Kurswechsel: Novell macht Microsoft Friedensangebote Unix-Geschaeft an SCO abgeschoben

29.09.1995

Novell hat es geschafft, das Unix-Betriebssystem loszuwerden, das in den vergangenen zweieinhalb Jahren mehr Aerger als Umsatz eingebracht hat. Der Verkauf an The Santa Cruz Operation signalisiert darueber hinaus einen Kulturwandel bei Novell. Galt "Unixware" doch als Speerspitze gegen die Desktop-Uebermacht der Microsoft-Betriebssysteme und zugleich als Eintrittskarte in den Server-Markt jenseits von Print- und File-Services. Ungewoehnlich ist an dem Deal, bei dem neben SCO auch Hewlett-Packard als Lieferant von 64-Bit-Technik mitmischt, dass bislang keiner der Konkurrenten lautstark protestierte. Dabei entsteht hier eine Allianz, die mehr als 50 Prozent des Unix-Markts beherrscht. (Die Uebernahmedetails stehen in dem Artikel auf Seite 1.)

Wir konzentrieren uns auf unsere Kernkompetenzen im Netzbereich", erklaerte Novell-CEO Robert Frankenberg auf einer Pressekonferenz im Rahmen der New Yorker Fachmesse Unix Expo. Damit zieht das Unternehmen die Konsequenzen aus den bitteren Erfahrungen im Unix- Geschaeft, das den Netzwerkern vor allem durch Interventionen der Mitbewerber vergaellt wurde.

Die Open-Systems-Gemeinde wehrte sich ebenso gegen die Verschmelzung von Unix mit Netware wie gegen die geplanten Einschraenkungen bei der Lizenzvergabe. Schliesslich mussten die Netzwerker sogar das Unix-Markenzeichen an das Open-Systems- Gremium X/Open abgeben. Es ist also nur verstaendlich, dass Novell den Schwarzen Peter Unix an SCO weiterreicht (siehe Kasten).

Dass die Novell-Geschaeftsfuehrung den Entwurf eines neuen Firmenlogos in Auftrag gegeben hat, mag als Symbol fuer die tiefgreifende Neuorientierung gelten, die Frankenberg plant. Als Lieferant von Netz- und Kommunikationstechniken moechte man sich fortan bei den wichtigsten Anbietern unentbehrlich machen. Ausserdem setzt das Unternehmen auf neue Produkte im WAN- und Internet-Bereich sowie mit der Netware Embedded Systems Technology (Nest) auf die Netzeinbindung beliebiger elektronischer Geraete.

Passe sind dagegen die Ambitionen des frueheren Novell-Chefs Ray Noorda, die darauf zielten, nicht nur im Bereich der lokalen Netze den Markt anzufuehren, sondern auch bei Desktop-Betriebssystemen und -Anwendungen ganz vorne mitzuspielen. Als Gegner hatte Noorda dabei vor allem Microsoft im Visier, dessen Dominanz es mit allen auch rechtlichen Mitteln einzudaemmen galt. Die Bereitschaft, dem draeuenden Windows-NT-Betriebssystem mit einem Desktop-Unix fuer den Massenmarkt entgegenzutreten, hat denn auch Anfang 1993 die Unix- Anbieter dazu bewogen, Novell als Lizenzgeber des Betriebssystems zu akzeptieren. "Dieser Ansatz war von Anfang an zum Scheitern verurteilt", urteilt im nachhinein Bob Apollo, Europa-Marketier von SCO.

Von Novells Kampfgeist ist unter der neuen Fuehrung nur noch wenig zu spueren. "Wir haben uns aus der Schusslinie zurueckgezogen", beschreibt Novell-Sprecher Kai Leonhardt das Verhaeltnis zu Microsoft. Ausserdem wolle man in der neuen Rolle als Technologie- Anbieter auch mit Microsoft Geschaefte machen. Haeufiger werden die Kontakte mit Vertretern der Gates-Company auch deshalb werden, weil sich nun beide Firmen im Board of Directors von SCO treffen. Novell stoesst zu diesem Gremium, weil SCO Unixware mit 17 Prozent seiner Aktien bezahlt hat, waehrend Microsoft aufgrund seiner Minderheitsbeteiligung von 10,5 Prozent laengst einen Stammplatz hat. Um die dadurch moeglichen Interessenkonflikte zu vermeiden, wird der Microsoft-Vetreter bei wichtigen wirtschaftlichen Diskussionen gebeten, den Raum zu verlassen, berichtet SCO- Marketier Apollo.

