Kooperation statt Konfrontation

17.08.1990

Ost und West zwei Blökke, die sich über 40 Jahre in Konfrontation, anders ausgedrückt, in einer mehr oder minder scharfen Form des Kalten Krieges gegenüberstanden, versuchen sich nun in Kooperation. Möglich wurde dies durch das Erstarken des Westens, vor allem in der EG, durch Gorbatschows Perestroika und Glasnost und die friedfertigen und erfolgreichen demokratischen Freiheitsbewegungen der letzten Jahre in Osteuropa. Das vielbeschworene Ende der Nachkriegsordnung ist jetzt da. Die Spaltung Europas, unter der besonders die Deutschen gelitten haben, wird überwunden .

Die friedliche Revolution in Osteuropa überlagert eine friedliche Revolution anderer Art: nämlich die Vollendung des EG-Binnenmarktes in absehbarer Zeit. Denn die EG ist auf dem Weg, sich zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum zu entwickeln. Die ökonomischen Verflechtungen der westeuropäischen Volkswirtschaften und Unternehmen nehmen kontinuierlich zu: Fast 75 Prozent unseres Handels wickeln wir in diesem Raum ab. Der bisherige innerdeutsche Handel und der Osthandel der Bundesrepublik Deutschland sind demgegenüber verschwindend klein und werden trotz ihrer neuen Dynamik auch zukünftig keine annähernd vergleichbare Bedeutung gewinnen. Die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung Europas findet darüber hinaus darin ihren Ausdruck, daß im Binnenmarkt Waren, Kapital und Menschen noch mobiler als heute werden.

Die bevorstehende Vereinigung der beiden deutschen Staaten schafft in diesem europäischen Rahmen ein Wirtschaftsgebiet mit fast 80 Millionen Einwohnern und einem Sozialprodukt von 2,7 Billionen Mark.

Dieser in Kürze völlig einheitliche Wirtschaftsraum DDR/ BRD innerhalb des in den nächsten Jahren entstehenden, sich vereinheitlichenden europäischen Binnenmarktes ist von der Kaufkraft, der Struktur der Teilmärkte, den Verbrauchsgewohnheiten und der Käufermentalität und nicht zuletzt auch von der Sprache her unternehmensstrategisch besonders bedeutsam und interessant. Wer in diesen Markt investiert oder Vertriebsstützpunkte errichtet, hat allein von der Größe der Märkte her gute mittel- und langfristige Gewinnaussichten.

Die Wachstumsperspektiven für die DDR in den nächsten Jahren bewegen sich deshalb bei der Mehrheit ernstzunehmender Prognostiker alle in fast japanisch anmutenden Größenordnungen, nämlich von sieben bis zehn Prozent. Auch das Wachstum der Bundesrepublik wird mindestens mehr als ein Prozent höher sein als der langfristig erwartete Wachstumspfad, so daß für das vereinigte deutsche Wirtschaftsgebiet dann Raten in Höhe von vier und mehr Prozent durchaus wahrscheinlich sind. Hinter diesen Zahlen verbergen sich für einen Unternehmer enorme Geschäfts- und Investitionschancen allein aus der Expansion der Märkte.

Der gute Ruf der Wirtschaft der DDR im Ostblock hat dazu beigetragen, daß nach der Öffnung der Berliner Mauer die westdeutschen Unternehmen sich auf breiter Front in der DDR engagieren wollen - vor allem auch als Tor nach Osteuropa. Die erste Begeisterung ist zwar etwas abgeflacht, weil zu viele Hindernisse entgegenstehen, vor allem noch zu viele und wenig transparente Bürokratien, aber immerhin sind doch schon fast 2700 Joint-ventures spruchreif und viele tausend Geschäftsbeziehungen in Gang gekommen.

Gute Möglichkeiten findet man nach wie vor in praktisch allen Dienstleistungsgewerben, im Bereich der Banken, Versicherungen, beim Handwerk und in der Bauwirtschaft. Die DDR verfügt über gut ausgebildete Arbeitskräfte, Produktionsingenieure und Forschungspersonal. Viele von ihnen konnten unter den bisherigen Bedingungen der sozialistischen Planwirtschaft ihre Qualitäten überhaupt nicht entfalten. Das gleiche gilt auch für die Produktionsprozesse. Allein die mangelhafte Zulieferung von Roh- und Vormaterialien für die Produktion hatte erhebliche Produktivitätsverluste zur Folge. Natürlich ist ein enormer Investitionsaufwand für die Modernisierungen der Produktionsanlagen und den Ausbau der Infrastruktur erforderlich. Besondere Bedeutung kommt auch der Ausbildung der Führungskräfte im westlichen Management und besonders auch Marketing-Methoden zu. Dies alles aber erscheint bei entsprechenden Anstrengungen des Westens machbar - natürlich nur, wenn die Rahmenbedingungen in der DDR stimmen.

Für Investitionen in der DDR sprechen auch die vielfältigen Struktur- und Anpassungshilfen, die den Unternehmen gewährt werden. So manche Investition, die sich sonst nicht rechnen würde, lohnt sich mit Investitionszulagen, den Mitteln des geplanten Strukturhilfegesetzes, eben doch. Allerdings wird man eher Neugründungen in der DDR als das Eingehen von Joint-ventures empfehlen müssen: Dies ist inzwischen nicht nur rechtlich möglich, sondern auch sinnvoll, weil Altlasten jeglicher Art und Übernahme unklarer Rechtsverhältnisse damit von vornherein ausscheiden. Gerade für mittelständische Investoren scheint in der Gründung von Personengesellschaften anstelle von Kapitalgesellschaften auch unter steuerlichen Gesichtspunkten, jedenfalls für die Übergangszeit, eine interessante Chance zu liegen.

Die DDR ist keine chasse gardee der deutschen Wirtschaft. Die DDR braucht möglichst viele ausländische Unternehmer, soll das schwierige Werk der Sanierung und Strukturanpassung der DDR-Wirtschaft gelingen. Ausländischen Unternehmern, die bereits in der Bundesrepublik vertreten sind, kann man nur raten, die DDR unter dem Aspekt des künftigen großen deutschen Marktes und der besonderen Chancen eines zusätzlichen Vertriebs- und Produktionsstandortes für die osteuropäischen Märkte zu sehen. Wer hier rechtzeitig den Fuß in der Tür hat, denkt weitsichtig: Billiger wird es nicht mehr, die Konkurrenz wird zudem schnell stärker. Die Kooperation mit deutschen Partnern bietet sich in jeder Unternehmensstufe ob Vertrieb oder Produktion, ob Beschaffung oder Marketing - in all den Fällen an, in denen der deutsche Markt mit seinen Eigenheiten noch eine unbekannte Größe ist. Falsch wäre es aber, hierbei nicht "gesamtdeutsch" zu denken.

Keine Sorge braucht man zu haben, wenn man an die großen Infrastrukturaufgaben - Verkehr, Telekommunikation, Energie - denkt: Hier werden deutsche zusammen mit europäischen Unternehmen sehr schnell zusammenarbeiten wollen und müssen, weil alles andere ökonomisch nicht sinnvoll wäre und das Binnenmarktprojekt ja auch über rechtliche Zwänge zu einer Entnationalisierung der Wirtschaft führt.