Das Jahr-2000-Thema ist mehr als ein technisches Problem. Es weist rechtliche, binnen- und außenwirtschaftliche sowie außenpolitische Aspekte auf; zudem berührt es das Thema der inneren Sicherheit. So der Tenor eines Briefs, den der Hochschullehrer und Sicherheitsexperte Klaus Brunnstein am 24. November 1998 an Bundeskanzler Gerhard Schröder adressierte. Darin schlägt der Hamburger Informatikprofessor dem Regierungschef "dringlich" vor, im Kanzleramt einen "Stab Jahr-2000-Risiko- Management" einzurichten, der wiederum die Arbeit nachgeordneter Jahr-2000-Stäbe in den "maßgeblich betroffenen" Ministerien koordinieren solle. Abschließend empfahl Brunnstein das Jahrtausendwechsel-Thema der "persönlichen Aufmerksamkeit" des Kanzlers.
Bislang ist Schröder dieser Empfehlung nicht nachgekommen. Als Antwort erhielt Brunnstein einen vom 21. Dezember 1998 datierenden Brief des Kanzerlamtschefs Hombach, der nach Ansicht des Hochschullehrers viel zu kurz greift. Wie die CW aus sicherer Quelle weiß, geht Hombach in seinem Schreiben weder auf sicherheits- und versorgungsrelevante noch auf juristische Fragen ein. Auch über den Stand der Vorbereitungen bei der öffentlichen Hand als einem großen IT-Anwender verliert der Minister kein Wort.
Statt dessen wiederholt der Brief die bekannten Aussagen, daß das Problem in der Bundesrepublik erkannt sei und "dezentral" aufgearbeitet werde. Zudem betont Hombach noch einmal, die Hauptverantwortung für die Umstellung liege bei der Industrie selbst.
Das Schreiben enthält die Formulierung, es könne nicht ausgeschlossen werden, "daß in Einzelfällen die Jahr-2000- Fähigkeit nicht erreicht wird". Sie treibt den Experten die Zornesröte ins Gesicht. Nach Ansicht der in Bonn ansässigen Gesellschaft für Informatik e. V. (GI), die sich parallel zu Brunnstein mit den Stellungnahmen des Kanzleramtschefs auseinandergesetzt hat, verrät eine derart verharmlosende Stellungnahme, daß die Bundesregierung das wahre Ausmaß der Schwierigkeiten noch nicht erkannt habe. "Pfeifen im Wald ist aber gerade bei diesem Problem kein probates Mittel", kritisieren die organisierten Informatiker.
Auch dem "dezentralen Problemlösungsansatz" kann die GI nicht viel abgewinnen. Wo sich öffentlich zugänglichen Informationen zufolge 30 bis 40 Prozent der Unternehmen überhaupt noch nicht mit dem Jahr-2000-Problem befaßt haben, helfe dieser Ansatz nicht weiter: "Es genügt nicht, die Verantwortung der Wirtschaft zu betonen, da die Auswirkungen gesamtstaatlich sein werden", lautet das Fazit.
Die verantwortlichen Stellen der Bundesregierung mögen sich diesen Schuh nicht anziehen. Eine Sprecherin des dem Kanzleramt unterstellten Medienreferats vertrat vielmehr die Ansicht, die deutsche Wirtschaft sei mit der Nichteinmischungs-Strategie der Regierung einverstanden - vereinzelt sogar zu sehr. Das Bundeswirtschaftsministerium, das an einem Fortschrittsbericht zum Jahr 2000 arbeitet, klage, das eine oder andere Unternehmen sei nicht gewillt, die benötigten Daten aufzubereiten und herauszugeben.