Konzepte zum Document- und Audio-Video-Conferencing im Ueberblick Synchrones Telekommunizieren wird noch zu wenig unterstuetzt

10.03.1995

Neue Formen und Techniken der Kommunikation im Unternehmen werden vielerorts noch nicht optimal genutzt. Manfred Rabbel* stellt einige bereits praktikable Ansaetze vor.

Mit den kostbaren Ressourcen Zeit und Geld gilt es in den Unternehmen noch effizienter umzugehen als bisher; neue Formen der Kooperation sind gefordert. Teamwork wird dabei immer wichtiger. Zwischen oertlich getrennten Partnern wird dieses heute noch weitgehend durch den Austausch von Informationen ueber Fax oder Telefon abgewickelt - mit den bekannten Problemen: Wartezeiten, Medienbrueche, Fehlerquellen, Missverstaendnisse, Redundanz etc. Teure Flugreisen und damit lange Reisezeiten sind zusaetzliche Barrieren fuer ein schlagkraeftiges Teamwork.

Eine moegliche Loesung fuer diese Probleme kann darin bestehen, die ortsuebergreifende Kommunikation von Gruppen oder zwischen Einzelpersonen via Konferenzsystem mit multimedialen Eigenschaften abzuwickeln. Die verwendeten Mehrwertdienste sollen dafuer sorgen, dass Sachverhalte anschaulicher und schneller vermittelt werden. Dabei vollzieht sich Informationsvermittlung nicht passiv, sondern wird vom Anwender interaktiv gesteuert.

Kommunikation zwischen Personen oder Organisationseinheiten kann synchron oder asynchron sein. Asynchrone Kommunikation, wie Hauspost, E-Mail, Fax oder Brief, ist effizient, wo die Arbeit im wesentlichen sequentiell abgewickelt wird. Stark strukturierte Prozesse koennen zusaetzlich durch Workflow-Systeme unterstuetzt werden. In vielen Faellen reicht jedoch die asynchrone Kommunikation nicht aus, insbesondere dann, wenn gemeinsame Ziele definiert oder schnell reagiert und entschieden werden muss.

Fuer diese Art der Kommunikation stehen hauptsaechlich das Telefon, die traditionelle Besprechung und in Einzelfaellen die herkoemmliche Videokonferenz zur Verfuegung. Betrachtet man diese Kommunikationsformen, so ist ihr Nutzen auf die Loesung bestimmter Aufgaben beschraenkt oder sie sind von Fall zu Fall unterschiedlich und nur mit grossen Abstrichen nutzbar. Das Telefon beispielsweise unterstuetzt im wesentlichen die "Person-to-person"-Kommunikation. Die gemeinsame Besprechung dient lediglich der Gruppenkommunikation und setzt einige organisatorische Schritte voraus: Raumreservierung, Vorbereitung von Unterlagen, eventuell auch Reisen. Insbesondere die Notwenigkeit zu reisen setzen dieser Kommunikationsform relativ enge Grenzen. Videokonferenzen ueber das vermittelte Breitbandnetz (VBN) reduzieren diese zwar, durch die Festlegung von Datum und Dauer dieser elektronischen Konferenz wird eine spontane Kommunikation aber verhindert oder doch zumindest erschwert.

Der Besprechung und der Videokonferenz ist gemeinsam, dass die Arbeitsergebnisse, die diskutiert werden sollen, meist in gedruckter Form vorliegen muessen. Aenderungen an diesen Ergebnissen oder neu erstellte Dokumente muessen also nachtraeglich noch einmal bearbeitet und moeglicherweise erneut abgestimmt werden.

Die Beispiele zeigen, dass die synchrone Kommunikation derzeit nur unzulaenglich unterstuetzt wird. Gefordert ist daher eine direkte, interaktive und spontane Kommunikation auch zwischen verteilten Arbeitsplaetzen (vgl. Abbildung 1).

Synchrone Telekooperation - also die gleichzeitige und gemeinsame Arbeit an der Loesung eines Problems oder an einer Aufgabe von mehreren Personen, die sich an verschiedenen Standorten aufhalten - bietet fuer unterschiedliche Branchen interaktive Verstaendigung von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz. Zwei oder mehr Benutzer koennen zeitgleich und in Kommunikation miteinander bestimmte Aufgaben erledigen. Idealerweise brauchen die Mitarbeiter zur Abstimmung ihrer Ergebnisse im Team ihren Schreibtisch nicht zu verlassen und haben Zugriff auf alle benoetigten Unterlagen.

Arbeitsergebnisse sind sofort verfuegbar

Es erweist sich dabei als sehr nuetzlich, dass sich die in Frage kommenden Aenderungen viel oefter als bisher ueblich und ohne Terminnoete oder Reisen diskutieren lassen; der Abstimmungsprozess geraet erheblich flexibler und wesentlich schneller. Man kann sagen, die Qualitaet der Arbeitsergebnisse steigt schon allein deshalb, weil das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit sofort zur Verfuegung steht.

