Jeder Management-Fehler kann jetzt fatale Folgen haben

Krise am Kapitalmarkt macht Linux-Newcomern zu schaffen

12.01.2001
Von 
Ludger Schmitz war freiberuflicher IT-Journalist in Kelheim. Er ist spezialisiert auf Open Source und neue Open-Initiativen.
Nach der Aufgabe von Linuxcare in Europa, der Pleite von ID-Pro und einer Neupositionierung von Innominate stellt sich die Frage: Bietet der Linux-Markt keine kommerziellen Perspektiven, oder sind Management-Fehler der Grund für Probleme?

Als sich Ende letzten Jahres die schlechten Nachrichten von Linux-Firmen häuften, kam beim Berliner Open-Source-Dienstleister Innominate Alarmstimmung auf. Gründer und Geschäftsführer Raphael Leiteritz: „Man braucht bloß bis drei zu zählen: Linuxcare-Rückzug, ID-Pro-Insolvenz, und wie stehen wir da?“ Die Frage beschäftigte das Management und die Investoren in einigen Sitzungen.

Raphael Leiteritz
Raphael Leiteritz

Das Ergebnis war ein herber Einschnitt: Schließung von Niederlassungen, Entlassungen, eine Neuausrichtung der Geschäftsziele und Veränderungen im Management. „Von der Wachstumsphase geht es jetzt in die Konsolidierungsphase“, erklärt Leiteritz. Im Klartext: Die Berliner haben die Notbremse gezogen.

„Ganz richtig“ findet das Daniel Riek. Sein Bonner Linux-Service-Unternehmen ID-Pro sei auch deswegen in die Krise geraten, „weil wir eine sehr expansive Strategie hatten, was ich im Nachhinein als sehr kritisch sehe“. Gleichwohl hätte die Strategie aufgehen können, so Riek, „wenn sie finanzierbar gewesen wäre, aber das war sie nicht“. Seit April letzten Jahres ist die Börseneuphorie verflogen, die Investoren sind vorsichtig geworden. Ein Business-Plan, der für lange Zeit Verluste vorsieht, findet im heutigen Kapitalmarkt keine Gnade mehr. Während sich Riek selbstkritisch mit der Talfahrt seines Unternehmens auseinandersetzt, sind von seinen einstigen Mitstreitern durchaus andere Töne zu hören. „Der hat sich auf das Expansionsspiel des Venture-Kapitals eingelassen, statt auf die Bremse zu treten.“ Man habe sich in „Goldrauschstimmung“ auf „die falschen Partner“ eingelassen.

„Die Erwartungen waren zu hoch, die Bewertungen unrealistisch und die Schwerpunkte nicht immer zum Wohle des Unternehmens“, meint ein anderer Insider. Das deutet darauf hin, dass nicht nur hausgemachte Fehler die Pleite von ID-Pro verursacht haben. Es gab massive Probleme mit Venture-Kapitalgebern. Im späten Frühjahr letzten Jahres wurde der Linux-Dienstleister noch auf über 100 Millionen Mark Wert taxiert. Auf dieser Basis extrem teuer angesetzte Unternehmensanteile außerbörslich für eine zweite Kapitalerhöhung loszuwerden scheiterte angesichts der vom Absturz des Neuen Markts schon verunsicherten potenziellen Investoren. Ein weiterer Versuch wenige Wochen später zu einem deutlich niedrigeren Preis machte die Investoren erst recht skeptisch.

„Dilettantisch“ nennt diese Vorgehensweise ein ID-Pro-Privatinvestor, der Fuldaer Hans-Joachim Kirchhoff. Er meint damit aber nicht etwa das Bonner Management, sondern den Hauptkapitalgeber, das irische Unternehmen Trust Financial Group mit Sitz in Hamburg. „Das war nicht der richtige Partner.“ Dem stimmt ein anderer Privatinvestor, der sein in ID-Pro gestecktes Geld jetzt abschreiben muss, Lars Ruppel aus dem hessischen Mittelkalbach, zu: „Wenn bei ID-Pro ein anderer Venture-Kapitalgeber dabei gewesen wäre, wäre es nicht so weit gekommen.“ Beide Investoren sind sich in einem Punkt einig: Es fehlte den Bonner Open-Source-Spezialisten an Management-Erfahrung, und die Kapitalgeber hätten ihnen in dieser Hinsicht beistehen müssen. Kirchhoff: „Die jungen Leute haben am Anfang nicht gesehen, dass sie einen Kapitalgeber brauchen, der ihnen mehr geben kann als Geld, der ihnen Know-how und betriebswirtschaftliche Unterstützung hätte geben können.“ Ruppel nennt das „intelligentes Kapital“.

