Konstruktion & Fertigung/Die "Drei-Liter"-Software fuer den Mittelstand Kompaktprogramme bieten eine Alternative zu PPS-Systemen

15.09.1995

Softwareloesungen gehen heute weit ueber die Grundbeduerfnisse hinaus, die seinerzeit zum Produktprinzip gefuehrt haben. Die Hersteller umfassender Standardpakete versprechen Sicherheit und wirtschaftlichen Nutzen, auch wenn der Durchschnittsanwender nur rund 20 Prozent des Funktionsumfangs gebrauchen kann. Das "produktionsbegleitende System" (PBS) als Alternative zur PPS- Standardware (Produktionsplanung und -steuerung) beschreibt Wolfgang Schneider* aus der Sicht eines mittelstaendischen Fertigungsunternehmens der Metallbranche.

In der heutigen Zeit, in der die Datenverarbeitung wiederholt zum Selbstzweck zu degenerieren droht, diesmal ueber die PC-Schiene, steht ein DV-Verantwortlicher vor zwei Alternativen der Zukunftsplanung:

Soll er mitschwimmen und das einfuehren, was ihm als State of the Art angeboten wird? Oder soll er sich ueberlegen, wo das Unternehmen organisatorisch gesehen in Wirklichkeit steht, seine Ziele neu definieren und versuchen, diese mit Hilfe der zur Verfuegung stehenden DV-Technik zu erreichen? Fuer alle mittelstaendischen Fertiger, speziell in der Metallbranche, ist dies zur Zeit noch eine schwierige Entscheidung.

Die inzwischen von Herstellerseite vielfach propagierte Standardsoftware wird beim Anwender haeufig deshalb verwendet, weil man sich urspruenglich nicht mit DV-Problemen auseinandersetzen wollte und glaubte, auf diese Weise dem Anbieter die Verantwortung uebertragen zu koennen. In Wirklichkeit handelt es sich bei den Standardpaketen jedoch um eines oder mehrere Programme, die, um lauffaehig zu sein, erst aufgrund einer detaillierten Vorgabe des Kunden parametriert werden muessen. Dies kann nicht der Zweck von Software sein. Der Anwender sollte vielmehr das im Unternehmen vorhandene Know-how gezielt einsetzen, um eine schluessige und einfache Neukonzeption kuenftiger Betriebsablaeufe zu definieren, die dann mit DV-Hilfsmitteln optimiert werden.

Der Einsatz von Standardpaketen eignet sich durchaus fuer Arbeitsgebiete, die durch Gesetze, Vorschriften und Tarifvertraege grundsaetzlich geregelt sind. Dazu gehoeren die Unternehmensbereiche Finanzen, Kostenrechnung, Lohn- und Gehaltsabrechnung, Datenfernuebertragung, Anwesenheitszeit- sowie Personalverwaltung. Ebenso steht ausser Frage, dass CAD/CAM-Loesungen extern bezogen werden - abgesehen vom fehlenden Know-how waeren auch die Entwicklungskosten fuer einen Mittelstaendler nicht tragbar.

In anderen Arbeitsbereichen, etwa der Produktion und der Materialwirtschaft, sieht die Situation dagegen anders aus. Der Zwiespalt zwischen gewachsenen Strukturen in den Betrieben einerseits sowie Software-Allroundern andererseits hat es bislang eher verhindert, dass sich manche Standardpakete durchsetzen konnten. Ein staendig wiederkehrendes Beispiel dafuer ist die Verknuepfung von Stuecklistendaten in CAD-Systemen mit PPS-Loesungen - DV-technisch gesehen zugegebenermassen eine sehr interessante Aufgabe.

Fertiger unterscheiden normalerweise zwischen Konstruktions-CAD und produktionsbegleitendem CAD. Organisatorisch betrachtet handelt es sich im CAD-System um Konstruktionsstuecklisten, also um Stuecklisten, die Teile nach Konstruktionsgesichtspunkten zusammenfassen. Nach einer Konstruktionsstueckliste kann ein Betrieb aber nicht fertigen. Aufgrund der Zeichnung generiert die Arbeitsvorbereitung eine Fertigungsstueckliste, die die Einzelteile und Baugruppen sowie teilweise das Rohmaterial in einer produktionsgerechten Reihenfolge zusammenfasst. Dieser Vorgang laesst sich maschinell nicht abbilden, dazu ist der Zwischenschritt ueber die Schnittstelle "menschliche Kreativitaet" erforderlich. Die Eingabe der neuen generierten Stueckliste in das PPS ist dann nur noch eine Formsache. Aehnliches gilt fuer den Teilestamm. Konstruktionsdaten machen gerade mal zehn Prozent der gaengigen Teilestammdaten eines PPS-Systems (Sachnummer, DIN, Abmessung, Benennung, diverse Schluessel, VL-Nummer, Variante) aus. Der Aufwand fuer eine CAD/PPS-Schnittstelle ist also vergleichsweise hoch und duerfte fuer viele Mittelstaendler keine Entlastung darstellen.

