und Dresdner Bank sei an der mangelnden Übereinstimmung der IT-Systeme gescheitert. Lamberti: Das ist eine vollkommen abstruse Vorstellung. Zum einen spielen bei einer Fusion dieser Größenordnung ganz andere Fragen eine Rolle als die der IT. Zum anderen könnten wir hier und jetzt einen Plan aus der Schublade ziehen, der belegt, dass die IT - nach sechs Wochen Diskussion - quasi fertig aufgestellt war. CW: Sie erwecken damit den Eindruck, als wäre IT eine Nebensache. Lamberti: Nein, keine Nebensache, aber auch kein Problem. Schließlich standen wir bei der Fusion mit Bankers Trust vor denselben Fragen. Wir haben am 4. Juni 1999 quasi eine Vollmigration bewerkstelligt. Das geht nur mit Schweiß und Tränen, aber ich bin überzeugt, dass es bei jeder Fusion funktioniert. CW: Sie haben einmal gesagt: Das Business macht die Strategie, die IT folgt. Nun gibt es aber immer mehr IT-Verantwortliche, die sich an den strategischen Überlegungen beteiligen wollen - vergebliche Liebesmüh? Lamberti: Sicher nicht. Ich bin vielmehr überzeugt, dass die IT ins Business und das Business in die IT muss. Auf der einen Seite sollte die IT möglichst nah an das Business heranrücken, um frühzeitig Strategien mit zu beeinflussen, auf der anderen Seite muss das Business die IT als Wettbewerbsfaktor und wesentliche Möglichkeit zur Kostenreduzierung begreifen und entsprechend managen. CW: Was tut die Deutsche Bank konkret für das Business-IT-Alignment? Lamberti: Wir haben in beiden Häusern, CIB und PCAM, ein Steuerungsgremium, Executive Board genannt. Dort bringen wir einmal wöchentlich die fachliche Kompetenz, die im Tagesgeschäft notwendig ist, an einen Tisch - einschließlich des CIO und des CTO. Die Global E-Transformation CW: Vor einem Jahr haben Sie eine Strategie namens Global E angekündigt. Bitte umreißen Sie kurz, was sich hinter diesem Namen verbirgt. Lamberti: Global E war ein Markenname für den Transformationsprozess in Richtung Internet. Wir wollten die gesamte Bank Web-fähig machen, so dass in jedem Unternehmensbereich die Technik und die Möglichkeiten des Internet - im Sinne einer veränderten Geschäftsstrategie - umsetzbar wurden. CW: War dieser Prozess IT-getrieben? Lamberti: Eindeutig nicht. Wir haben es vermieden, das Internet in einem Green-Field-Approach anzugehen, also mit ein paar Wizz-kids, die ein bisschen Java programmieren können, um schnell mal ein Projekt auf die Beine zu stellen. Aus der Erkenntnis heraus, dass IT zur Kernkompetenz aller Geschäftseinheiten gehört, waren wir überzeugt, dass diese Transformation nur im Einklang mit dem Business passieren kann. Das heißt auch: Dieser Prozess lässt sich den Geschäftsbereichen nicht von außen aufdrücken; er muss sich in ihrem Inneren entwickeln. Mit diesem Ansatz unterschieden wir uns von etlichen anderen Spielern im Markt. Deren Strategie es war, die Internet-Möglichkeiten als Schnellboote links und rechts neben dem großen Business-Tanker zu Wasser zu lassen. CW: Tatsächlich war zu beobachten, dass auch konservative Unternehmen plötzlich alle Prinzipien über Bord warfen und Quick&Dirty-Lösungen für das E-Business zuließen. Haben Sie keine derartigen Erfahrungen gemacht? Lamberti: Auch an uns wurden tagtäglich Dinge herangetragen, die eine Vielzahl neuer Ideen verkörperten. Gleichzeitig drohten sie aber, uns in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen, falls wir uns darauf einließen. Die E-Transformation der Deutschen Bank hätten wir auf diese Weise niemals hinbekommen. Deshalb war das Global-E-Projekt in dieser Phase so wichtig. An seinem Maßstab konnten wir alle externen Einflüsse messen. Und ich glaube, dass wir wirklich standhaft waren, also viele Dinge einfach nicht gemacht haben - obwohl es manchmal schwer war, nein zu sagen. CW: Global E wurde vom Konzernvorstand initiiert. Inwieweit ist ein CIO für die E-Business-Strategie mitverantwortlich? Lamberti: Er darf nicht für das E-Business verantwortlich sein. Das ist Sache der Business-Manager. Wir hatten dafür das Global E Action Committee; es setzte sich aus Fachvorständen zusammen, die den einzelnen Geschäftsbereichen angehörten. Dort diskutierten sie aktiv, wie das Internet in ihrem jeweiligen Business eingesetzt werden sollte. Was heißt Zerstörung der Wertkette oder Multikanalstrategie, wie lassen sich die Kunden anders segmentieren, was bedeutet es, mit einer gegebenen Skalierbarkeit der Anwendungen tiefer in die Kundensegmente hineinzustoßen, welche Auswirkungen hat die