CAD/CAM

Kuenftige Anwender treiben mit Prostep Standardisierung voran

14.05.1993

Die Integration rechnergestuetzter Prozesse - von der Entwicklung ueber die Konstruktion, Fertigung und Montage bis hin zu Vertrieb, Wartung und Entsorgung - erfordert den Austausch produktdefinierender Daten im gesamten Produktlebenszyklus. Das gilt nicht nur innerhalb und zwischen den Abteilungen eines Unternehmens, sondern in verstaerktem Masse auch unternehmensuebergreifend. Hierfuer bieten die CAD/CAM-Systeme heute bereits Software an.

Allerdings ist der Austausch komplexer Informationen auf Basis der bestehenden Technologie im wesentlichen auf Geometriedaten beschraenkt. Mit der Entwicklung der internationalen Norm Standard for the Exchange of Product Model Data (Step) werden die Grundvoraussetzungen geschaffen, Produktdaten, also auch Technologie-, Organisations- und Strukturdaten, maschineninterpretierbar auszutauschen. Die Komplexitaet dieser Technologie erfordert ein konzentriertes Vorgehen der Anwender zusammen mit den Entwicklern und Systemanbietern.

An Prostep sind die Automobilhersteller BMW AG, Daimler-Benz AG und Volkswagen AG sowie die Robert Bosch GmbH und die Siemens AG als Vertreter der Zulieferindustrie beteiligt.

Firmenuebergreifend Know-how aufbauen

Fachlich wird das Projekt durch das Institut fuer Rechneranwendung in Planung und Konstruktion (RPK) der Universitaet Karlsruhe (TH) und das Institut fuer angewandte Informatik (IAI) vom Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) sowie durch die Firma Gida mbH aus Berlin unterstuetzt.

Ziel des Projektes ist es, das bei den beteiligten Partnern vorhandene Step-Know-how zu nutzen und die Einsetzbarkeit der Step-Technologie in industriellen Pilotanwendungen nachzuweisen. Besondere Bedeutung kommt hierbei dem firmenuebergreifenden Datenaustausch zwischen Herstellern und ihren Zulieferbetrieben zu.

Im einzelnen werden folgende als Arbeitspakete 1 - 6 bezeichnete Teilaufgaben bearbeitet:

1. Softwarebaukasten:

Entwicklung von Standardsoftware zum Erzeugen, Verarbeiten und Verifizieren von Step-Daten auf Basis der im Rahmen der Step- Entwicklung definierten Metasprache Express.

2. Step-Prozessoren:

Entwicklung von Schnittstellen-Prozessoren fuer die wichtigsten Systeme der am Projekt beteiligten Partner.

3. Produkt- und Betriebsmitteldatenbank (PBD):

Erarbeitung eines Prototyps einer Produkt- und Betriebsmitteldatenbank auf der Basis von Step.

4. Konverter:

Entwicklung von Konvertern zwischen den neutralen Datenformaten Step, Iges/VDAIS, VDAFS und VNS.

5. Langzeitarchivierung:

Entwicklung eines Konzeptes zur Langzeitarchivierung von produktdefinierenden Daten.

6. Application-Protocol-Entwicklung:

Erarbeitung der Applikationsprotokolle (AP) Automotive Design und Electrical Fundamentals.

Im folgenden sollen die Ergebnisse der ersten Arbeiten zum Thema PBD (Arbeitspaket 3) vorgestellt werden.

Alle an Prostep beteiligten Firmen haben eigene Datenbankanwendungen entwickelt, um die Daten des Produktionsprozesses zu speichern und zu verwalten.

Diese Programme bauen auf relationalen oder hierarchischen Datenbanken auf. Nachteil der bisher eingesetzten Loesungen ist die starke Abhaengigkeit von den spezifischen Dateiformaten der in den Unternehmen eingesetzten CAx-Systeme.

Unter anderem aus Gruenden der Systemunabhaengigkeit und der Effizienzsteigerung beim Datenaustausch beabsichtigen die Prostep- Teilnehmer kuenftig ihre Daten systemneutral abzuspeichern. Geeignete Ansaetze finden sich dazu in der im Verlaufe dieses Jahres zur Verfuegung stehenden Version 1.0 von Step.

