DEC liefert die Hardware - GEI schreibt die Software:

l986 fällt der Startschuß für die Tele-Auskunft

17.05.1985

Anfang 1986 wird es mit der "Tele-Auskunft" soweit sein: Rund 24 Millionen deutsche Fernsprechteilnehmer sind über Bildschirmtext (Btx) elektronisch auf dem häuslichen Fernseher oder dem Btx-Terminal abrufbar. Hinter dem schlichten Namen "Tele-Auskunft" verbirgt sich das elektronische Telefonbuch der nahen Zukunft: ein Projekt, das auch das klassische Kommunikationsmedium Telefon in die elektronische Kommunikation einbindet.

Die Erfahrungen der Franzosen mit dem dortigen Elektronischen Telefonbuch und den heutigen Feldversuche führten dazu, die Tele-Auskunft bundesweit zu realisieren. Träger des Projekts sind die Deutsche Postreklame GmbH in Frankfurt und etwa 100 Verleger der Örtlichen Telefonbücher und der Gelben Seiten. Die Digital Equipment GmbH, München, wurde ausgewählt, zusammen mit dem Aachener Softwarehaus Gesellschaft für Informationsverarbeitung mbH (GEI) ein komplettes, schlüsselfertiges System zu liefern, zu vertraglich vereinbarten Festpreisen.

Allein das Projekt der Örtlichen Telefonbücher (Weiße Seiten) umfaßt ein Volumen von über 22 Millionen Mark- davon entfallen etwa 16 Millionen auf die Hardware, die von GEI gelieferte Software kostet sechs Millionen Mark. Diplom-Ingenieur Walter

Sokol, bei der Deutschen Postreklame Projektleiter der Tele-Auskunft, schätzt die Kosten für das Projekt Gelbe Seiten auf noch einmal zwischen zwei und vier Millionen Mark; auch dieses Projekt wird von dem Team DEC/GEI realisiert. Wie schon bei den Weißen Seiten fungiert Digital dabei als federführendes Unternehmen.

Drei miteinander vernetzte Rechenzentren

Der Auftrag besteht aus der Lieferung dreier Rechenzentren in Essen, Frankfurt und Nürnberg. Um einen Einsatz rund um die Uhr sicherzustellen, verfügt jedes Rechenzentrum über zwei VAX- 1 1 785 und zwei Datenbanken des US-Herstellers Britton Lee.

Die Rechenzentren werden miteinander vernetzt sein: Der Fernsprechteilnehmer, der eine Auskunft sucht, wird automatisch auf das für seine Abfrage zuständige Zentrum geschaltet, ohne daß er es bemerkt und ohne daß ihm zusätzliche Kosten entstehen - die Auskünfte werden bundesweit nur eine Ortsgebühr kosten.

Projektleiter Walter Sokol betont, daß die Tele-Auskunft "die Print-Version der Fernsprechbücher nicht ersetzen soll, sondern sie sinnvoll ergänzen wird".

Der Begriff "Ergänzung" trifft den Kern der Tele-Auskunft freilich nicht genau, bietet sie doch folgende Vorteile:

þIm elektronischen System sind alle Orte, bundesweit über 200 000, abgespeichert. Auch historische Orte oder Stadtteile sind verfügbar so daß jede beliebige Ortsangabe den Benutzer ans Ziel führt.

þAnders als bei der Fernsprechauskunft wird es keine Fälle geben, bei denen sich die Teilnehmersuche durch besetzte Leitungen verzögert.

þWenn der Btx-Teilnehmer nicht genau weiß, ob der Gesuchte in Frankfurt oder in Bad Homburg wohnt, hilft ihm die Nahbereichssuche: seine Suche wird auf einen Radius von 20 Kilometer um den eingegebenen Ort ausgedehnt.

þIst in einem Ort ein Name vielfach vorhanden (Müller, Meier, Schmitt), kann der gewünschte Teilnehmer durch Eingabe von Vornamen und Adresse schneller gefunden werden.

þSteht nicht fest, ob der Name beispielsweise Maier, Meier, Meyer oder Mayer geschrieben wird, hilft Tele-Auskunft durch eine phonetische Suche weiter.

- Im Fall der Gelben Seiten können bestimmte Unternehmen der jeweiligen Branchen gesucht werden, wie bei der Printversion.

þEs können aber auch bestimmte Branchen in bestimmten Stadtteilen gesucht werden, etwa ein Bäcker um die Ecke.

þWichtigstes Feature der Tele-Auskunft, sowohl bei den Örtlichen als auch bei den Branchen-Fernsprechbüchern ist ihre rasche Aktualisierbarkeit. Im Wochenrhythmus wird die Tele-Auskunft auf den neuesten Stand gebracht.

