Kostenkontrolle in der DV: Alte Methoden greifen nicht

27.11.1992

Investitionen und Gemeinkosten der Datenverarbeitung explodieren, obwohl die Hersteller Produktivitätssteigerungen durch Neuanschaffungen versprechen. Die Gründe sind nicht leicht einzusehen: Preisdiktate funktionieren nicht mehr, weil es kostengünstigere Alternativen und die Möglichkeit gibt, die Betriebssystem-Welt zu wechseln. Softwarehäuser und Dienstleister sind in so großer Zahl am Markt vertreten, daß Preisvergleiche Erfolg versprechen. Naheliegender Schluß: Die Anwender geben unnötig viel Geld aus.

Exakt das ist der Fall, bestätigt Gerhard Sundt, Technologieforscher und -berater der Gartner Group GmbH aus Pfaffenhofen. Ein spezielles DV-Controlling funktioniere heute noch fast gar nicht. Zwar seien entsprechende Abteilungen vorhanden, es mangele jedoch an qualifizierten Kräften. Die Ausnahmen von dieser Regel, urteilt Sundt, könne man "an den Fingern der schlechten Hand von Captain Cook abzählen: eine oder zwei" sind es seines Wissens. Er weiß auch, woran das liegt: an den hohen Anforderungen an einen Computer-Kostendämpfer. Dieser muß "strategische" Branchenkenntnis, also Wissen um künftige Technologie-Entwicklungen besitzen und diese Informationen vorab "aus den Herstellern herauskitzeln". Er habe, so Sundt, auch zu erkennen, wann die Zeit einer DV-Technologie abgelaufen sei, denn im Ersatz veralteter Applikationen liege das größte Rationalisierungspotential überhaupt.

Zudem sollte der Controller Finanzexperte sein, der oft ohne die Instrumente auszukommen hat, die den Kollegen aus anderen Branchen zur Verfügung stehen. Für die Kosten-Nutzen-Bewertung einer Client-Server-Anwendung, zum Beispiel sieht Sundt heute noch kein geeignetes Instrumentarium. Bei der Untersuchung, wie oft die Server-Teile einer Architektur wiederverwendet werden können, um einen realistischen Wert ansetzen zu können, stehe der Verantwortliche häufig noch im Regen. Ohne "ein sehr gutes Ohr an der Technologieschiene" - das Spezialanbieter wie die Gartner Group im übrigen ausleihen würden - , ohne verläßliche Prognosen über kommende Entwicklungen, bleibt ein Anwenderunternehmen nach Einschätzung des Beraters am Überkommenen hängen: "Wer nur eine Kosten-Nutzen-Analyse einer einzigen Client-Server-Anwendung erstellt, der wird sich nie dafür entscheiden, weil monolithische Anwendungen immer billiger aufzusetzen sind."

Peter Schneider, Geschäftsführer der Münchner System Performance GmbH, bestätigt diese These am Beispiel eines alten DV-Hasen, der sich seine Mainframe-basierte Herrschaft nicht nehmen lassen wollte und den Controller mit einem "einfachen Bauerntrick übertölpelte": Der Controller habe Spareffekte für den Fall vorgerechnet, daß CAD und Textverarbeitung vom Host heruntergeladen würden. Die normalerweise anstehende Mainframe-Neubeschaffung wäre damit überflüssig geworden - für den prestigebewußten DV-Veteranen ein unerträglicher Gedanke. Also machte er eine Gegenrechnung mit einem Gebrauchtsystem auf, und schon, so Schneider, "paßte es wieder für ihn" - allerdings nur auf den ersten Blick. Daß die angeschaffte CPU-Kapazität völlig überdimensioniert war, entging dem überforderten Kostenwächter.

Anders als unter einem idealen Controlling fühlen sich IT-Manager in der Praxis oft von der Kostenpolizei ihrer Unternehmen geschurigelt, stellt Schneider fest. "Wenn das Controlling einfach nur nachrechnet, ob der DV-Leiter sein Budget einhält, dann bläst der das natürlich von vornherein auf. Da gibt es dann so klassische Titel wie, Performance-steigernde, unvorhergesehene Maßnahmen, und da kann man natürlich alles reindrücken."

