Analyst: Restrukturierung auch im Vertrieb nötig

Kurzarbeit bei SNI: Spitze eines bedrohlichen Eisberges

10.04.1992

PADERBORN/MÜNCHEN (see) - Nur drei statt fünf Tage pro Woche haben Paderborner SNI-Mitarbeiter jetzt an ihrer Arbeitsstelle zu erscheinen: Wegen schlechter Auftragslage der Werke für Branchen- und Informationssysteme wurde bei der DV-Tochter von Siemens Kurzarbeit für 1600 Produktionskräfte beschlossen.

Der zeitweilige Abbau der Kapazitäten trifft 600 Beschäftigte im Werk für Branchensysteme, wo Hardware und Systemsoftware für Kassen- und Bankenanwendungen hergestellt werden, sowie 1000- Mitarbeiter des Informationssysteme-Werks. Hier werden große Unix-Anlagen nebst Systemsoftware sowie Vermittlungsanlagen gefertigt. In den beiden Fabriken arbeiten 3700 Leute, so daß rund 43 Prozent der Produktionsmitarbeiter betroffen sind. Über die Länge der Kurzarbeit, verlautete aus Unternehmenskreisen, werde derzeit in einer Einigungsstelle verhandelt. Dort gehe es auch um die Forderung des Betriebsrates, den Kurzarbeitern über das anfallende Arbeitslosengeld hinaus einen Lohnausgleich zu zahlen.

Nach Auskunft eines Münchner Sprechers der Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG wurde die Maßnahme aus zwei Gründen notwendig: Zum einen führe man einige neue Produkte ein, und das bringe normalerweise immer einen Knick im Auftragseingang und beim Umsatz mit sich. Zum anderen verzögere sich die Abwicklung einiger großer Orders, weil die Kunden gewisse Posten aus Rahmenverträgen nicht in der erwarteten Frist abgerufen hätten. Der Sprecher wollte keine Angaben machen, um welche Produkte und welche Großaufträge es sich handelt. Mitglieder des Paderborner und des Konzern-Betriebsrates standen für eine Stellungnahme ebensowenig zur Verfügung wie die Leiter der betroffenen Werke.

"Es klemmt nach wie vor bei SNI", meint Branchenanalyst Helmut Gümbel von der Gartner Group, und zwar "sowohl in der Logistik als auch in der Abwicklung größerer Verträge". Dies resultiere noch aus Problemen des Zusammenschlusses von Nixdorf und Siemens-Data, auch verzögere sich die Abwicklung von Verträgen tatsächlich manchmal aus Gründen, die der Kunde zu vertreten habe.

Das halbe Jahr Kurzarbeit, sagt Gümbel voraus, werde nur der Anfang einer neuen Runde der SNI-Schlankheitskur sein. Eine durchgreifende Restrukturierung, bei der auch Entlassungen kein Tabu sein dürften, kann nach seiner Überzeugung überdies nicht vor den Produktionsmitarbeitern halt machen, sondern sie müsse auch im Vertrieb greifen. In der Fertigung würden Überkapazitäten lediglich am schnellsten sichtbar, weil auf Halde produziert werden müsse. Wenn hingegen ein VB ziellos durch die Straßen irrt und nicht weiß, welche Klinken er putzen soll" dann erscheine das nicht so deutlich. "Wir sehen momentan nur die Spitze eines bedrohlichen Eisberges", so der Gartner-Experte. Sorgen um die Zukunft von SNI seien angebracht, und das nicht nur aus Gründen, die das Unternehmen selbst zu verantworten habe. Die Rezession im DV-Markt läßt ihn einen "Strudel" befürchten, der zusammen mit der überfälligenRestrukturierung einen "Sog von ungeahnter Größe" erzeugen könne. Hoffnung für das größte deutsche DV-Unternehmen hat er nur, wenn die Verantwortlichen sich mit dem Strelamlining sputen. "Schneller sanieren", das sei die Parole.