Die verschiedenen Geometrie-Systeme

Zur Standortbestimmung wurde hierbei zuerst die Situation auf dem Gebiet der Geometrieverwaltung untersucht.Die Projektbeteiligten haben die Systeme Cadnet von BMW, GIS (Geometrie-Informationssystem) von Mercedes Benz, KVS (Konstruktionsdatenverwaltungs-System) von VW-Gedas sowie das Bosch-Medusa-Zeichnungsverwaltungs-System analysiert. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die folgenden Punkte gelegt:

- eingesetzte Datenbanksysteme,

- Art der Datenspeicherung,

- verteilte Datenhaltung,

- Funktionalitaet und

- Systemarchitektur

CAD-Daten werden ueber sogenannte Kennsaetze oder Org-Daten verwaltet. Zur Anwendung kommen dabei teils relationale Datenbanken (DB2, Oracle, RDB), teils hierarchische (IMS).

KVS und GIS legen die CAD-Daten unstrukturiert als eine zusammengehoerige Byte-Menge ("long field") in der Datenbank ab. Im Falle des Medusa-Zeichnungsverwaltungs-Systems und von Cadnet erfolgt die physikalische Speicherung in den vom CAD-System verwendeten Dateien. Hierbei werden in der Datenbank nur die eigentlichen Kennsaetze fixiert.

Alle eingesetzten Systeme unterstuetzen die verteilte Datenhaltung im Netz. Der Zugriff auf die in der Datenbank gespeicherten CAD/CAM-Daten wird durch ein Zugriffsberechtigungs- und Datenschutz-Management geregelt. Fuer alle Systeme koennen Benutzer, Benutzergruppen oder Projekte mit entsprechenden Lese-, Schreib-, Info- oder Loeschrechten definiert werden.

Die Systemarchitektur der Anwendungen ist durch das "Hol-Prinzip" gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass sich der Benutzer mit Hilfe der Kennsaetze ueber die gespeicherten Daten informieren kann, dass eine Aenderung der Nicht-Kennsatzdaten aber nur im CAD-System moeglich ist. Beim Austausch der Daten werden die neutralen Formate Iges, das VDA-Iges-Subset (VDAIS) und die VDA-Flaechen-Schnittstelle (VDAFS) unterstuetzt.

Alle untersuchten Systeme haben eine Versionsverwaltung, die den Lebenslauf von CAD/CAM-Daten dokumentiert und den einer Version zugeordneten Daten eine gewisse Verbindlichkeit (zum Beispiel Freigabestatus) gibt. Alle Systeme unterstuetzen Freigabefunktionalitaeten.

Die Historie der CAD/CAM-Daten dokumentiert sich in unterschiedlichen Versionen beziehungsweise Aenderungsstaenden. Wenn ein Benutzer eine Zeichnung aendert und wieder in der Datenbank abspeichert, wird automatisch eine neue Version dieser Zeichnung angelegt.

Die untersuchten Datenbankanwendungen unterstuetzen nicht explizit eine Klassifizierung der Datensaetze. Der Benutzer ist auf die Klassifizierung durch das eingesetzte CAD-System oder die im jeweiligen Kennsatz angegebenen Informationen angewiesen. Nur KVS ermoeglicht eine Klassifizierung ueber den hierarchisch aufgebauten Kennsatz.

Die Analyse der im Einsatz befindlichen PBDs verdeutlicht eine Uebereinstimmung hinsichtlich Erfahrungen und Problemen. Die Anwender haben ihre Anforderungen an eine PBD in einem gemeinsamen Pflichtenheft zusammengefasst.

Die analysierten Datenbanken verwalten zur Zeit nur Meta- (Kennsatz-) Daten. Die Geometriedaten sind unstrukturiert im nativen Format oder in einem neutralen File (VDAFS, Iges) abgelegt.

Die Notwendigkeit des Datenaustausches zwischen verschiedenen CAD-Systemen beziehungsweise zwischen den Unternehmen und ihren Zulieferern ueber neutrale Schnittstellen-Formate (VDAFS, VDAIS, Igeswird allgemein anerkannt. Allerdings ist das damit erfasste Informationsspektrum sehr stark eingeschraenkt auf Zeichnungsinformationen und einfache Modellbeschreibungen.

Von Step erwarten die Projektbeteiligten, dass der Austausch auf einer wesentlich hoeheren Stufe moeglich sein wird. Alle sind bestrebt, die CAD/CAM-Daten nicht mehr im systemspezifischen Dateiformat, sondern im neutralen Step-Format zu speichern. Dieses soll dann die einzig verbindliche Grundlage fuer den Datenaustausch werden.