Herkömmliche Kosten-Nutzen-Berechnungen und traditionelle Budgetierungsverfahren können also in der Computerei trügerisch und nutzlos sein; diese Ansicht ist immer weiter verbreitet. Ein Informatikexperte einer Frankfurter Consulting-Firma, der nicht genannt werden möchte, hält es für sinnvoll, den Nutzen der DV und ihrer Komponenten für die Unternehmensstrategie als Bewer- tungsgrundlage heranzuziehen. So eine "strategische Nutzenbetrachtung" sei in ihrer Aussagekraft weit höher einzuschätzen als eine Quantifizierung des Return on Investment.

Nur dediziertes Informationstechnik-Controlling könne eine strategische Perspektive eröffnen. Die Frage nach dem Return on Investment sei wegen der horizontalen Wirkung von DV-Ausgaben in der Regel der falsche Ansatz, denn "den Return erfährt ja nur die Fachabteilung, während die DV-Abteilung lediglich sagen kann, was an Aufwand, an Budgetabfluß dahintersteckt", so der Experte vom Main.

Für die verantwortlichen Datenverarbeiter bedeutet das womöglich, daß sie nicht nachweisen können, wofür sie im Unternehmen gut sind. Aus dieser Malaise kämen sie nur durch einen qualifizierten Controller im Rücken heraus, meint Sundt. Dieser könne das Image der DV, ein Groschengrab zu sein, aufpolieren und den erbrachten Nutzen transparent zu machen helfen. Aversionen der Datenverarbeiter gegen fähige Kostendetektive hält er daher für völlig unangebracht.

Eine Controlling-Abteilung muß nicht immer mit dem Rechenschieber an strategische, unverzichtbare DV-Investitionen herangehen. Statt dessen solle, meint Sundt, öfter der Mut aufgebracht werden, aufgrund von Plausibilität für oder gegen eine Investition zu votieren. Beschäftigungslos sind die Budgethüter gleichwohl auch dann nicht, meint der Frankfurter Informatik-Berater. "Die Aufgabe des Controlling besteht darin, im Vorfeld zu bewerten, ob Investitionsanträge überhaupt sinnvoll, schlüssig und im Einklang mit der Unternehmensstrategie sind.

Als geeigneten Ansatz eines weitsichtigen Controlling sieht Sundt die Heranziehung von "Opportunity Costs". Die Frage dabei ist, welche Möglichkeiten der Produktivitätssteigerungen einem Unternehmen entgehen, wenn es eine Investition nicht tätigt. Diese "Hoffnungszahlen" werden gegen die primären Kosten einer Investition aufgerechnet - ein Vorgehen, mit dem herkömmliche Finanzexperten in den Unternehmen Probleme haben, wie Sundt beobachtet: Deren Macht bestehe darin, "daß sie Kosten zurückschrauben, und das geht nur, wenn sie Opportunities einfach unter den Tisch fallen lassen."

Die Esslinger Festo KG betreibt seit zwei Jahren eine "strategische Investitionsplanung mit dedizierten Controlling-Bereichen". Albrecht Salm, Kostenwächter im Bereich Telekommunikation und Datennetze, berichtet es werde "Kostentransparenz" angestrebt. Strukturelle Voraussetzung dafür sind auf die DV-Subsysteme bezogene Kostenstellen: Host, Token-Ring-Netze, Ethernets und CAD-Systeme. Horizontale Applikationen innerhalb der DV, deren Nutzen nur die DV-Mitarbeiter bemerken, nicht aber die Anwender, werden ebenfalls dingfest gemacht. Das gilt beispielsweise für die zentrale Dokumentation aller Installationen und Netztopologien.

Wie die anderen DV-Unterabteilungen verfolgt Salms Bereich zum Teil den von Sundt geforderten Opportunity-Ansatz. So ließe sich der Nutzen einer Netzwerk-Management-Lösung - diese Investition stand vor kurzem bei Festo an - nur schwer fassen. Um den Wert dennoch transparent zu machen, erstellte der Communications-Controller "eine Nutzenhypothese auf der Basis der Netzausfall-Kosten pro Minute". Auch bei der ISDN-Integration habe man hypothetisch gefragt, was dem Unternehmen im Fall des Verzichts entgehen könnte. Einfacher sei die Bewertung von anderen Investitionen, zum Beispiel für ein Token-Ring-Interface: "Die vergleichen wir einfach mit den Kosten einer Datenleitung und können den Spareffekt so auf Heller und Pfennig ausrechnen."

