Idee der Firmenuniversität gewinnt Freunde in Deutschland

Konzerne etablieren Kaderschmieden für Chefs

16.04.1999
Von Veronika Renkes* Mit eigenen "Corporate Universities" wollen deutsche Konzernchefs ihre Führungskräfte auf eine einheitliche Unternehmensstrategie einschwören. Die klassischen Weiterbildungsinstrumente haben sich als untauglich erwiesen, die Großen beim Sprung auf den Weltmarkt zu unterstützen.

Als Ralph Cordiner, damaliger Chef von General Electric, in den frühen 50er Jahren sein Imperium dezentralisieren und seine Manager mit mehr Verantwortung ausstatten wollte, stand er vor dem Problem, daß die US-Business-Schulen nicht die Kapazität hatten, den großen Ausbildungsbedarf zu decken.

Dies war die Geburtsstunde von Crotonville, dem berühmten firmeneigenen Universitätscampus, auf dessen Grund und Boden jährlich Tausende von Mitarbeitern zusammenkommen, um ihre Kenntnisse zu vertiefen, innovative Ideen auszubrüten und bessere Wege der Zusammenarbeit zu finden. Inzwischen gibt es in den USA mehr als 1000 sogenannter Corporate Universities (CU). Auch in Deutschland findet nun die Idee zunehmend Anhänger. Global Player wie Daimler-Chrysler, Lufthansa und Bertelsmann haben den Schritt schon getan.

Die Gründung firmeneigener Universitäten hat allerdings mit den herkömmlichen Vorstellungen von Universität nichts zu tun. Corporate Universities dienen einzig und allein unternehmensinternen Zwecken. Sie haben in der Regel nur eine vorrangige Aufgabe: die Weiterqualifizierung der Mitarbeiter - in Deutschland meistens sogar beschränkt auf das Management. Dabei geht es nicht um die klassischen Weiterbildungsangebote, die Unternehmen bei externen Dienstleistern einkaufen können, wie etwa Kommunikationstraining oder Formen der Mitarbeiterführung. Vielmehr steht im Mittelpunkt die Vermittlung von Unternehmenszielen und -kultur - wenn nötig auch von oben nach unten.

"Früher funktionierte die Identifikation mit dem Unternehmen und seinen Zielen über das jahrelange Wachstum in der Hierarchie, heute muß man das gemeinsame Grundverständnis zusammen erarbeiten", erläutert Ulrich Steger, Professor an der Business School IMD in Lausanne, warum ein Konzern wie Daimler-Chrysler neue Wege beschreiten muß, um seine Manager auf ihre Führungsaufgaben vorbereiten zu können. Konzernchef Jürgen Schrempp, der den Beirat der firmeneigenen Corporate University leitet, machte denn auch von Anfang an klar: "Die neue Institution ist nicht nur dazu da, ein besonders effizient ausgerichtetes Personal- und Weiterbildungskonzept für Führungskräfte umzusetzen." Sie diene vielmehr der Konzernspitze dazu, die global-strategische Entwicklung der Daimler-Holding zentral zu steuern.

Die Unternehmen machen damit aus der Not eine Tugend: "Firmen reklamieren jetzt die Notwendigkeit, die Weiterbildung stärker strategisch auszurichten.

Hier gibt es in der Tat Mängel, für die allerdings keine externen Einrichtungen die Schuld tragen, wie zum Beispiel die Universitäten, sondern die Unternehmen selber", gibt Bernd Stauss, Professor am Lehrstuhl für Dienstleistungs-Management an der Katholischen Universität Eichstätt, zu bedenken.

Auf gut deutsch heißt das: Bisher wußte die rechte Hand oft nicht, was die linke tat - in doppelter Hinsicht. Zum einen fällt die Weiterentwicklung der Mitarbeiter und insbesondere der Spitzenkräfte bei den immer größer werdenden Unternehmen zumeist in die Zuständigkeit einzelner Standorte und Geschäftsbereiche.

Dezentrale Strukturen fördern Gruppenegoismus

Oft fehlt ein abgestimmtes oder gar vernetztes System der Inhalte und Methoden. Bisher hatten die einzelnen Geschäftsbereiche sehr viele Freiräume - auch was die Ausgestaltung der Weiterbildungs- und Personalentwicklungskonzepte betraf. Zum anderen, und das ist wohl der eigentliche Grund für die Neukonzeption der Weiterbildungsaktivitäten: Die dezentralen Strukturen haben Gruppenegoismen gefördert. Die eigenen Bilanzen wurden wichtiger als das Gesamtwohl des Unternehmens.