Auf der Grundlage des Referenzmodells und des resultierenden Datenmodells muessen sich die Daten nach Verwendungszwecken gruppieren lassen. Das bedeutet die Definition anwendungsspezifischer Sichten auf die komplexen Daten.

Die Datenvielfalt hat auch Auswirkungen auf die routinemaessigen Sicherungs- und Backup-Arbeiten und beeinflusst organisatorische Massnahmen ebenso wie den taeglichen Betrieb der Datenbanken. Ein denkbarer Ausweg ist die Auslagerung selten benoetigter Daten. Zusaetzlich waere es moeglich, ueber die Reduzierung und das gezielte Loeschen nicht mehr benoetigter Informationen den Datenumfang weiter zu verringern.

Die bisher eingesetzten Programme sind aus historischen Gruenden vorwiegend Host-basiert. Durch den Trend zu Workstation-basierten Loesungen und Hardwarevielfalt ergeben sich auch hieraus Forderungen nach einer Hardware-unabhaengigen Implementierung einer PBD.

Die Projektbeteiligten haben ein Referenzmodell fuer den zu implementierenden Prototypen einer PBD entwickelt. Ein erster Schritt war dabei die Untersuchung des im Rahmen der Step- Entwicklung definierten Application Protocols (AP) 203 "Configuration Controlled Design". Dieses AP dient zum Austausch von Daten, welche die Produktstruktur beschreiben.

Objektorientierte und relationale DB-Systeme

Nach der Spezifikation des Referenzmodells werden Prototypen dieser PBD entwickelt. Als Implementierungsgrundlage dienen dazu sowohl relationale als auch objektorientierte Datenbankkonzepte. Ein Prototyp realisiert die Kopplung des im Arbeitspaket 1 entwickelten Softwarebaukastens mit einer relationalen und objektorientierten Datenbank. In einem anderen Prototypen wird an einer Implementierung der SDAI-Schnittstelle auf Basis einer objektorientierten Datenbank gearbeitet.

Aufbauend auf den Prototypen gilt es dann, beispielhafte Datenbankanwendungen wie Stuecklistenverwaltung oder Freigabewesen zu realisieren. In einer weiteren Ausbaustufe soll der Anschluss bestehender CAD-Anwendungen direkt an die Prototypen erfolgen.

Bei der Spezifizierung und Implementierung der verschiedenen Prototypen sind auch die assoziierten Partner des Prostep- Projektes beteiligt. Es handelt sich um die Firmen Cap Debis, Digital Equipment, Opel/EDS, Eigner + Partner, Gopas Software, IBM Deutschland und Softlab.

Die Spezifikation des Referenzmodells wird Prostep weitreichend beeinflussen. Im Rahmen des Arbeitspakets 6 erfolgt unter anderem die Entwicklung des neuen APs 214 "Core Data for Automotive Mechanical Design Processes", das den gesamten Umfang der in den Prozessketten Karosserie und Aggregate anfallenden Daten uebertragen kann. Dieses AP wird der zukuenftige Standard fuer die an Prostep beteiligten Firmen zum Austausch von Produktmodelldaten auf der Basis von Step werden.

Die Langzeitarchivierung von produktdefinierenden Daten (Arbeitspaket 5) wird auch auf den Ergebnissen aus Arbeitspaket 3 beruhen und ihrerseits die weitere Entwicklung der PDB-Prototypen stark beeinflussen.

Am Ende der Arbeiten im Arbeitspaket 3 werden Prototypen einer PBD stehen, die Informationen ueber die Produktstruktur sowie ueber technische Zeichnung, Geometrie oder Materialeigenschaften Step- konform abspeichern.

*Privatdozent Dr. habil. Rainer Anderl ist Leiter des Fachgebietes fuer Datenverarbeitung in der Konstruktion (DiK) an der TH Darmstadt. Diplomingenieur Michael Endres ist Mitarbeiter im Projekt CA-Datenverbund bei der BMW AG. Diplomingenieur Bernhard Malle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut fuer Rechneranwendung in Planung und Konstruktion (RPK) an der TH Karlsruhe. Dr. Roland Nill ist verantwortlich fuer den CAD/CAM- Support fuer Aggregate und Fahrwerk im Bereich Gesamtfahrzeug, Konstruktion CAD, der Mercedes Benz AG.

Abb: Anwender setzen CAD-Standards

Der im Rahmen von Prostep entwickelte Prototyp einer Produkt- und Betriebsmitteldatenbank verbindet relationale und objektorientierte Systeme. Quelle: Anderl/Endres/Malle/Nill