Probleme macht bei Festo die Diversifizierung der Anwendungen in den Fachabteilungen und in den Auslands-Niederlassungen, die sich dem DV-Controlling entzögen, so Salm. "Die Leute können machen, was sie wollen, aber wir wollen das - mit Glück - ab dem nächsten Jahr ändern." Zwar stehe er mit seinem Budget nicht für Informationstechnik-Ausgaben der Fachabteilungen und Auslandsstandorte gerade, aber die Kosten-Nutzen-Relation der Unternehmens-DV insgesamt verschlechtere sich natürlich.

Vom gleichen Problem berichtet Alois Lutz, Abteilungsdirektor DV-Betrieb bei der LVM Versicherungen AG in Münster. Die Auswirkungen seien allerdings nicht so gravierend, daß akuter Handlungsbedarf vorliege: "Wenn wir feststellen, daß eine Fachabteilung zu viele CPU-Ressourcen verbraucht, dann sprechen wir mit denen, um das abzustellen."

Die Versicherung kommt ohne eine spezielle Controlling- Abteilung für die Datenverarbeitung aus. Für die Wirtschaftlichkeit der Informationsverarbeitung sind die beiden Abteilungen DV-Organisation und DV-Betrieb verantwortlich.

Die Applikationen werden projektorientiert von der DV/Org. in Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber, der jeweiligen Fachabteilung, entwickelt, schildert Lutz. Der DV-Betrieb verantwortet die systemseitige Hard- und Softwareinstallation sowie die Produktionsdurchführung. Beide DV-Abteilungen sind also Serviceanbieter, deren Wirtschaftlichkeit durch Kostentransparenz meßbar ist, stellt der Versicherungsmann fest. Zusätzlich prämieren die LVM-Datenverarbeiter Verbesserungsvorschläge der Mitarbeiter.

Auch die DV-Abteilung der AOK München unter Wolfgang Rothmeier unterliegt keiner eigenen Controlling-Institution. Allerdings ist eines der Mitglieder der Geschäftsleitung ständig auf dem laufenden, was Informationstechnik angeht. Rothmeier sieht sich also nicht in der "durchaus vorstellbaren" Rolle eines DV-Leiters, dem niemand auf die Schliche kommt, wenn er seine Machtposition gegenüber den Anwendern zu Lasten der Kosten-Nutzen- Relation zementiert, wie von Schneider geschildert.

Jedes Investitionsvorhaben wird der AOK-Spitze zur Befürwortung vorgelegt. Zusätzlich holt sich Rohtmeier, allerdings auf informeller Basis, Anregungen von Kollegen aus anderen AOK-Stellen vergleichbarer Größe. Auf diese Weise kann er von Vorleistungen etwa der AOK Mittelfranken profitieren, wenn diese ein Projekt schon abgeschlossen hat, das für ihn, erst noch aktuell wird.

Gute Ergebnisse bringt das betriebliche Vorschlagswesen der AOK, so Rohtmeier Erfahrung: Gerade die Anwender in den Fachabteilungen regten oft Verbesserungen an, die mit relativ geringem Umfang zu implementieren, aber dennoch positiv kostenwirksam seien.

Gleichwohl wird dieses Ausmaß der Investitionsplanung und Kostendämpfung in der Gesundheits-DV auf die Dauer nicht reichen, weiß der Münchner Datenverarbeiter. Er erwartet, daß in der geplanten neuen Struktur der Allgemeinen Ortskrankenkassen stringentere Mechanismen der Kostenkontrolle und Investitionsplanung eingeführt werden. Einheitlichkeit der DV in den AOK-Bezirken bundesweit, Synergien zwischen ihren Entwicklungspotentialen und günstigere Voraussetzungen für das Kosten Management seien das Ziel.