Wann die Grenze überschritten ist

Krankfeiern und blaumachen - ein Kündigungsgrund?

15.12.2009
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Vollbeweis der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitnehmer

Klagt der Arbeitnehmer den Lohn für den Entgeltfortzahlungszeitraum bei Gericht ein, kann er nun nicht mehr bloß die AU-Bescheinigung vorlegen, da diese ihren Beweiswert verloren hat. Vielmehr muss er nun einen ausführlichen Tatsachenvortrag zu seiner Erkrankung liefern, seinen behandelnden Arzt als Zeugen benennen und diesen gegenüber dem Gericht von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden.

Das Gericht muss den Arzt dann im Rahmen einer Beweisaufnahme im Einzelnen nach Diagnose, Krankheitsverlauf und Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit am konkreten Arbeitsplatz befragen. Ferner wird der Arzt mit dem Ergebnis der Untersuchung des medizinischen Dienstes konfrontiert und muss hierzu Stellung nehmen. Selbstverständlich können verschiedene Ärzte über den Gesundheitszustand eines Menschen durchaus unterschiedlicher Auffassung sein. Verbleiben jedoch Restzweifel, so gehen diese zu Lasten des Arbeitnehmers, da dieser für seine Arbeitsunfähigkeit beweispflichtig ist. War die Arbeitsunfähigkeit aber tatsächlich vorgetäuscht, wird ein Arbeitnehmer einen solchen Prozess eher scheuen, da er weiß, dass er den Beweis nicht erbringen kann.

Allerdings hat die Sache oftmals einen Haken: Die Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass der medizinische Dienst nicht immer unmittelbar sofort tätig wird. Zumeist wird ein Termin innerhalb der nächsten 7 bis 14 Tage mit dem Betroffenen zu einer medizinischen Untersuchung vereinbart - bei Kurzerkrankungen kann die Einschaltung des medizinischen Dienstes daher ein stumpfes Schwert sein. Im Falle auffällig häufiger Wiederholungen ist daher anzuraten, mit dem medizinischen Dienst ein schnelleres Vorgehen abzusprechen.

Neben der Einschaltung des medizinischen Dienstes kann nämlich auch das Vorliegen anderer Indizien den Beweiswert der AU-Bescheinigung ebenfalls so stark erschüttern, dass der Arbeitnehmer den Vollbeweis seiner Arbeitsunfähigkeit erbringen muss. Hierzu zählen u.a. häufiger Arztwechsel, wiederholte gemeinsame und gleichzeitige Erkrankung von Ehegatten oder ausländischen Arbeitnehmern im Anschluss an den Urlaub, Nichtbefolgung einer Vorladung zur Untersuchung des Vertrauensarztes oder des medizinischen Dienstes oder die Durchführung von beschwerlichen Reisen oder strapaziösen sportlichen Betätigungen während der Arbeitsunfähigkeit.

Noch keine Berechtigung zum Ausspruch einer Kündigung

Wohlgemerkt: Das Vorliegen solcher Indizien führt nur dazu, dass der Arbeitnehmer den Vollbeweis seiner Arbeitsunfähigkeit erbringen muss und der Arbeitgeber bis dahin die Entgeltfortzahlung für die Dauer der vermeintlichen Arbeitsunfähigkeit einstellen kann. Dagegen berechtigt dies für sich genommen nicht zum Ausspruch einer Kündigung.

Fehlen jegliche Beweise für das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit, hegt der Arbeitgeber aber aufgrund der gesammelten Indizien diesen Verdacht, wäre an den Ausspruch einer sog. Verdachtskündigung zu denken. Doch Vorsicht: Die Rechtsprechung hat strenge Voraussetzungen an die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung geknüpft, da mit diesem Mittel der Arbeitnehmer allein aufgrund eines Verdachts seinen Arbeitsplatz verlieren kann. Es müssen im Zeitpunkt der Kündigung objektive, nachprüfbare Tatsachen vorliegen, aus denen sich der dringende Verdacht einer Vertragsverletzung von erheblichem Gewicht ergibt, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber schlichtweg unzumutbar macht. Da aber lediglich Indizien vorliegen, die einer Interpretation zugänglich sind und daher durchaus unterschiedlich bewertet werden können, scheitert eine Verdachtskündigung in aller Regel bereits daran, dass keine objektiven und nachprüfbaren Tatsachen vorliegen.