Novell-Chef Frankenberg setzt auf Kooperation statt Konkurrenz. Er hat daher mehrfach vorgeschlagen, die Gates-Company solle Windows NT mit den Netware Directory Services (NDS) ausstatten. Dabei handelt es sich um eine Art Verzeichnis, mit dessen Hilfe unternehmensweit auf Ressourcen zugegriffen werden kann, ohne dass staendig neue Passwoerter und Systemadressen angegeben werden muessen. Dieses Feature von Netware 4.0 gilt bislang als einer der wesentlichen Vorzuege gegenueber NT, dessen Domain-Konzept bei grossen Netzen zu unuebersichtlich sei.

Sollte Microsoft NDS tatsaechlich in Lizenz nehmen, kann Novell laut Frankenberg an jeder NT-Installation mitverdienen. Diese Rechnung des CEO koennte moeglicherweise auf Kosten des neuen Partners SCO aufgehen. Novell staerkt den Konkurrenten Microsoft und liefert an seinen Partner lediglich die Blaupause fuer das Betriebssystem "Super-NOS", das zwar fuer 1996 angekuendigt wurde, nun aber wohl nicht vor 1998 erscheinen wird. Erst dann sind voraussichtlich die Unix-Derviate von HP, Novell und SCO auf 64- Bit-Basis verschmolzen.

Fuer die Novell-Kunden, die auf Super-NOS warten, bedeutet der Richtungswechsel ihres Herstellers, dass auch sie sich umorientieren muessen. Ihnen war ein Betriebssystem versprochen worden, das wie Windows NT eine Kombination aus Netz- und Applikations-Server darstellt. Nun muessen sie entscheiden, ob sie Novells Vertrauen in SCO teilen und bis 1998 abwarten wollen. Die Alternative liegt in einem Umstieg auf Windows NT, erst recht, wenn das Microsoft-Betriebssystem mit Netware-Funktionalitaet ausgestattet wird. Schon jetzt weist Microsoft nach Erkenntnissen der Ovum Ltd. im Bereich der Groupware-Server die groessten Zuwachsraten auf, waehrend der Absatz von Netware und SCO-Unix in diesem Wachstumsmarkt nur maessig steigt.

Von der IDG-Schwesterpublikation "Computerworld" befragte Anwender merkten zudem kritisch an, dass sie sich nur schwer vorstellen koennten, wie es gelingen soll, aus den drei Unix-Derivaten Open Server, Unixware und HP-UX ein einziges zu machen. Zweifel werden auch angemeldet, weil es SCO nicht gelungen sei, seine Unix- Variante auf den Unix-V.4.-Standard zu bringen.

"Das haben wir nie ernsthaft versucht", wehrt SCO-Manager Apollo die Kritik ab. Was die Verschmelzung der Derivate betreffe, so sei das nicht woertlich zu nehmen. Geplant sei ein modulares Betriebssystem mit Objektkomponenten, das sich dem Anwender wie eine Buendelung der besten Eigenschaften aus den drei Produkten darstelle.

Die Frage, ob die Verschmelzung von HP-UX und dem kuenftigen SCO- Produkt durch den Einsatz von Objekttechniken von Taligent geloest wuerde, zu denen sich HP neben Apple und IBM als Anteilseigner bekennt, beantwortete der sonst eher gespraechige Apollo mit einem schlichten

"kein Kommentar". Aehnlich wortkarg reagierte Walter Stahlecker, Alliances and Standards Technical Programm-Manager bei HP, auf das Stichwort Taligent. Er sage nur soviel, dass es sich bei der Entwicklung des 64-Bit-Unix um weit mehr als eine schlichte Portierung von HP-UX oder Unixware auf den P7-Prozessor handeln werde. Richtig sei auch, dass sukzessive Objekttechniken eingefuehrt wuerden, ueber deren Herkunft er sich allerdings ausschweigen wolle.

"Wir verlieren einen Konkurrenten und gewinnen einen Partner", kommentiert Unix-Anbieter Sunsoft die Entscheidung Novells. Das Unternehmen, bislang einer der heftigsten Kritiker von Unix-Eigner Novell, hofft auf Netzkooperationen.

