Grundsätzliche Software-Orientierungen auf der Systec 1992 im Vordergrund

Krisengefahren beschleunigen die Trends bei den C-Techniken

30.10.1992

MÜNCHEN (ls) - Von revolutionären technischen Entwicklungen, die das Publikum in Massen angezogen hätten, war auf der Systec 1992 keine Spur. Wohl aber haben sich bei den C-Techniken und in verwandten Bereichen einige Entwicklungen vergangener Jahre zu veritablen Trends ausgewachsen.

Seit etwa zehn Jahren kann von einem eigenständigen Marktsegment CAD/CAM die Rede sein. Die C-Techniken sind ins Teeny-Alter gekommen - ein Jahrzehnt, in dem Wohlmeinende eklatante Fehler, die zu Frust bei den Anwendern geführt haben, als Kinderkrankheiten abtun konnten, ist vorbei. Jetzt kommt es darauf an, welche Systeme von welchen Anbietern am schnellsten ihre Pubertät hinter sich lassen und wirkliche Reife beweisen.

Die Hersteller haben ihre kindliche Euphorie, alles - und auch jeden Fehler - selbst machen zu wollen, inzwischen abgelegt. Das CAD/CAM-System der Individualisten gehört der Vergangenheit an. "Der Ausleseprozeß ist nicht abgeschlossen", kommentierte Jürgen Marialke, Geschäftsführer der Matra Data vision GmbH. "Die Überlebenschancen eines Anbieters sind auch mit guter Software nicht von vornherein sichergestellt."

Selbst IBM zollte dem Trend Tribut

Die Anbieter schließen sich zusammen, denn Einigkeit macht stark - und zwar auch die Lösungen. Selbst der notorische Einzelgänger Big Blue zollte dem Trend Tribut: Der Stand, auf dem die Partner ihre spezifischen Lösungen für "Catia" vorstellten, war genauso groß wie der von IBM.

Hewlett Packard demonstrierte das Streben nach Marktmacht durch Kooperations-basierte Offenheit selbst im Standbau. Die HP-Techniker verschwanden quasi hinter einer Mauer von Partnerexpositionen. Das programmatische Konzept bei HP heißt "Open-CAM".

Das System soll es ermöglichen, auf Basis der von August Wilhelm Scheer entwickelten "Architektur integrierter Informationssysteme" (Aris) fremde Lösungen unterschiedlicher Anbieter zu einem Gesamtsystem zu vereinheitlichen. Rund 40 Hersteller hat HP in kurzer Zeit für Open-CAM gewinnen können.

Das Adjektiv "offen" zieht, und zwar mit einer solchen Kraft, daß kein Anbieter - ob groß oder klein - seine magische Wirkung ungenutzt lassen möchte. "Notfalls wird die technische Kooperation zweier Hersteller schon als offenes System verkauft", spottete ein Messebesucher. Er meinte, es sei dringend nötig, bei den Anbietern nun die technischen Einzelheiten ihrer Offenheit zu hinterfragen.

In der Tat kann man es nicht unbedingt als offen bezeichnen, wenn ein Unternehmen Partnern die Spezifikationen eines proprietären Interfaces zugänglich macht .

Immerhin: Step, die erste internationale Norm, welche die Übergabe und Weiterverarbeitung von Daten aus unterschiedlichen Systemen in Konstruktion und Fertigung erlauben wird, ist in aller Munde. Jeder ernst zu nehmende Systec -Aussteller bekannte sich zu Step.

Nach jahrelangen Verhandlungen hat der wachsende Unmut der Anwender dazu geführt, daß sich die Hersteller soweit geeinigt haben. Anfang nächsten Jahres wird mit Step ein Regelwerk offiziell aus der Taufe gehoben, das bei respektablem Umfang doch transparent genug ist, um unmißverständlich zu sein. Aber schon beschuldigen sich die Hersteller gegenseitig, durch überzogene Vorschläge die geplante Fortschreibung von Step unverantwortlich herauszuzögern, um weiter ein proprietäres Süppchen kochen zu können: CAx nach dem Motto: My home is my CAstle.

Besonders Benutzeroberflächen eignen sich für proprietäre Ambitionen. Motif von der Open Software Foundation war auf der letzten Systec noch weitgehend unbekannt und kann jetzt schon als Standard gelten. Aber deswegen sehen die Implementierungen noch nicht annähernd ähnlich aus. Mit dem Werkzeugkasten Motif lassen sich trefflich eigenwillige Oberflächen gestalten. Bei einem Arbeitsplatz- oder Systemwechsel muß der Anwender die Bedienung wieder mühsam erlernen.

Wenn er denn überhaupt den Durchblick bekommt, denn Icons allein verschaffen ihm den noch nicht. Zu viele Icons verwirren nicht nur, sondern sie belegen auch die Bildschirmfläche, die ja vorrangig für die Konstruktion oder Prozeßpläne zur Verfügung stehen sollte.

Die Alternative, die Symbole für verschiedene Funktionen in mehreren Unterebenen zu staffeln, erweist sich als nicht weniger gefährlich. Sind erst fünf oder sieben Fenster aufgemacht, geht der Durchblick leicht verloren.

Ergo beschränkt Applicon bisher als Schlumberger CAD/CAM Division bekannt, die Befehlstiefe auf zwei Ebenen. Ähnlich rigide verfährt auch Control Data Systems.

Es ist also - das zeigte die Systec 1992 deutlich - nicht einfach damit getan, Schilder mit wohlklingenden Schlagworten am Stand aufzuhängen. Die Parole "Unix" allein lockt keine Interessenten. Nur wer schnell dringende Probleme zu beheben verspricht, findet Resonanz. Die Integration von CAx-Inseln oder die sinnvolle Verknüpfung i von kaufmännischen mit Fertigungsbereichen stehen an. Und in diesem Zusammenhang erscheint Unix wieder - nämlich als Integrations-Tool.

Gleichwohl hat Unix einen festen Platz in Konstruktion und Fertigung. Die Ablösung der Mainframes durch vernetzte Workstations, deren Preis sich immer mehr PC-Regionen nähert, fördert diese Stellung. "Rightsizing mit Sun", daß der weltgrößte Workstation-Anbieter unter diesen Lettern reichlich Publikum anziehen konnte, ist nicht verwunderlich. Allerdings kann sich eine "Reality Engine "von Silicon Graphics ebenso gut mit Mainframes messen.

Bei weitem überraschender ist, wie schnell sich die objektorientierte Programmierung bei C-Techniken ausbreitet. Als Klaus-Dieter Gronwald von AEL Advanced Graphics Systems im Karrierezentrum der COMPUTERWOCHE über die Chancen und Perspektiven objektorientierter CAD-Systeme sowie die Anforderungen für entsprechende Software-Entwickler sprach, konnte er sich über mangelndes Interesse nicht beklagen .

Nicht nur Informatikstudenten springen auf das Thema an. Längst haben auch die großen alten CAx-Anbieter wie Applicon/Schlumberger oder Control Data erkannt, daß die Zeit von PL/1 oder Fortran im Bereich Konstruktion und Fertigung abgelaufen ist. Nach und nach ersetzen sie alte Module ihrer Systeme durch neuere, die in C+ + geschrieben sind. Ganz neue Elemente werden gleich objektorientiert programmiert .Ohne Zweifel wird OOP in den 90er Jahren der herausragende Trend im Bereich Konstruktion und Fertigung sein.