Um dagegen den Aufbau eines PBS als produktionsbegleitendes DV- System zu verstehen, muss man die Arbeitsweise im mittelstaendischen Fertigungsbereich kennen. Das heisst, dass zum Beispiel der Geschaeftsfuehrer, Eigentuemer oder Gesellschafter oftmals weder einen PC noch dicke Listenausdrucke auf seinem Schreibtisch sehen will. Dieser Personenkreis erwartet die klare Beantwortung einer Frage nicht auf dem Bildschirm, sondern von einem vertrauten Mitarbeiter. Dass dieser Ratgeber seine Informationen aus dem Vollen der Datenverarbeitung schoepfen sollte, versteht sich von selbst.

Auf den Mittelstand zugeschnittene DV-Loesung

Zu beruecksichtigen ist auch die Situation der Mitarbeiter, die in Firmen dieser Groessenordnung noch die betrieblichen Zusammenhaenge in ihrer gesamten Komplexitaet kennen. Sie benoetigen den Rechner, um schnell und umfassend an Zahlen zu kommen, mit denen Sachverhalte gegeneinander abgewogen und Entscheidungen getroffen werden koennen. Hinzu kommt: Anders als in Grosskonzernen sind die Funktionen in mittelstaendischen Unternehmen mit weniger Personal besetzt. Dadurch ist eine Wirtschaftlichkeit nur in den seltensten Faellen durch Personalabbau zu realisieren. Deshalb aeussert sich die Wirtschaftlichkeit einer DV-Loesung im Mittelstand primaer durch die Erhoehung der Mitarbeiterproduktivitaet. Diese Erkenntnis und ihre konsequente Umsetzung kann bei der Planung der Architektur eines PBS ganz wesentlich zur Vereinfachung des Systems und zur Erhoehung seiner Effektivitaet beitragen.

Probleme aufgrund von Modethemen ergeben sich dabei schon im Detail: Jeder, der mit der Fenstertechnik arbeitet, kommt frueher oder spaeter an einen Punkt, an dem ihn diese Benutzerfuehrung samt Menuetechnik bei der Arbeit stoert. Der Grund dafuer: Die Beschaeftigten mittelstaendischer Firmen wissen genau, wie ihre Arbeit am Computer aussieht - sie muessen nicht gefuehrt werden. Fuer den Input ist nur eine ganz schlichte Plattform erforderlich, in der ueber Direkteingabe gleich die gewuenschte Maske angesprochen wird.

Das Mittelstands-PBS muss unbedingt dem Arbeitsablauf angepasst sein, und zwar dem idealen Arbeitsprozess, der sich auf einem bestimmten Level in diesen Firmen ueberall aehnelt. Unabhaengig von der eingesetzten DV-Technik lebt das PBS vom Zusammenspiel der Grund- und Stammdaten, der Bewegungsdaten, der effektiven Verwaltungsprogramme und einem einfach parametrierbaren Auswertungsprogramm. Die Grunddaten umfassen wichtige Informationen des Teilestamms, der Stueckliste und des Arbeitsplans. Unter Bewegungsdaten versteht man Daten, die im Verlauf der taeglichen Arbeit temporaer erstellt, von Zeit zu Zeit ersetzt oder aufgrund von Ergaenzungen fortgeschrieben werden. Als Beispiele seien hier Material-, Teile- und Kapazitaetsbedarf, Bestellungen sowie Lagerbewegungen genannt. Mit diesem Datenmodell ist ein Unternehmen hinreichend abgebildet.

Mit Hilfe von Auswertungsprogrammen wird der jeweils aktuelle Status ermittelt und den verantwortlichen Stellen taeglich als Basis fuer Entscheidungen vorgelegt (Auftragsvorrat, Bedarf, Arbeitspapiere, Organisation der Arbeitsgaenge). Fuer sporadisch auftretende Fragen steht ein schneller, einfach zu handhabender Listengenerator zur Verfuegung.

Der Preis fuer ein kompaktes produktionsbegleitendes System kann um 10000 Mark liegen. Zusammen mit der Hardware, bestehend aus Zentralrechner und bis zu zehn Bildschirmen (keine PCs) sowie Druckern, sollte die Gesamtinvestition weit unter 50000 Mark bleiben. Diese Summe stellt nur einen Bruchteil dessen dar, was fuer ein standardisiertes Produktionsplanungs- und - steuerungssystem (PPS) ausgegeben werden muesste. Fuer viele Mittelstaendler ist die Ausgabe von einer halben Million Mark fuer eine marktuebliche PPS-Loesung eine Investition, deren Amortisation nicht absehbar ist. Unter diesem Preis lohnt es sich fuer viele Softwarehaeuser jedoch nicht, ihre Produkte anzubieten, da der Entwicklungsaufwand zu hoch war. Ein kompaktes PBS koennte somit auch als "Drei-Liter-Auto der Fertigungsindustrie" bezeichnet werden.

* Wolfgang Schneider, Goeppingen, ist Organisationsleiter eines Kfz-Zulieferers.