Neben der angesprochenen "Dokumentenkonferenz" mit einer zusaetzlichen Audioverbindung der Teilnehmer ist eine Unterstuetzung durch eine parallel aufgebaute audiovisuelle Verbindung von grossem Nutzen. Sie kann der Besprechung den Charakter eines persoenlichen Gespraechs geben, was speziell fuer spontanes Reagieren und Kommunizieren sehr hilfreich ist.

Synchrone Telekooperation wird durch folgende Anwendungen unterstuetzt:

-Joint-editing: gemeinsames Bearbeiten von Dokumenten und Zeichnungen;

-Joint-viewing: gemeinsames Betrachten von Dokumenten;

-Shared Whiteboard: spezielle Anwendung fuer Memos, Skizzen (unstrukturierte Dokumente) sowie

-Audio-Video-Konferenz zur Unterstuetzung von Joint-editing und Joint-viewing.

Fuer diese Anwendungen stehen heute bereits verschiedene Softwareprodukte und Loesungen auf unterschiedlichen Systemplattformen zur Verfuegung.

Beim Joint-editing oder Document-Conferencing betrachten alle an der Konferenz Beteiligten gleichzeitig dasselbe Dokument. Jeder Benutzer hat zum Beispiel einen eigenen Zeiger, mit dem er auf relevante Abschnitte oder Details einer Zeichnung hinweisen kann. Das erlaubt ihm Aenderungen im Dokument vorzunehmen, sofern er die Schreibberechtigung vom Moderator der Konferenz explizit oder implizit erhalten hat. Aenderungen gehen direkt in das Dokument ein, und am Ende einer Konferenz steht ein von allen Teilnehmern abgestimmtes Dokument fuer die Weiterverwendung bereit. Document- Conferencing kann durch eine reine Audioverbindung zum Beispiel per Telefon oder durch eine Audio-Video-Konferenz unterstuetzt werden. Wichtig bei den Anwendungen der synchronen Telekooperation ist die Einhaltung von internationalen Standards, dieses insbesondere im Bereich der Audio-Video-Konferenz-Systeme.

Beispielsweise gibt es in diesem Umfeld als Loesung fuer Telekooperation eine Multipoint-faehige Client-Server-Architektur, die auf dem Windows-Standard X11 aufsetzt (Joint X). Alle X- Windows-Anwendungen, unabhaengig davon, ob es sich um ein DTP- oder CAD/CAE-Programm handelt, koennen von den Teilnehmern einer Konferenz verteilt und gleichzeitig genutzt werden. Jeder Teilnehmer verfuegt ueber den vollen Funktionsumfang des jeweiligen Anwenderprogramms. Unterstuetzt werden mit dieser Loesung heterogene Rechnerwelten von Unix-Workstations bis hin zu Personalcomputern. Die Netzverbindungen basieren aufgrund der unterschiedlichen Standorte der verschiedenen Arbeitsplatzsysteme auf der TCP/IP- Protokollfamilie, die auf den gaengigen Plattformen zur Verfuegung steht. Eine Audio-Video-Konferenz-Funktionalitaet als separater Baustein basiert gemaess ITU-Richtlinie auf dem internationalen Standard H.320 fuer Bildtelefone.

Ein grundsaetzlicher Aspekt der synchronen Telekooperation ist die Integration aller vorhandenen Kommunikationsdienste in einer Gesamtloesung. Integration bedeutet hier nicht nur die gleichzeitige Nutzung von Geraeten, Anwendungen und anderen Ressourcen, sondern eine Synergie der Dienste.

Bei einer typischen Multipoint-faehigen Audio-Video- Dokumentenkonferenz sind mehrere lokale Netze (zum Beispiel Ethernet) ueber ISDN durch ISDN-IP-Router miteinander verbunden. In einem der lokalen Netze ist ausserdem die Software fuer Telekooperation (beispielsweise Joint X) auf einem Rechner installiert, der zum einen als Server und zum anderen als Arbeitsplatz dient. In den verbundenen lokalen Netzen lassen sich beliebig viele weitere multimediale Arbeitsplaetze anschliessen (vgl. Abbildung 2), diese sind sind mit den notwendigen Audio- und Videokomponenten ausruestbar. Fuer die Audio-Video-Kommunikation ist ein ISDN-Basisanschluss (1 x S0) erforderlich. Die Datenuebertragung der verteilten Applikationen erfolgt dabei sowohl innerhalb der lokalen Netze als auch zwischen den lokalen Netzen ueber das TCP/IP-Protokoll. Koordiniert und gesteuert wird die Kommunikation ueber die Telekooperationssoftware. Ein zusaetzlicher Multipoint Control Unit

(MCU) regelt bei mehr als zwei Teilnehmern wie eine Art Mischpult die Bilduebertragung von und zu den verschiedenen Teilnehmern. Ferner unterstuetzen intelligente ISDN/LAN-Router die Netzintegration im Weitverkehr.

Die synchrone Telekooperation findet schon heute ihre Anwendung in den Bereichen Telewartung, Telekonstruktion, Telemedizin oder Teleschulung.