Damit sind auch die Teilnehmer verfügbar, die beispielsweise erst eine Woche zuvor umgezogen sind. Für produzierende Unternehmen und Dienstleistungsbetriebe hat diese schnelle Aktualisierbarkei gegenüber den jährlich erscheinenden Fernsprechbüchern einen unschätzbaren Vorteil: Sie müssen ihre Eigenwerbung nicht - wie in der Printversion - auf eine globale Darstellung ihrer Leistungen beschränken, sondern können aktuell über Verkaufsund Werbeaktionen informieren.

Diese permanente Aktualisierung verlangt von den Rechnersystemen ein Höchstmaß an Kapazität und Flexibilität. Walter Sokol schätzt, daß "täglich bundesweit rund 50 000 Änderungen eingegeben werden müssen ". Das heißt: Jedes Jahr wird rund ein Drittel aller Daten erneuert werden.

Der Ablauf dieser Änderungen mutet zunächst relativ kompliziert an: Die Bundespost liefert die neuen Daten an die Deutsche Postreklame, die sie an die jeweiligen Fernsprechbuchverlage weitergibt. Die Verlage arbeiten sie in ihren Bestand ein, ziehen davon ständig neue Magnetbänder, diese werden wiederum wöchentlich neu ins Btx-System eingegeben. Walter Sokol ist dennoch sicher, "daß der Teilnehmer von diesem umfangreichen Prozedere nichts bemerken wird - er hat die Daten aktuell verfügbar".

Der Projektleiter Tele-Auskunft sieht in dem neuen Service nicht allein Vorteile für private Btx-Teilnehmer. Vor allem für Unternehmen werden sich auch die neuen Kombinationsgeräte aus Telefon und Btx (Bitel) positiv auswirken, die zu Beginn 1985 auf den Markt kommen werden: Damit entfällt für überregional operierende Firmen der Zwang, in der Telefonzentrale alle Branchen- und Örtlichen Telefonbücher zu archivieren. Alle möglichen Fernsprechteilnehmer sind dann bundesweit auf dem Kombinationsgerät abrufbar; häufig genutzte Nummern können eingespeichert werden und sind auf Tastendruck anwählbar.

Welche Anforderungen auf die eingesetzte Hard- und Software zukommen, schildert Sokol so: "Es wird nicht nur ein Drittel des gesamten Datenbestandes der rund 24 Millionen Fernsprechteilnehmer durch die ständigen Aktualisierungen pro Jahr ersetzt

werden. Bei 3,5 Millionen Btx-Teilnehmern, die die Bundespost bis 1990 prognostiziert, können bis zu 200 Millionen Auskünfte pro Jahr anfallen. Das aber bedeutet zwischen 15 000 und 20 000 Dialogschritte pro Minute."

Um dem System eine optimale Akzeptanz seitens der Benutzer zu sichern, ist der Abfrage- und Suchmodus so aufgebaut, daß mögliche Fehlerquellen auf der Benutzerseite praktisch nicht entstehen können, Schritt für Schritt wird der Teilnehmer in klar faßliche Stufen durch die entsprechenden Menüs geführt.

Werbe-Einnahmen finanzieren das System

Das gesamte System Tele-Auskunft soll sich durch die Werbe-Einnahmen tragen; durch die Printversion der Telefonbücher setzt die Deutsche Postreklame bisher rund 600 Millionen pro Jahr um. Die elektronische Auskunft wird zum Ortsgebührensatz berechnet werden, lediglich Sondersuchen sollen gebührenpflichtig sein. Auch die Kosten der Rechenzentren sollen niedrig gehalten werden; pro Rechenzentrum schätzt Sokol den personellen Aufwand auf etwa vier oder fünf Mitarbeiter.

Die Rechenzentren selbst sollen bis Mitte 1985 soweit sein, daß mit der Erfassung der etwa 24 Millionen Datensätze begonnen werden kann bundesweit wird das System Tele- Auskunft (Weiße und Gelbe Seiten) Anfang 1986 in Betrieb gehen.

So ehrgeizig und attraktiv Tele-Auskunft erscheinen mag: Es wird - auf mittlere Sicht - nicht bei dem nationalen Projekt bleiben.

Auch das bereits in Printversionen verfügbare Exportbranchenbuch (Europages), das etwa 140 000 Exportfirmen der Bundesrepublik Frankreichs, aus England, Italien, Belgien und Holland komplett mit Telefonnummern und Adressen auflistet, soll unter Umständen elektronisch über Btx abrufbar gemacht werden.

"Und auf lange Sicht", so überlegt Walter Sokol, "ist auch ein Auslands-Auskunftsdienst durchaus denkbar".

*Helmut Schmerber ist freier Journalist in München.