Konstruktion und Fertigung/Konkurrenz oder Ergaenzung? Intergraph und Microsoft: Step als Basis und oben OLE

02.06.1995

Macht "ein bisschen" Objektorientierung, zudem noch proprietaer, den gesamten schwierigen und langwierigen Verstaendigungsprozess zwischen den verschiedenen CAD-Systemen ueberfluessig? So jedenfalls koennte eine Intergraph-Microsoft-Meldung interpretiert werden, die Anfang Maerz die Branche aufscheuchte. Prosteps Cheftechniker Dr. Rainer Bugow denkt da differenzierter und relativiert die moegliche Euphorie etwas. Mit ihm sprach fuer die CW Karl-Ferdinand Daemisch*.

CW: Bedeutet das ehemalige "Avalon CAD OLE", jetzt "OLE for Design & Modeling" - Intergraphs Forschungsprojekt fuer die Erweiterung von Microsofts OLE -, auf Dauer das Aus fuer die Prostep- Aktivitaeten?

Bugow: Nein, sicher nicht! Prostep verfolgt einen ganz anderen Ansatz als Intergraph und Microsoft.

CW: Hat Prostep mit seinen Spezifikationen - gegen OLE und COM - aufs falsche Pferd gesetzt?

Bugow: Auch hier: Nein, denn OLE ist mit Step nicht vergleichbar. Step bietet eine objektorientierte Loesung fuer den Produktdatentausch, die Datenhaltung sowie die Langzeitarchivierung. Step kuemmert sich jedoch nicht um die interaktive Manipulation dieser Daten auf der Schicht der Benutzeroberflaeche. Das ist Sache der CAD-Systeme.

OLE dagegen sorgt fuer die Integration unterschiedlicher Applikationen am Arbeitsplatz. "OLE for Design and Modeling" (D&M) ist, wie es sich hier darstellt, eine Praesentationsschicht fuer Intergraph und andere Systeme. Ausserdem ist der unter OLE vereinte System-Mix stark unternehmensspezifisch - und nicht austauschbar. Uebersehen wir vor

lauter OLE-Baeumen nicht den Opendoc-Wald, IBMs Loesung, sowie die bereits weitverbreiteten, maechtigen Corba-Spezifikationen. Eine Integration von OLE ist hier noch offen.

Die Step-Architektur kann, durch die Trennung von Produktdefinition, Repraesentation und Praesentation, Schnittstellen wie OLE unterstuetzen. Dies wird etwa durch die Integration von Corba/IDL bewiesen, wodurch eine verteilte Nutzung von Step- Modellen moeglich wird. So koennte auch OLE als wertvolle Ergaenzung zu Step angesehen werden.

CW: Microsoft plus Intergraph - das bedeutet Marktmacht. Was will Prostep gegen 400 lieferbare Produkte und 300 Anbieter unternehmen? Hier stehen 170000 professionelle Nutzer und 700 Entwicklerfirmen auch fuer AEC, GIS (Geographic Information Systems) plus Mediendesign gegen nun 116 Anwender beziehungsweise Anbieter beim Prostep-Verein.

Bugow: Es gibt hier keinen Gegensatz. OLE ist eine andere Baustelle. Dies zeigt allein auch die Tatsache, dass viele Unternehmen sowohl auf Step zur Integration der heute noch - mit fallender Tendenz - 25 Prozent Geometrieanteil umfassenden Produktdaten als auch auf OLE zur Praesentation der Geometriedaten setzen.

CW: Intergraph bietet seine Softwarekomponenten als Public Domain auf dem Microsoft-Server an. Hat das teure Prostep dagegen ueberhaupt eine Chance?

Bugow: Bisher liegt von Intergraph hier nur ein "Sneak Preview" vor, der das Thema anreisst. Er reicht aber lange nicht aus, um die versprochene Interoperabilitaet herzustellen. Der Umfang der Dokumentation zur D&M-Spezifikation betraegt gerade 19 Seiten. Ob der weitere Ausbau ebenfalls "public" sein wird, ist offen. Eine Initiative wie GNU, Linux oder aehnliches ist zur Zeit jedoch nicht absehbar.

CW: Ist dies der Aufstand der PC-CADs gegen Grosssystemmonolithen?

Bugow: Ein OLE macht noch lange kein CAD. Die Tatsache, dass 3D- Daten zu visualisieren und per Mausklick "anzupicken" sind, macht doch nur einen ganz kleinen Teil der CAD-Funktionalitaet aus. Ausserdem darf nicht uebersehen werden, dass sich das Betriebssystem Windows NT im technischen Bereich bisher nicht durchgesetzt hat. Weiter muss der Anwender bei seiner Entscheidung darauf achten: OLE ist ein Produkt von Microsoft.

CW: Dennoch, wie sehen die Folgen aus? Entschaerft die neue Kooperation die Problematik unterschiedlicher Systeme?

Bugow: Nein, denn wie gesagt, Step ist unten fuer die Datenhaltungsschicht verantwortlich. Erst oben, auf der Praesentationsschicht, arbeiten die OLE-Funktionen.

CW: Alt und neu kooperiert. Werden damit Hilfskonstrukte und Migrationen ueberfluessig?

Bugow: OLE-unterstuetzende Unternehmen sehen sicher bessere Chancen, ihre Modellierer in der Microsoft-Welt zu etablieren. Migrationen zwischen den Applikationen sind aber nach wie vor nicht zu umgehen. Zur Verknuepfung unterschiedlicher Anwendungen wie FEM (Finite Element Method) und CAD muessen immer gemeinsame Datenmodelle - wie sie Step spezifiziert - zugrunde liegen.

CW: Kann der Anwender seine Systemkette nun selbst gestalten?

Bugow: Der Anwender gewinnt sicher die Moeglichkeit, auf der Windows-Benutzeroberflaeche fuer eine homogene Umgebung zu sorgen. Diese verbirgt ihm darunter aber nach wie vor eine heterogene Systemlandschaft. Die Problematik des Produktdatentauschs, der Produktdatenhaltung oder der Langzeitarchivierung sind damit keinesfalls zu loesen.

CW: Gibt es in fuenf Jahren das ganz neue CAD?

Bugow: Ja, denn dann wird sich zeigen, dass auf der Basis der Integrationsplattform Step die durchgaengige Nutzung der Produktdaten neue Potentiale fuer die CAD-Technologie eroeffnet. Aktuelle Produktentwicklungen vieler CAD-Systemanbieter zielen bereits heute in diese Richtung.

CW: Gehen Sie also davon aus, dass Step Bestandteil der Microsoft- Intergraph-Initiative wird?

Bugow: Das wuerde uns freuen - und ist ganz sicher nicht auszuschliessen. Step und OLE zusammen, das waere perfekt, die ideale Symbiose.

* Karl Ferdinand Daemisch ist freier Fachjournalist in Loerrach