Satelliten-System soll virtuelle Privatnetze integrieren:

Kopernikus bereitet sich auf sein Debüt vor

26.06.1987

Während in den USA Satellitenfunkstrecken bereits seit Jahren die Kommunikationslandschaft durchziehen, engagiert sich Europa erst jetzt mit dem französischen "Telecom 1" und dem bundesdeutschen Kopernikus" in diesem Bereich der Datenübertragung. Wenn das für "DFS-Kopernikus" zuständige Konsortium seinen Zeitplan einhält, soll der Anwender Ende dieser Dekade per Satellit Informationen austauschen können.

Für den Aufbau eines nationalen Fernnetzes stehen als Bausteine die Übertragungsmedien Kabel (Koaxial- und Glasfaserkabel), Richtfunk und Satellitenfunk zur Verfügung. Jedes dieser Medien hat typische Einsatzgebiete; darüber hinaus ist eine beschränkte gegenseitige Substitution für Übergangslösungen und Ersatzschaltungen möglich.

Satellitenfunknetze eignen sich besonders für

- "flächenhafte" Verteildienste (zum Beispiel Fernsehen, Rundsendedienste für Daten, Wetterkarten),

- Überwindung von großräumigen Hindernissen,

- Ersatzschaltmöglichkeit und Spitzenlastausgleich für terrestrische Strecken,

- flexiblen, flächendeckenden Netzbetrieb, insbesondere im Rahmen der Einführung neuer Netze.

In der Aufgabenstellung des Deutschen Fernmeidesatellitensystems "Kopernikus" sind alle diese Elemente erkennbar. Der Satellit wird Fernsehprogramme an örtliche Kabelnetze verteilen. Er wird Nachrichtenverbindungen der Bundespost mit Berlin (West) ergänzen, und zwar (im Unterschied zu Kabel- oder Richtfunklinien), ohne daß Einrichtungen auf dem Territorium der DDR benutzt werden. Und schließlich wird unter dem Namen "Neue Dienste" ein flächendeckendes, diensteintegrierendes Satellitenfunknetz geschaffen, das erstmalig Teilnehmer-Wählverkehr mit Raten bis zu 2 Megabit pro Sekunde ermöglichen wird.

Das Netz für neue Dienste ist ein leitungsvermitteltes öffentliches Wählnetz für Telefon und Daten. Datenteilnehmer benutzen eine Wählschnittstelle nach CCITT-Empfehlung X.21 (wie bei Datex-L), jedoch mit Geschwindigkeiten von 64 Kilobit bis zu 2 Megabit pro Sekunde.

Europäische Alternative zu firmeneigenen WANs in USA

Teilnehmeranschlüsse können bei ihrer Einrichtung mit individuellen Zugangsberechtigungen ausgestattet werden. Mit Hilfe des Leistungsmerkmals "geschlossene Benutzergruppe" (Closed User Group) können durch Eintrag in die Teilnehmerdatei virtuelle "Privatnetze" mit oder ohne Zugangsmöglichkeit zum öffentlichen Netz definiert werden. Das ist die europäische Alternative zu den in den USA häufigen, physikalisch getrennten, firmeneigenen Weitverkehrsnetzen. Sie hat den Vorteil, daß dem "Privatnetz" unabhängig von seiner Größe die gesamte Kapazität, die Ersatzwege und die Leistungsmerkmale des öffentlichen Netzes zur Verfügung stehen.

Beim Aufbau der einzelnen Verbindung kann der Teilnehmer zwischen einer Simplex- oder einer Duplex-Verbindung wählen, er kann eine Punkt-zu-Mehrpunkt-Verbindung zum Rundsenden von Daten an mehrere Empfänger aufbauen oder Verbindungen mit verbesserter Bitfehlerquote anfordern. Damit läßt sich der Durchsatz des vom Teilnehmer selbst verwendeten Fehlersicherungsverfahrens steigern.

Für nicht wählfähige Endgeräte (zum Beispiel Video-Codecs) oder für einmalige oder regelmäßige zu einer bestimmten Zeit benötigte Verbindungen (zum Beispiel Konferenzen, Zeitungsferndruck) gibt es neben dem Wählverkehr auch einen Reservierungsdienst. Die gewünschte Verbindung wird zur gebuchten Zeit automatisch bereitgestellt.

Bei den Fernsprechverbindungen wird davon ausgegangen, daß der Teilnehmer eine Nebenstellenanlage besitzt. Als Schnittstelle wird daher der heute gültige Nebenstellenanlagen-Anschluß mit Impulswahl benutzt. Das Netz schaltet bei Sprachverbindungen automatisch an beiden Enden Echokompensatoren zu, die eine ausgezeichnete Gesprächsqualität ergeben.

