Rechts-Schlachten zwischen Kongreß, Gerichten und Aufsichtsbehörden (Teil 2 und Schluß):

Kurze Halbwertszeiten im US-Telecom-Markt

28.10.1988

Wie in der Bundesrepublik ist auch in den USA Planungssicherheit eines der erstrebten Ziele gerade der großen Anwender respektive "Verbraucher" von Telekommunikationsdiensten. Anita Taff von der CW-Schwesterpublikation NETWORK WORLD schildert im zweiten Teil ihres Artikels über den "US-Telecom-Dschungel" die Auswirkungen der Liberalisierung auf die Anwender. Ergebnis: Die "Halbwertszeiten" der Telecom-Bestimmungen werden immer kürzer, rapide Veränderungen, Unberechenbarkeit und Wirrwarr machen eine auch nur irgendwie geartete Planungssicherheit unmöglich (Teil 1 dieses Artikels finden Sie in CW Nr. 43/88, Seite 24).

"Die Anwender wurden durch die Auflösung von Ma Bell und die Bemühungen um weniger Vorschriften auf diesem Sektor derartig verunsichert, daß sie besser daran täten, aus dem Kaffeesatz zu lesen, als einen der Akteure zu fragen, wie sich die Telecom-Industrie weiterentwickeln wird, sagt Kenneth Phillips, Vorsitzender des Verbandes der Telecom-Anwender.

Ein guter Teil der Verwirrung beruht auf einer Verschärfung des Wettbewerbs, mit dem eine explosionsartige Entwicklung auf dem Angebots- und Preissektor einherging. Allerdings sind sich die Anwender einig, daß dadurch auch die Preise gesenkt und die Einführung neuer Dienstprogramme beschleunigt wurden.

In erster Linie beruht die Verunsicherung der Anwender auf einem Mangel an Direktiven seitens der Behörden, die die entsprechenden Vorschriften verfassen. Die Anwender argumentieren, daß hier mit viel Elan vorwärts geschritten wurde, ohne jedoch die damit verbundenen Auswirkungen einzukalkulieren oder entsprechende Implementierungspläne erstellt zu haben. Dauernde Rechtsstreitigkeiten und Verfahren führten dazu, daß notwendige Entscheidungen und Strategien auf Monate oder Jahre hinaus auf Eis gelegt wurden.

Lästiger "Wust" von Vorschriften

Resultat ist, daß viele dieser Strategien in einem Übergangsstadium gefangen sind - nicht implementiert, aber wie ein Damoklesschwert über den Firmen hängend und tiefgreifende Veränderungen ankündigend. Beispiele für ungelöste Probleme finden sich im Bereich der ONA (Architektur offener Netzwerke) bis hin zur strategischen Preisplanung für Datendienste sowie der Tarifgestaltung für marktführende oder kleinere Firmen.

Genau das macht langfristige Planung unmöglich: "Wer heute Planung macht, braucht eine gute Kristallkugel", wie es Jerry Appleby, Präsident der Tele-Communications Association, Inc., (TCA) ausdrückt.

Das bedeutet auch, daß die Anwender ein Auge auf den Regulationsprozeß halten müssen. Keine leichte Aufgabe fürwahr, weil sie die Richtlinien sowohl der Bundesbehörden, als auch des Kongresses, der Gerichtshöfe sowie der amtlichen Stellen beachten müssen. "Die Anwender müssen sich durch einen ,Wust' von Antitrust- und Preisregelungsvorschriften hindurchwühlen, um festzustellen, welche Dienste zu welchem Preis verfügbar sein können", so jedenfalls ist die Meinung von Sharon Nelson, der Vorsitzenden des Communications Committee der National Association of Regulatory Utility Commissioners. Nelson, die zudem als Vorsitzende der Washington Utilities and Transportation Commission fungiert, meint zudem, daß es schwierig sei, sich über den Telecom-Markt Klarheit zu verschaffen, und eben dies verängstigte die Anwender.

Ronald Binz, Schatzmeister der National Association of State Utility Consumer Advocates faßt das Problem so zusammen: "Wir stehen mit jedem Bein in einer anderen Welt - einmal der neuen, in der Dienste im freien Wettbewerb erhältlich sind, und zum anderen in der alten Welt der Monopole."

Vom Monopol zum freien Wettbewerb

"Da sich der Markt von einem geregelten Monopol zu einer Industrie des freien Wettbewerbs entwickelt, müssen die amtlichen Stellen die Marktregeln permanent den neuen Tatsachen anpassen", verdeutlicht Binz, der zudem Leiter des Office of Consumer Counsel im Bundesstaat Colorado ist. Diese Situation habe zu einer Industrielandschaft geführt, die von einem "heterogenen Gemisch unterschiedlichster Zielsetzungen und Strategien bestimmt wird, deren Handlungsweise keinen wie auch immer gearteten gemeinsamen Rahmen erkennen läßt." Binz' Fazit: "Die Entscheidungsträger spielen viel zu oft Würfel und Roulette und überlassen es dem Zufall, was dann daraus wird."