Andere Anbieter wie Digital Equipment und die IBM fuehlen sich von dem Deal nicht betroffen, obwohl hier immerhin eine Allianz geschmiedet wurde, die zusammen mehr als 50 Prozent des Unix- Geschaefts unter sich ausmacht.

Zudem ergaenzen sich HP und SCO insofern, als der Workstation- Hersteller Zugang zu dem Bereich der Workgroup-Server findet und umgekehrt dem PC-Unix-Marktfuehrer durch Novells NDS und die 64- Bit-Technik von HP die Tuer in die Unternehmens-DV geoeffnet wird. Die europaeischen Anbieter Bull, ICL und Siemens-Nixdorf haben auch insofern kein Problem mit dem Besitzerwechsel, als sie bereits Unixware-Lizenznehmer sind.

"Die in den vergangenen Jahren geschaffenen Open-Systems-Regeln beginnen zu greifen", erklaert Curt Jismalm, Europa-Chef des Open- System-Konsortiums X/Open, die gleichgueltige bis zustimmende Reaktion der Konkurrenten. Zu den ungeschriebenen Gesetzen gehoere es inzwischen, dass wichtige Schnittstellen-Innovationen nicht im Alleingang stattfinden. Deshalb erstellt HP das 64-Bit-Unix in Abstimmung mit dem Rest der Industrie.

Darueber hinaus haben sich SCO und HP dazu bereit erklaert, die Interfaces an X/Open weiterzureichen. Das ist schon deshalb noetig, weil diese Organisation darueber befindet, ob Hersteller, die die Spezifikationen ihres Betriebssystems erweitern, die Bezeichnung Unix verwenden duerfen.

Der neue Unix-Eigner

The Santa Cruz Operation Inc. verdankt ihre Entstehung im Jahr 1979 der Microsoft Corp., die sich ihres Unix-Derivats "Xenix" entledigen wollte. Anfang 1989 laeuft das Geschaeft der Kalifornier jedoch so gut, dass sich die Gates-Company 20 Prozent der Firmenanteile sichert.

Die bislang groesste Krise des Unternehmens wird durch die Beteiligung an dem 1991 initiierten Industriekonsortium Advanced Computing Environment (ACE) hervorgerufen. Diese Initiative will die DV auf Basis der CISC-Architektur von Intel, der RISC-Chips von Mips sowie dem Nachfolger von Microsofts OS/2 (heute bekannt als Windows NT) und SCO-Unix standardisieren. Doch schon im August 1991 wird bekannt, dass Gruendungsmitglied DEC an dem 64-Bit- Prozessor "Alpha-AXP" entwickelt. Als zudem SCO Ende des Jahre schwerwiegende Probleme bei der Portierung der Unix-Umgebung "Open Desktop" auf die Mips-Plattform meldet, zeichnet sich das Ende der Zusammenarbeit ab.

Nach dem ACE-Flop hat SCO genug von Experimenten. Bei der Vorstellung der zweiten Version von Open Desktop im Mai 1992 distanziert sich das Unternehmen sowohl von der urspruenglich angepeilten RISC-Plattform als auch von dem als Standard geltenden Unix V.4. Nicht das Betriebssystem, sondern neue Erzeugnisse aus dem Bereich der Benutzeroberflaechen sollen das Wachstum der Firma treiben. Das Unternehmen beginnt zudem, sich unter dem Schlagwort "Windows-friendly" auf die Integration von Windows-Front-ends in Unix-Umgebungen zu spezialisieren.

Novells bittere Unix-Erfahrungen

November 1991: Novell steigt in den PC-Unix-Markt ein. Der bisherige Netzwerkspezialist hat sich vorgenommen, das mit den AT&T-Spezialisten aus den Unix Software Laboratories (USL) entwickelte PC-Betriebssystem "Unixware" zum Massenprodukt zu machen.

Januar 1992: USL und Novell gruenden das Joint-venture Univel mit dem Ziel, ein Netware-faehiges PC-Unix zu entwickeln.

Februar 1992: Novell stellt ein verwirrend komplexes Unix-Konzept vor. Das herkoemmliche Netware-Betriebssystem wird dabei von den Unix-nahen Produkten "Netware NFS" und "Netware fuer Unix" sowie von einer noch nicht existierenden netzfaehigen Unix-Implementation eingerahmt.