Trotz ihrer Verluste sind die Privatinvestoren auf die ID-Pro-Mannschaft noch recht gut zu sprechen. So meint Kirchhoff: „Die haben gute Arbeit geleistet, sich sehr gut am Markt positioniert. Aber sie standen ohne vernünftiges Coaching da, das in Sachen Kapitalbeschaffung, Börsengang etc. notwendig gewesen wäre.“ Ruppel meint: „Das Management von ID-Pro war natürlich unerfahren. Aber ein guter Business-Berater vom VC-Geber hätte schon ausgereicht, um vor den gröbsten Fehlern zu warnen.“ Das deckt sich mit einer Erklärung von ID-Pro-Gründer Riek: „Am meisten fehlten uns Erfahrung und Kontakte. Man muss die Spielregeln kennen. Jemanden zu haben, der es einem vormacht, der einem vorher sagt, wo die Fallen sind, wirkt sehr positiv.“

Daniel Riek
Daniel Riek

Das sei kein spezifisches Defizit von Linux-Startups, kommentiert Maximilian zu Hohenlohe, für Investor Relations zuständiger Manager des Münchner Risikokapitalgebers Knorr Capital: „Man stellt allgemein immer wieder fest, dass ein wesentlicher Teil der misslungenen Business-Pläne und -Ideen am Management scheitert, am zu geringen Know-how in Praxis und Theorie.“ Das heiße nun nicht, dass man in schweren Zeiten die Pläne für ein eigenes Unternehmen gleich wieder zerreißen könne. „Für die Gründung einer Firma braucht man noch nicht das Management-Know-how, dass nötig wäre, um größere Organisationen richtig aufzubauen.“

Problematisch wird es mit der Expansion junger Unternehmen schon im Vorfeld eines Börsengangs, der das Ziel der Geldgeber ist. Es sei in den vergangenen Jahren eine Strategie der institutionellen Investoren gewesen, kleine Unternehmen durch sehr viel Kapital immens schnell wachsen zu lassen. „Die Zeiten, Wachstum als das einzig Heilbringende anzusehen, sind hoffentlich vorbei“, erklärt Hohenlohe. „Es ist genauso schädlich, kein Geld zu geben wie zu viel Geld zu geben. Dann werden nämlich keine wirtschaftlich sinnvollen Entscheidungen mehr getroffen.“ Das weiß inzwischen auch ID-Pro-Gründer Riek. „Wir können jetzt nicht sagen: Wir sind unschuldig, es liegt nur am Kapitalmarkt.“ Man habe nicht nur den Fehler einer zu anspruchsvollen Expansion gemacht und dann zu spät gebremst, sondern sich auch auf veränderte Marktbedingungen nicht rechtzeitig eingestellt. Das war allerdings auch nicht so einfach. ID-Pro war einer der Pioniere im völlig neuen Linux-Servicemarkt.

„Unser Pech war, viel Marktvorbereitung machen zu müssen, immer wieder erklären zu müssen, was Linux ist.“ Damals habe man den potenziellen Kunden belegen müssen: „Hier ist der Support, hier sind die Consultants.“ Das war natürlich sehr teuer. Im letzten Jahr habe sich dann der Markt verändert. Riek: „Jetzt ist das Vertrauen in Linux da. Das heißt, dass man eine breit angelegte Infrastruktur, viele Niederlassungen etc. gar nicht mehr braucht.“ Zu diesem Schluß ist man auch beim Wettbewerber Innominate gekommen, und die Berliner sind noch einen Schritt weiter gegangen: Man muss sich spezialisieren. Weg von der allgemeinen Ausrichtung auf Linux-Services, hin zu Lösungen mit den Schwerpunkten Security und Hochverfügbarkeit. Innominate-Chef Leiteritz: „Open-Source-Software wird in Mission-Critical-Umgebungen eine Alternative zu Unix-Systemen.“ Linux erobert nach den Web-Servern die Applikations-Server.

