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Staatsanwälte überfordert

"Kriminalisierung aller Filesharer macht keinen Sinn"

05.08.2008
Von pte pte
Die Großen hängt man, die Kleinen lässt man laufen - das ist notgedrungen der Plan der Musikindustrie gegen die Filesharer. Manchmal geht er nicht auf.

"Die Verfehlung der Nutzer von Tauschbörsen ist einfach zu gering, um den ganzen Rechtsstaat draufzuwerfen", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" eine Berliner Oberstaatsanwältin in einem kürzlich veröffentlichten Interview. Die Juristin richtet sich mit dieser Aussage gegen die Praxis der sogenannten Abmahnanwälte und bezieht sich auf das grundsätzlich nicht-kommerzielle Interesse der "normalen" Filesharer. Dass neben diesen aber auch "Intensivtäter mit erheblicher krimineller Energie" in P2P-Netzwerken ihr Unwesen treiben und so das illegale System mit millionenfachen Downloads erst in Schwung bringen, zeigen zwei Fälle der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU). So flog erst diesen Monat in Leizpig ein Tauschbörsennutzer auf, der seit Februar 2007 mit 4,1 Terabyte ein Volumen von etwa 4.100 Filmdateien in ein Bit-Torrent-Netzwerk hochgeladen hatte. Auch der Ersteinsteller des Films "Das Parfum", bei dem Beamte bereits im Jahr 2006 Rechner und etwa 600 gebrannte Datenträger beschlagnahmt hatten, wurde vom Amtsgericht Neuss zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verdonnert.

"Die GVU konzentriert sich in ihrem rechtlichen Vorgehen vor allem auf die Täter an der Spitze der illegalen Verbreitungspyramide, die Ausgangspunkte für die massenhaften Downloads", erklärt Christian Sommer, Vorstandsvorsitzender der GVU. Die Praxis einiger Abmahnanwälte, die versuchen würden, auch kleinere Online-Piraten zur Rechenschaft zu ziehen, sei "zweifelhaft und oftmals kurzsichtig". "Aber auch und gerade in Kenntnis der angespannten Personallage der Strafverfolgungsbehörden dürfen Rechteinhaber nicht schutzlos gestellt werden", betont Sommer. Hier seien vor allem die Gesetzgeber und die Politik in der Verantwortung. In diesem Zusammenhang gibt Sommer zu bedenken, dass auch im Fall von Intensivtätern das wahre Ausmaß der Urheberrechtsverletzungen erst im Laufe des Verfahrens, nach erfolgter Durchsuchung und Rechnerauswertung, sichtbar werde.

"Das Problem, der illegalen Praxis des Filesharings im Internet entgegenzutreten, ergibt sich aus der unendlichen Masse an Tauschbörsennutzern", stellt GVU-Pressesprecherin Christine Ehlers auf Nachfrage von pressetext fest. Ein Verfolgungsausmaß, bei dem jeder "normale" Filesharer gleich kriminalisiert wird, sei nicht sinnvoll und würde zudem eine unlösbare Aufgabe für die Strafverfolgungsbehörden darstellen. "Wir plädieren stattdessen für eine Ergänzung des bestehenden Instrumentariums durch einen abgestuften Sanktionsmechanismus unter Einbeziehung der Internetprovider", fasst Ehlers zusammen. Bei dem als "Graduated Response" bekannten Verfahren sollen betroffene Nutzer zunächst per Warn-E-Mail auf die Rechtswidrigkeit ihres Handelns hingewiesen werden. Im Falle von weiteren Verstößen drohen stufenweise Sanktionen, wie etwa eine Einschränkung der Internet-Bandbreite.

Ähnliche Abmahnmodelle finden sich derzeit bereits in Frankreich und in Großbritannien. "Dieser Ansatz der Abschreckung wird nicht bei allen Tauschbörsennutzern funktionieren, Kriminelle wird man mit diesem Verfahren sicher nicht erreichen", meint Ehlers. Dass diese Methode aber vor allem bei Jugendlichen eine sinnvolle abschreckende Wirkung entfaltet, zeigt eine Studie des britischen Marktforschungsinstituts Entertainment Media Research aus dem Jahr 2007. Demnach würden 78 Prozent der befragten männlichen Teenager das illegale Downloaden infolge einer schriftlichen Warnung durch ihren Provider einstellen. (pte)