Dieses Netz für neue Dienste benutzt ein DA-TDMA-System (demand assigned, time division multiple access: bedarfsgesteuerter Zugriff im Zeitvielfach). In einem TDMA-System sendet jede Erdfunkstelle mit der möglichen Höchstgeschwindigkeit (hier sind es 60 Megabit pro Sekunde) zum Satelliten, jedoch nur einen kurzen Impuls (Burst) lang. Die Bursts aller Stationen folgen zyklisch aufeinander; ein Zyklus (TDMA-Rahmen) dauert im DFS-System 18 Millisekunden. Damit das System funktioniert, besitzt es außer den "Anschlußstationen" für den Teilnehmerverkehr zwei "Referenzstationen". Sie senden Referenzbursts, die das Netz synchronisieren und auch dem Fernwirkbetrieb der Anschlußstationen dienen.

Andere TDMA-Technik als bei Intelsat und ESA

Die TDMA-Technik bei Kopernikus unterscheidet sich von der bei Intelsat und ESA üblichen vor allem dadurch, daß die Funkwege für eine bestimmte Verkehrsbeziehung erst beim Verbindungsaufbau automatisch eingerichtet und beim Auslösen der Verbindung wieder abgebrochen werde. Dieses "Demand Assignment" erfordert, daß sich die einzelne Anschlußstation zum Verbindungsaufbau über Zeichengabekanäle mit den anderen Anschlußstationen (und mit der Referenzstation als zentraler TDMA-Verwaltung) verständigt, im welcher Stelle des TDMA-Rahmens der Burst für jede Richtung einer aufzubauenden Verbindung liegen wird. Obwohl das Netz "Neue Dienste" im Satelliten zwei (bis vier) Transponder benutzt, sendet jede Anschlußstation nur auf einer der Transponderfrequenzen. Die volle gegenseitige Erreichbarkeit aller Stationen wird dadurch hergestellt, daß der TDMA-Empfänger zwischen den Transponderfrequenzen hin- und herspringt.

Im zentralen Pool Kapazität anfordern

Der Verbindungsaufbau im Netz "Neue Dienste" ist zunächst dezentral, das heißt, er geschieht nur zwischen den beiden beteiligten Anschlußstationen. Ist die für eine Station global bereitgestellte Verkehrskapazität erschöpft, so kann die Anschlußstation als zweite Stufe des " Demand-Assignment" -Algorithmus von der Referenzstation Kapazität in einem zentralen "Pool" anfordern.

Der Hauptauftrag für das System DFS-Kopernikus im Wert von 815 Millionen Mark wurde von der Deutschen Bundespost Ende 1983 an ein Konsortium deutscher Firmen unter

der Führung von Siemens vergeben. Mitglieder des Konsortiums sind ANT Nachrichtentechnik (Satelliten-Nutzlast), MBB/ERNO (Satelliten-Raumfahrttechnik), SEL (Vermittlungstechnik), Siemens (Bodenstationen). Der Auftrag umfaßt unter anderem die Lieferung von zwei Satelliten, den Bau von zwei großen Erdfunkstellen für den (neuen) Frequenzbereich 20/30 Giga-Hertz in Usingen und Berlin und die Errichtung des TDMA-Netzes für Neue Dienste mit zunächst 30 Anschlußstationen und den zentralen Einrichtungen. Der Start der Satelliten sowie weitere Bodeneinrichtungen wurden von der Deutschen Bundespost in getrennten Aufträgen vergeben.

Satellitenstart für Mitte 1988 geplant

Nachdem bereits Ende 1985 eine erfolgreiche Übertragung mit Satellitentranspondern, Erdfunkstellen-Geräten und TDMA-Modem 3 nachgewiesen wurde, sind im vergangenen Jahr in München auch die Vermittlungstechnik von SEL und die DATDMA-Technik von Comsat in einem kleinen Versuchsnetz zusammengeführt worden.

Die Entwicklung der Satelliten und der Bodeneinrichtungen ist jetzt abgeschlossen. Die Geräte des ersten Satelliten sind gefertigt, der Satellit befindet sich in der Integration. Mit dem Start wird, abhängig auch vom Fahrplan der Ariane, ab Mitte 1988 gerechnet. Die Erdfunkstellen 20/30 Giga-Hertz sind fertig, die Anschlußstationen für Neue Dienste werden Zug um Zug (zwei Systeme monatlich) zur Abnahme bereitgestellt. Die beschriebenen Dienste dürften demnach im Laufe des Jahres 1989 für den Teilnehmer zur Verfügung stehen.

Literatur: NTZ Themenheft "Deutsche Nachrichtensatelliten", September 1987.

*Helmut Mahner ist Technischer Projektleiter für das DFS-Konsortium und für den Siemens-Anteil bei DFS. Er ist Mitarbeiter der Siemens AG, München.