Konzerne wie die Deutsche Bank, Lufthansa oder Daimer-Chrysler wollen den Weltmarkt erobern. Dazu brauchen sie eine schlagkräftige Führungsriege aus einem Guß, also Manager, die wissen, welche strategischen Ziele der Vorstand verfolgt und mit welchen Instrumentarien sie zu erreichen sind. Die stärkere Bündelung wird nicht bei allen Betroffenen auf Gegenliebe stoßen, denn sie bedeutet Machtverlust.

Im September 1998 startete die virtuelle Corporate University für die Bertelsmann-Führungskräfte aus 50 Ländern. Die Online-Uni soll die Manager des Medienhauses konzernübergreifend vernetzen, für ein effizientes Wissens-Management sorgen und insgesamt die Kooperation zwischen Menschen unterschiedlicher Sprachräume stärken. Außerdem verspricht sich der Gütersloher Medienkonzern, daß die University neuen Führungskräften die über Jahrzehnte hinweg entstandene Unternehmenskultur vermittelt. Dazu kooperiert das Unternehmen mit internationalen Business Schools wie Harvard (USA) und der IMD (Schweiz). Dadurch sollen "amerikanische Erfahrungen, Methoden und Sichtweisen mit europäischen Schulen verknüpft werden, um so die unterschiedlichen Kulturen für das eigene Management zu berücksichtigten".

1998 gründete auch die Deutsche Lufthansa ihre Corporate University, die Lufthansa School of Business. Thomas Sattelberger, Leiter Konzern-Führungskräfte und Personalentwicklung, knüpft die Steigerung des Shareholder-Value unmittelbar an gut ausgebildetes Personal. Interkulturelles Verständnis, Team- und Konflikt-Management, Ethik und Führung oder ein zweijähriges MBA-Programm an einer renommierten Business School für Nachwuchskräfte sind einige der Angebote. Die eigene Uni soll "Wissens-Management durch Wissensstrukturen und Dialogplattformen forcieren", erklärt Michael Heuser, Leiter der Lufthansa School of Business.

Auf externe Weiterbildungsanbieter wollen die Konzerne auch künftig nicht verzichten. Doch Angebote von der Stange sollen für die Weiterbildung der Spitzenkräfte die maßgeschneiderten Programme nur noch ergänzen. Für die restlichen Mitarbeiter bleibt alles beim alten. Sie werden wie bisher auf Seminare und Trainings der externen Weiterbildner geschickt.

Die Konzentration auf das Management ist deutschlandspezifisch und stößt bei Experten auf Kritik: Für Reiner Neumann, Product Manager Human Resources bei ABB, Schweiz, und Autor eines demnächst erscheinenden Buches über Corporate Universities, ist eine breite Öffnung notwendig, um Lernprozesse im gesamten Unternehmen anzuschieben. Die Konzentration auf die Chefetage ist "nicht besonders intelligent". "Corporate Universities bieten die Möglichkeit, im Unternehmen vorhandene Weiterbildungskonzepte zu integrieren und neue Formen des Lernens einzuführen - und zwar auf allen Arbeitsebenen und für alle Mitarbeiter. Diese Chance wird vertan, wenn sich das Angebot lediglich an die Elite richtet."

Ganz anders in den USA, wo das Programm zum Teil firmenübergreifend organisiert ist. Dort wird in der Regel allen Mitarbeitern der Zugang gewährt - über alle Hierarchiestufen hinweg. Sie dienen als strategischer Rahmen für Ausbildungsaktivitäten sämtlicher Mitarbeiter, bisweilen auch für Zulieferer, Kunden und andere externe Teilnehmer - und oft ohne "physischen" Campus.

Dort betrachten dies vor allem größere Unternehmensberatungen und High-Tech-Firmen als eine effektive Form, einen hochwertigen und einheitlichen Bildungsstand ihrer Mitarbeiter aufzubauen. Wichtiges Hilfsmittel: neue Medien, die den Zugriff auf Bildungsangebote privater und öffentlicher Anbieter erleichtern und damit zu einem stärkeren Austausch zwischen Theoretikern und Praktikern führen.

Daß sich deutsche Corporate Universities vorwiegend auf das Topmanagement konzentrieren und damit ihren Wirkungskreis eingrenzen, hat für Lehrstuhlinhaber Stauss allerdings auch einen ganz simplen, firmenpsychologischen Grund: "Es ist eine Art Nachhilfeprogramm für Topmanager. Man will für diese Gruppe, die oft der Meinung ist, Schulung nicht zu benötigen, ein Weiterbildungsprogramm institutionalisieren." Deshalb fänden diese Maßnahmen dann auch zumeist im Umfeld einer imageträchtigen amerikanischen Universität statt. "Das hat etwas von Weiterbildungs-Happening", kritisiert Stauss.

*Veronika Renkes ist freie Journalistin in Köln.