Der Nutzen in diesen Bereichen ist dabei sehr vielschichtig und je nach Anwendung mehr oder weniger ausgepraegt. Im Rahmen von Desktop-Videokonferenzen koennen multimediale Dienste von grossem Nutzen sein, da hiermit auch die nonverbale Kommunikation innerhalb der Telekooperation erschlossen wird. Ueber den Desktop wird das "persoenliche Gespraech", als Voraussetzung fuer eine Konsensfindung, ohne lange Wege oder Reisen ermoeglicht. Weiterhin ergibt sich hierbei der Vorteil, dass der Desktop fuer den Benutzer die gewohnte Arbeitsumgebung darstellt und somit die fuer die Konferenzen notwendigen Objekte elektronisch bereitstehen. Experten koennen zeit- und kostensparend in eine Konferenz mit eingebunden werden. Allen Teilnehmern eines Meetings wird mit Hilfe der synchronen Telekooperation die Gelegenheit geboten, unmittelbar an einer Abstimmung mitzuarbeiten und persoenliche Anregungen auch spontan einzubringen. Die Telekooperation unterstuetzt Firmen weiterhin bei der effizienten Zusammenfuehrung von verteilten Know-how-Zentren, bei der Reduzierung von externen Stoereinfluessen, und sie ermoeglicht eine hoehere Qualitaet und Akzeptanz von Entscheidungen.

Bei allen aufgefuehrten Anwendungen der Telekooperation und dem damit erzielbaren Nutzen ist jedoch eine Voraussetzung erforderlich: kooperatives Verhalten unter den Teilnehmern und darauf ausgerichtete Organisationsformen.

Telekooperation wird sich als neue Kommunikationsform etablieren und steht damit in der Reihe anderer moderner Technologien zur verteilten Verarbeitung unternehmensweiter Daten. Sie ist die Grundlage fuer kurze Kommunikationswege und ein entscheidendes Hilfsmittel zur Bewaeltigung komplexer Probleme.

Zukuenftige Entwicklungen und Kooperationen wie zum Beispiel VERSIT (Apple, IBM, AT&T und Siemens) werden Telekooperationsanwendungen und der Integration mobiler Arbeitsplaetze verschiedener Hersteller neue Anwendungsgebiete eroeffnen. Tele-Shopping und vor allem das "virtuelle Buero" werden bedeutende neue Anwendungsgebiete sein.

Tabelle: Einsatzgebiet Ziele und Anwendungen Anwenderunternehmen

Telewartung Ein BISAM-Fernwartungssystem ermoeglicht es, dass Lufthansa Systemhaus Ingenieure und Mechaniker weit voneinander entfernt Hand in Hand arbeiten koennen. Per Touchscreen kann ein Mechaniker alle noetigen Informationen abrufen, bei Bedarf eine Bildaufnahme von dem Schaden an den Systemingenieur schicken und sofort mit ihm besprechen. Mechaniker und Ingenieur koennen sich am Bildschirm sehen.

Telekonstruktion Durch die synchrone Telekooperation wird der Industrie Telekom Bonn eine Moeglichkeit eroeffnet, in standortuebergreifender multimedialer Kooperation CAD/CAM-Konferenzen ueber ISDN abzuhalten. Experten koennen durch Telekonferenzen ueber Laendergrenzen hinweg Ideen und Kundenwuensche als feste Groessen in Konstruktionen beruecksichtigen und somit Entwicklungszeit sparen.

Televerwaltung Die synchrone Telekooperation dient in der Televerwaltung zwischen Berlin, Muenchen, Wien und anderen Informations-Orten zur Abstimmung von Projektplaenen, Freigabe von Dokumenten oder Erstellung von Testprotokollen aus Entwicklungsprojekten.

Televerwaltung Durch den Einsatz innovativer Technologien wie der Telekooperation wird die Kommunikationsluecke zwischen Aussenstellen von Unternehmen geschlossen. In diesem Anwendungsfall geht es vornehmlich um die gemeinsame Erarbeitung von Dokumenten, Kalkulationen oder Praesentationen bei der Akquisition und Beratung.

Teleschulung Bei der Einfuehrung neuer Systeme und Softwareprodukte stehen die Unternehmen immer haeufiger vor der Aufgabe, ihre Mitarbeiter effizient und kostenguenstig zu schulen. Ein Problem ist dabei die kurzfristige und effiziente Hilfestellung und Unterstuetzung des Benutzers einer Anwendung waehrend des Betriebes durch einen Lehrer oder Experten. In diesem Fall bietet die Teleschulung als spezielle Form von Computer-based Training einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Situation. So kann zum Beispiel der Experte auf seinem Bildschirm am Standort A den aktuellen Status der Anwendung am Standort B sehen, direkt in die aktuelle Situation eingreifen und das Problem loesen. Mit der Teleschulung wird der kurzfristige Transfer von Know-how unterstuetzt. Quelle: Sietec Systemtechnik