BMW-Tochter als "prime contractor" des Gemeinschaftsprojektes:

Kontron führt Workstation-Konsortium an

11.08.1989

MÜNCHEN (CW) - Ein ehrgeiziges Projekt unter der Ägide der BMW-Tochter Kontron soll im Rahmen des europäischen Esprit-Programms Amerikaner und Japaner auf dem zukunftsträchtigen Markt der technischen Workstations das Fürchten lehren.

Wie die kürzlich von BMW übernommene Kontron-Elektronik bekanntgab, will sie zusammen mit sechs weiteren Firmen und Universitäten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden in den nächsten vier Jahren eine Workstation entwickeln, die mit 1000 Mips und 1000 Mflops in den Leistungsbereich heutiger Supercomputer vordringt. Weitere Highlights der geplanten Workstation mit der Bezeichnung "Spirit" sollen Hochleistungsgrafik mit Echtzeit-3D-Darstellung und integrierte künstliche Intelligenz sein. 50 Prozent der Entwicklungskosten wird die Europäische Gemeinschaft tragen.

Professor J. G. Zabolitzky, für kurze Zeit noch Leiter des gesamten Projektes, ehe er neue Aufgaben bei BMW übernimmt, nennt das Spirit-Projekt eine "im Sinne Esprits europäische Antwort auf die Herausforderungen, die uns durch die starke Präsenz der Amerikaner und Japaner auf dem Workstationmarkt gegeben sind". Es wird, so meint er, "den Europäern ermöglichen, sich hier erfolgreich gegen außereuropäische Mitbewerber zu etablieren", nicht zuletzt deshalb, weil die neue Workstation von vorneherein "auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis hin entwickelt" werde. Später soll sie "die Basis für weitere, noch leistungsfähigere Systeme bis ins nächste Jahrtausend" sein. Gedacht sind die Rechner gegenwärtig vor allem für Echtzeit-Simulationen und Bildverarbeitung sowie spezielle CAD- und Datenbank-Anwendungen.

Die Architektur des Rechners wird laut Kontron ein geclustertes Multiprozessorsystem sein, basierend auf dem Future-Bus Plus, einem Hochgeschwindigkeitsbus, mit Cachekonsistenz und lokalem wie auch zentralem, gemeinsamem Speicher. Die Transferraten werden sich bei einer Busbreite von 128 Bit, so Rudolf Wieczorek, technischer Projektleiter bei Kontron, im Bereich von mehreren hundert MByte bewegen. Als Prozessoren sollen im wesentlichen normale Standardprodukte zum Einsatz kommen, voraussichtlich Motorolas 68040 beziehungsweise 68050 für die allgemeinen Funktionen und Intels neue 860-RISC-Chips für die Grafik.

Schneller Prozessor

nur für KI-Funktionen

Nur für die KI-Funktionen ist ein spezieller schneller Prozessor vorgesehen und auch für das Grafik-Subsystem will man zusätzliche neue Chips entwickeln. Betriebssystem soll ein speziell angepaßtes Standard-Unix werden - welches, ist noch nicht entschieden.

Der technische Projektleiter Martijn de Lange von der holländischen ACE, einem auf Betriebssysteme, Compiler und CASE-Technik spezialisierten Softwarehaus, ist ein Verfechter von Standards. Vom Einsatz von Standardkomponenten erhofft er sich "Systemeigenschaften, die von hohem Anwenderwert sind".

Die Aufgaben im Rahmen des Projektes sind sauber getrennt. ACE soll für das Betriebssystem, für Compiler und eine CASE-Umgebung sorgen. Für das grafische Subsystem ist die französische Caption zuständig. Sie wird auch die universitären Forschungen zur Entwicklung der Grafikchips koordinieren, die im wesentlichen an der University of Sussex und an der Universität Tübingen stattfinden sollen. Ebenfalls am Grafiksystem arbeitet die Informatik-Abteilung des Queen Mary Colleges, wo die Graphics Interface Language entwickelt wird. Daneben will man sich dort auch noch um objektorientierte Techniken bemühen.

Zuständig für das auf Prolog aufbauende KI-Subsystem ist die British Aerospace Systems and Equipment, eines der führenden Unternehmen bei spezialisierten Prolog-Rechnern. Die Spirit-Workstation soll eine Leistung von 1,5 Megalips (logical inferences per second) erreichen. Die kürzlich von BMW übernommene Kontron Elektronik will als "prime contractor" des Projektes die Hardware des Grundsystems entwickeln.

Die Erfahrungen mit europäischen Gemeinschaftsunternehmen waren in der Vergangenheit nicht immer berauschend. Sorge, daß das Projekt scheitern könnte, hat Wieczorek dennoch nicht. Zum einen bewegten sich die Partner in unterschiedlichen Marktsegmenten, so daß nur wenig Konkurrenz untereinander zu befürchten sei. Zum andern sei der aus der Zusammenarbeit zu erwartende Nutzen groß genug, sie bei der Stange zu halten. Vor allem im Hinblick auf den kommenden europäischen Binnenmarkt sei es für alle Beteiligten entscheidend, "ein Gefühl für Europa" zu bekommen und frühzeitig erfolgversprechende Kooperationen aufzubauen; Technisch gebe es keine unkalkulierbaren Probleme. Man baue ja im wesentlichen auf bereits existierender beziehungsweise demnächst verfügbarer Technik auf.

Auch wirtschaftlich verspricht man sich einiges. Die Flexibilität des geplanten Systems und seine strikte Orientierung an akzeptierten Standards soll es für alle denkbaren Anwendungsfälle einsetzbar und mit Preisen zwischen - je nach Konfiguration - 20 000 und 2 Millionen Mark auch konkurrenzfähig machen.