In dem Maße, in dem Linux in die Zentralen der Unternehmens-DV vordringt, wachsen auch die Anforderungen an ein professionelles Management der Firmen in diesem Markt. ID-Pro-Investor Kirchhoff: „Wenn der Gründer nicht anfängt, sich das betriebswirtschaftliche Know-how, den Kaufmann und den Administrator zu holen, kann er mit seinem ganzen Talent nicht weiterkommen. Man kann heute nicht alles lernen, also muss man sich die Leute holen, die etwas beisteuern können. Um erfolgreich zu sein, muss man Macht und Einfluss teilen.“ Bedauernd weist Riek darauf hin, bei ID-Pro hätten Open-Source-Spezialisten kaufmännische Entscheidungen fällen müssen. Innominate sei diesbezüglich schon länger professioneller geführt.

In der Tat kommt bei den Berlinern der Finanzchef Jens Arnold von der DG Bank, der neue Chief Operating Officer Roland Markowski hat jahrelange Management-Erfahrungen in der IT-Industrie und war zuletzt Deutschland-Chef von Linuxcare. Dafür verließ beim Umbau des Vorstands im letzten Dezember Mitgründer Sascha Ottolski das Unternehmen. Gute Voraussetzungen, die Investoren beruhigen. Keine der vier an Innominate beteiligten Finanzgruppen denkt dem Vernehmen nach an einen Rückzug. Das ist umso erstaunlicher, als „die Möglichkeiten für Linux-Firmen, an die Börse zu gehen, heute um Größenordnungen schlechter sind als vor einem halben Jahr. Damit sind für Investoren die Aussichten auf Re-finanzierung nicht mehr so gegeben“, meint ein Insider, der nicht genannt werden will. „Innominate war auf Börsengang ausgelegt, aber bleibt erst einmal fremdfinanziert.“ Der Grund für die Ausdauer der Geldgeber ist schnell auszumachen. Linux gilt bei allen Investoren unverändert als höchst interessanter Markt mit vielen Chancen für neue Firmen. „In absehbarer Zeit können Linux-Firmen durchaus wieder an die Börse gehen“, meint ID-Pro-Investor Ruppel. Sein Leidensgenosse Kirchhoff teilt die Ansicht: „Open Source wird – das ist für mich überhaupt keine Frage – auf die Dauer immer mehr Fuss fassen.“ Linux sei „ein Trend, der weitergehen wird“.

Keineswegs hätten die schlechten Nachrichten der letzten Zeit den Linux-Markt verbrannt, meint auch Knorr-Capital-Manager Hohenlohe: „Weder ist dieses Segment uninteressant, noch wird in Linux nicht investiert.“ Nach einem Hype kehrten die Investoren wie in anderen Bereichen lediglich auf den Boden der Realität zurück. „Prinzipiell glauben wir an den Gedanken von Open-Source-Technologien, keine Frage. Linux ist ein Bereich, der unseres Erachtens immer noch stark im Kommen ist.“ Der Grund sei einfach darin zu sehen, dass immer mehr Anwenderunternehmen aus Kostengründen oder um Unabhängigkeit von Microsoft zu wahren auf Linux setzten. Hohenlohe: „Dabei ist natürlich Beratung notwendig. Einen Microsoft-Berater zu finden ist nicht schwer, einen für Linux zu finden allerdings. In dieser Hinsicht ist das ein interessantes Geschäft.“ Allerdings gelte es für Startups in diesem jungen Markt, alte unternehmerische Maximen zu beachten: „Wettbewerbsvorteil, Management und Markt“. Hohenlohe: „Firmen, die ihren Kunden einen echten Nutzen bieten, die einen Wettbewerbsvorteil haben und in denen das Management stimmt, werden auch weiterhin Erfolg haben.“