Kostet die elektronische Gesundheitskarte viel mehr als geplant?

28.11.2006
Einer Kosten-Nutzen-Analyse der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton zufolge wird sich die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte erst in etwa acht bis neun Jahren rechnen. Bis dahin übersteigen die Kosten bei weitem den Nutzen.

Die Berater machen folgende Rechnung auf: Die Gesamtkosten - also die Investitionen ebenso wie der Betrieb über fünf Jahre - belaufen sich für den Aufbau der Telematik-Infrastruktur (TI) auf zirka 2,8 Milliarden Euro. Dieser Wert könne zwischen einem Minimum von 2,4 Milliarden und einem Maximum von 3,6 Milliarden Euro schwanken. In dieser Berechnung sind die Kosten für die Verteilung der Gesundheitskarten an die Bürger allerdings nicht berücksichtigt. Diese belaufen sich auf zusätzlich etwa 585 Millionen Euro.

Die größten Kostentreiber der Telematik-Infrastruktur seien das Primärsystem, die Gesundheitskarte und die Konnektoren, die in Arztpraxen und Apotheken die Verbindung zwischen Karteneingabegerät und Infrastruktur aufbauen. Sie machen zusammen fast 75 Prozent der Aufwendungen aus. Das Primärsystem schlägt mit zirka einer Milliarde Euro zu Buche, die überwiegend für den Betrieb und hier die Lizenzkosten für die deutschlandweit fast 800.000 mobilen und stationären Gesundheitskarten-Arbeitsplätze in Arzt- und Zahnarztpraxen, Apotheken und Krankenhäusern anfallen. Diese Arbeitsplätze müssen ausgestattet und gewartet werden. Darüber hinaus beinhaltet dieser Wert auch die Kosten für den Netzzugang der Primärsysteme.

Die Gesundheitskarte selbst verursacht Kosten in Höhe von rund 650 Millionen Euro. Die Autoren summieren hierunter die Ausgaben für alle Ersatzkarten und die damit verbundenen Kosten für das Anschreiben, die Datenerfassung, den Versand, das Karten- und Applikations-Management und auch für die Call-Center-Unterstützung, das heißt, eine Hotline für Versicherte.

Da aufgrund der vorliegenden Projektspezifikation der Sicherheitsanforderungen davon ausgegangen wird, dass alle ungefähr 80 Millionen Karten nach vier Jahren ausgetauscht werden müssen, rechnet Booz Allen Hamilton mit weiteren Ausgaben von 348 Millionen Euro.

Die Konnektoren verursachen Kosten von etwa 400 Millionen Euro. Hierbei sind vor allem die 200.000 Konnektoren in Arzt- und Zahnarztpraxen, Krankenhäusern und Apotheken berücksichtigt. Hinzu kommen Wartungskosten für Konnektor-Software und -Hardware über den gesamten Zeitraum von fünf Jahren.

Alle Anwendungen sind defizitär, aber...

Booz Allen Hamilton kommt als Fazit der Fünf-Jahres Betrachtung zu dem Ergebnis: "Sämtliche Anwendungen sind defizitär". Nach den Berechnungen werden die Kosten den Nutzen der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in den ersten fünf Jahren um 818 Millionen Euro übersteigen.

Allerdings wendet sich das Blatt bei der Zehn-Jahres-Langfristbetrachtung. Dann werde deutlich, dass erst "zwischen Jahr acht und neun" die Kosten-Nutzen-Rechnung ins Positive schwenkt. Der Nutzen könne dann erheblich sein und die Kosten um rund 500 Millionen Euro überschreiten.

Allerdings schränken die Autoren diese Aussage wieder ein: Eine positive Wendung von Aufwand und Nutzen für die Langfristbetrachtung sei vor allem dann zu erreichen, wenn man die Effekte von Anwendungen einrechnet, die bislang nicht verbindlich eingeführt werden müssen - etwa wegen Vorgaben aus dem Europarecht.

Zu den so genannten "verpflichtenden Anwendungen" gehören die Versichertenstammdaten, die europäische Krankenversichertenkarte "Ehic" sowie die Anwendung "eVerordnung". Sie alle müssen innerhalb eines Jahres eingeführt sein.

Anders vrhält es sich mit freiwilligen Anwendungen: Hierzu zählen etwa die Speicherung von Notfalldaten und Daten zur Prüfung der Arzneimitteltherapie-Sicherheit auf der elektronischen Gesundheitskarte. Die Bundesregierung stellt sich vor, dass diese Daten ebenfalls in einem Zeitraum von einem Jahr auf der Gesundheitskarte gespeichert sein sollten. Bis die Anwendungen "eArztbrief" und "ePatientenakte" (beide innerhalb von sechs Jahren) und "Patientenquittung" sowie "Patientenfach" (acht Jahre) auf der Karte gespeichert werden, vergeht sogar noch viel mehr Zeit.

Den Autoren zufolge resultiert der Hauptnutzen aus der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und der hierfür nötigen IT-Infrastruktur aus den freiwilligen Anwendungen. Das Problem dabei: "Sie sind derzeit entweder noch gar nicht oder nur ungenügend spezifiziert."

Booz Allen Hamilton vertritt deshalb die Meinung, dass die freiwilligen Anwendungen wegen des "großen Nutzenpotenzials möglichst frühzeitig eingeführt werden" sollten. (jm)