Brian Moir, Berater der International Communication Association (ICA) erklärt, die Entstehung und Ausbreitung der Verwirrung ließe sich auf einen Mangel an Durchsetzungsvermögen seitens der amtlichen Stellen zurückführen: "Die Instabilität wird vor den Augen der Federal Communication Comission weiter bestehen, und die tut wenig oder gar nichts, um ihrer Herr zu werden."

"Anwender, die oftmals nur wenig Einfluß haben, um bestimmend auf den Regulationsprozeß einwirken zu können, sehen sich marktführenden Gesellschaften gegenüber, die die Bestimmungen einfach beiseite fegen", meint Bill Moore, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft privater und staatlicher Stellen des TCA. Er fügt hinzu: "Machen Sie einmal dem Management klar, daß Sie Geld für einen Kampf brauchen, von dem Sie glaubten, ihn bereits letztes Jahr gewonnen zu haben."

Appleby von TCA gibt zu, daß die Anwender durch die Handhabung der Bestimmungen frustriert werden. Die großen Gesellschaften kommen wieder und wieder mit ähnlichen Vorschlägen, so daß selbst "wenn Sie einen Fall zu Ihren Gunsten entschieden haben, eine andere Entscheidung hinten dran hängt, bei der der Ausgang noch überhaupt nicht klar ist", sagt er. Phillips, dessen Committee of Corporate Telecommunications Users 30 der größten Anwender der Telecom-Industrie repräsentiert, erklärt, daß sich die Anwender im Bereich der staatlichen Bestimmungen mit rapiden Veränderungen konfrontiert sahen: "Wir leben in einer Zeit, in der die Halbwertszeit solcher Bestimmungen extrem kurz ist", unterstreicht er, "diese Änderungen führten zu häufigen Preisschwankungen im Datendienstsektor und machten es infolgedessen den Anwendern unmöglich, Aussagen über die Kostenentwicklung oder das Budget zu treffen."

Laut Phillips ist Preisstabilität für die Anwender von größerer Bedeutung als irgendein anderer Marktaspekt, da Großabnehmer durchaus bereit sind, höhere Preise zu zahlen, solange die Berechnungsgrundlagen stabil bleiben. Binz hat auch schon von der Besorgnis der Anwender hinsichtlich der Preisstabilität gehört, argumentiert aber, daß die Berechenbarkeit von Preisentwicklungen eines der ersten Opfer der Marktliberalisierung sei.

James Blazak, Berater des Ad Hoc Telecommunications Users Committee, erklärt dazu, daß die Anwender von privaten Netzwerken nicht nur mit einem heftigen Auf und Ab bei den Berechnungsgrundlagen konfrontiert waren, sondern zudem durch himmelschreiende Ungerechtigkeiten in der Kostenzuweisung durch die Regional Bell Operating Companies (RBOCs) geschädigt wurden.

Wenn diese bei der FCC wegen Änderungen der Berechnungsgrundlagen anfragen, müssen sie die Kosten für die Bereitstellung der Dienste angeben, und es ist natürlich möglich, einigen Diensten mehr Netzwerkkosten zuzuweisen als anderen, was zu höheren Preisen führen würde. Laut Blazak war ein Grund dafür, daß die Bell-Ableger die Kosten zum Nachteil der Benutzer von privaten Leitungen festsetzen konnten, die Tatsache, daß die FCC-Analyse der Kostendaten für geschlossene private Dienste nicht so streng gehandhabt wird wie für offene, über das allgemeine Netz zugängliche Datendienste.

Obwohl die Bestimmungen Quelle von Verwirrung und Frustration sind, erklären die meisten Anwender, daß sie aufgrund der Liberalisierung der Vorschriften besser dastehen. Einige spielen die aus dem Durcheinander entstehenden Schwierigkeiten herunter und argumentieren, daß die Anwender ihre Angelegenheiten jetzt selbst in die Hand nehmen müssen. Augie Blegen, Executive Director der Association of Data Users, erläutert dazu, daß obwohl die Telecom-Industrie voneinander unabhängige "nicht" abgestimmte Dienste anbietet, um einen Wettbewerbsvorsprung zu erzielen, dennoch einige die Uhren zurückdrehen wollen: "Da gibt es ein paar faule Telecom-Manager, die in die Vergangenheit zurück und ihre gesamten Operationen mit einem Telefonanruf erledigen wollen."

Anwender müssen sich an der Politik beteiligen

Blegen gibt zu, daß die Auflösung von AT&T für die Industrie Probleme verursacht, und die Anwender dazu ermuntert, sich zu organisieren und dadurch die Politik staatlicher Regelungen zu beeinflussen.

Viele Anwender sagen, daß es für die Geschäftspolitik zunehmend von Bedeutung ist, den im Gebiet der staatlichen Bestimmungen ablaufenden Prozeß zu erkennen und in ihn einzugreifen. Appleby bezeichnet die Teilnahme der Anwender an den politischen Vorgängen als entscheidend und weist darauf hin, daß die Entwicklung der staatlichen Bestimmungen in finanzieller Hinsicht genauso bedeutend sein kann wie die Entwicklung eines neuen Produktes.