elektronische Anbindung der Kunden auf die Sales-Force und den Relationship-Manager? Diese Fragen haben erst einmal überhaupt nichts mit der IT zu tun, sondern betreffen die Geschäftsstrategie. CW: Saßen in dem Action Committee überhaupt keine IT-Spezialisten? Lamberti: Doch! Aber unter einem anderen Aspekt. Sie befassten sich mit der Frage, inwieweit Global E auch für die IT einen Transformationsprozess darstellte. Die IT war keinesfalls schon für das Web positioniert. Wenn wir vor zwei Jahren hätten vorführen wollen, wie die IT-Infrastruktur für eine weltweite Web-Hosting-Umgebung aussieht, hätten wir allenfalls ein paar Server zeigen können, auf denen die Homepages der Deutschen Bank laufen. CW: Wie sah der Transformationsprozess innerhalb der IT aus? Lamberti: Wir setzten Projekte auf mit Themen wie: Was bedeutet das Internet für uns? Was heißt es, mit diesen Techniken umzugehen? Welche Anwendungsarchitekturen werden obsolet? Welche Möglichkeiten der internen Prozessoptimierung gibt es? Dazu ein Beispiel: Wir haben in dieser Zeit ein rein Internet-Technologie-getriebenes Clearing- und Settlement-System entwickelt; es brachte uns im institutionellen Settlement-Bereich eine Kosteneinsparung von bis zu 50 Prozent. CW: Inwiefern hat sich das Gesicht der IT dadurch verändert? Lamberti: Wir haben einen interessanten Dialog geführt - nicht über die klassische Management-Hierarchie, sondern mit jungen Leuten, die mit viel Kompetenz und teilweise breiter Projektverantwortung zu uns kamen, sich aber an den Organisationsstrukturen rieben. Das führte unter anderem dazu, dass wir in der Anwendungsentwicklung heute Gruppen haben, die sich ausschließlich mit dem E-Business beschäftigen. CW: Gibt es im Konzern eine spezielle E-Business-Abteilung? Lamberti: Definitiv nein. Gegen eine solche Organisation würde sich die gesamte Bank wie gegen einen Fremdkörper wehren. CW: Wie geht es mit Global E weiter? Lamberti: Im Prinzip brauchen wir keine derartige Initiative mehr. Ein Jahr war notwendig, um den Transformationsprozess in den Köpfen so in Gang zu bringen, dass er nicht mehr umkehrbar ist. Die zweite Runde der Transformation kann nun innerhalb der Businesses ablaufen. CW: Als die Deutsche Bank Global E ankündigte, hieß es, sie wolle rund 200 vorhandene E-Business-Aktivitäten konsolidieren. Wie verträgt sich diese Absicht mit der Tatsache, dass ständig neue Projekte hinzukommen? Lamberti: Es ging nicht darum, hundert Projekte zu streichen und 50 neue aufzusetzen. Stein des Anstoßes war vielmehr, dass die 200 Projekte in unterschiedliche Richtungen liefen. Global E intendierte also eher eine Koordinierung dieser Aktivitäten. CW: Unter 200 Projekten muss aber auch das eine oder andere gewesen sein, das Sie nicht weiter verfolgt haben. Lamberti: Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Im Übrigen sind die Diskussionen ja auch noch im Gang. In allen Bereichen muss ständig neu diskutiert und überprüft werden, was sich am Markt durchsetzen wird. Portrait: Hermann-Josef Lamberti Nach Peter Gerard, heute Vorstandsvorsitzender der Karstadt Quelle New Media AG, ist Hermann-Josef Lamberti bereits der zweite ehemalige IBM-Manager im Vorstand der Deutschen Bank. Beim blauen IT-Riesen kletterte Lamberti kontinuierlich die Karriereleiter empor: 1985 als knapp 30jähriger Management-Trainee eingestellt, stieg er innerhalb von zwölf Jahren zum Vorsitzenden der Geschäftsführung in der Stuttgarter Deutschland-Zentrale auf. Er blieb jedoch nur eindreiviertel Jahre im Amt. Nachdem die Konzernzentrale in Armonk, New York, den Landesgesellschaften straffe Zügel angelegt hatte, warf Lamberti im Dezember 1998 das Handtuch und wechselte als Generalbevollmächtigter zur Deutschen Bank, wo er im Oktober des Folgejahres in den Vorstand berufen wurde. Begonnen hatte der 1956 geborene Diplomkaufmann seine berufliche Laufbahn bei Touche Ross, wo er sich die ersten IT-Sporen im Projekt-Management verdiente. Anschließend beschäftigte er sich bei der Chemical Bank mit Geld- und Devisenhandel sowie Controlling. Im Hause IBM ließen sich seine beiden Know-how-Schwerpunkte gut vereinen: Bald schon übernahm der junge Lamberti Führungsaufgaben im Vertrieb für Banken und Versicherungen. Doch erst bei der Deutschen Bank trug die zweigleisige Ausbildung doppelte Frucht: Im Topmanagement des Finanzdienstleisters zeichnet Lamberti zum einen für das Personal Banking verantwortlich; daneben fungiert er als oberster IT-Chef des Konzerns.