April 1992: Novell engagiert sich fuer offene Systeme und tritt der Open Software Foundation (OSF), Unix International (UI) und der Object Management Group (OMG) bei.

November 1992: Novells, besser Univels Unixware, wird offiziell ausgeliefert.

Januar 1993: Die Bombe platzt. Novell kauft den Unix-Lizenzgeber USL fuer 320 Millionen Dollar. Obwohl damit das Betriebssystem seine Herstellerunabhaengigkeit verliert, gibt die Branche - Sun allerdings nur zoegernd - ihre Zustimmung. Der Grund: Novell hat versprochen, im Desktop-Markt gegen Microsoft anzutreten und Unix dort zu etablieren. Die Kunden verschmaehen Unixware. Novell halbiert die Preise.

Juli 1993: Novell uebt Druck auf die Standardisierungsgremien Unix International (UI), X/Open und OSF aus. Der Unix-Eigner erklaert, kuenftig nur noch mit einer dieser Organisationen oder mit einem Konglomerat aus allen dreien kooperieren zu wollen. Da UI schon immer eng mit der Novell-Division USL verbunden war, macht sich die Organisation Hoffnung auf eine Aufwertung ihrer Rolle. Tatsaechlich aber steht sie vor dem Aus.

Novell naehrt Befuerchtungen, aus Unix ein proprietaeres Betriebssystem zu machen. "Es wird nicht mehr fuer jedermann Zugang zum Sourcecode geben", toent zum Beispiel Novell-Vize Jack Blount. Ziel sei die "Vereinheitlichung von Unix auf einer verbindlichen Implementation". Damit, so fuerchtet die Branche, ist das hauseigene Unixware gemeint.

September 1993: 24 Computerfirmen geben in New York ihre Absicht bekannt, Unix unter Regie der von HP und IBM dominierten COSE- Gruppe durch Schnittstellen-Definitionen zu vereinheitlichen. Obwohl davon nicht die Rede ist, deutet Novell diese Ankuendigung als Bekenntnis zu einer spaeteren Version von Unixware und bekraeftigt noch einmal die Absicht, Sourcecode nur noch an ausgewaehlte Unternehmen zu liefern.

Novell will nicht nur Unixware mit Netware-Features verquikken, sondern auch den Sourcecode von Unix selbst veraendern. Die Branche sieht am Horizont bereits als Horrorvision eine Netz-Unix-Variante des Microsoft-Monopols entstehen

Oktober 1993: Novell wird als Unix-Eigentuemer entmachtet. Das X/Open-Gremium uebernimmt die Markenbezeichnung "Unix". Zustande kam diese Regelung erst nach massivem Druck seitens der COSE- Mitglieder IBM, HP und SCO. Kuenftig duerfen nur noch solche Systeme die Bezeichnung Unix tragen, denen die X/Open bescheinigt, dass sie die 1170 Programmier-Schnittstellen einhalten, auf die sich die Industrie geeinigt hat. Ausserdem muessen sie allen bisher gueltigen offenen Standards entsprechen

Februar 1994: Mit der Unixware Technology Group (UTG) versucht Lizenzgeber Novell, eine Nachfolgeorganisation fuer Unix International ins Leben zu rufen, die sich in erster Linie um Unixware kuemmern soll. Der Verdacht taucht auf, dass sich Novell hier eine Marketing-Organsiation fuer sein wenig erfolgreiches Unix-Produkt anschaffen moechte.

April 1994: Sunsoft kauft sich fuer 82,5 Millionen Dollar von allen Unix-Lizenzverpflichtungen frei. Das Unternehmen erhaelt den Sourcecode und darf damit machen, was es will. HP braucht im Spaetsommer 1995 fuer eine aehnlich lautende Vereinbarung nichts mehr zu bezahlen.

Mitte 1994: Es wird immer deutlicher, dass Unix am Desktop keine Chance gegen Microsofts Windows-Betriebssystem hat.

Januar 1995: Novell kuendigt eine Verschmelzung von Unix und Netware zu einem Server-Betriebssystem mit der Bezeichnung "Super- NOS" fuer 1996 an.

September 1995: Die 1,9-Milliarden-Dollar-Company Novell meldet sieben Millionen Dollar Umsatz mit Unixware.

Hermann Gfaller