Konkurrenz zeigt sich unbeeindruckt IBM kuendigt EC-Abkommen ueber die Oeffnung der /370-Architektur

22.07.1994

MUENCHEN (jm) - Die IBM hat eine am 1. August 1984 gegenueber der Europaeischen Gemeinschaft (EG) abgegebene Verpflichtungserklaerung aufgekuendigt, nach der sie verpflichtet war, sowohl Hard- als auch Software-Schnittstellen ihrer /370-Umgebung innerhalb eines festgelegten Zeitraums Konkurrenzunternehmen bekanntzugeben. Betroffene Unternehmen wie Fujitsu oder Amdahl reagierten allerdings gelassen.

Wenn nicht die Europaeische Kommission (EC) Schritte gegen Big Blues Stornierung des seinerzeit getroffenen Arrangements einleitet, tritt die als IBM-Undertaking in die DV-Geschichte eingegangene Vereinbarung am

6. Juli 1995 ausser Kraft.

Die EG hatte am 6. Dezember 1980 ein formelles Verfahren gegen die IBM eingeleitet. Nach Meinung der Europa-Kommissare verstiess Big Blue bei der Produkt- und Vermarktungspolitik der /370-Hard- und Software gegen europaeisches Vertragswerk, genauer gesagt gegen die Artikel 85 und 86 der Roemischen Vertraege der damaligen Europaeischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vom 25. Maerz 1957.

Der Europa-Kommissar und Wettbewerbshueter Frans Andriessen warf der IBM Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung im Segment der /370-Rechner vor. Insbesondere unterlasse es Big Blue, andere Grossrechnerhersteller rechtzeitig mit technischen Informationen bezueglich der /370-Schnittstellen zu versorgen ("interface information"). Auch zwinge die IBM Anwender, mit den Mainframe- CPUs gleich eine von Big Blue diktierte

Menge von Speicher zu kaufen

("memory bundling").

Ferner liefere das Unternehmen mit der Hardware nicht die notwendige Betriebssystem-Software mit, zumindest sei diese nicht im Preis fuer die /370-Hardware inbegriffen ("software bundling"). Schliesslich monierten die europaeischen Wettbewerbshueter, Big Blue diskriminiere Anwender von IBM-kompatiblen Mainframes, indem das Unternehmen diesen nicht wie Benutzern von blauen Grossrechnern gewisse Software-Installationsdienstleistungen zur Verfuegung stelle ("Installation Productivity Options" = IPOs).

Im Gegenzug zu dem seinerzeit von IBM-Senior Vice-President Nicholas Katzenbach unterzeichneten Undertaking-Einverstaendnis setzte die EG ihr Verfahren aus. Big Blue durfte das Abkommen seit dem 1. Januar 1989 kuendigen, in welchem Fall es noch ein Jahr gueltig sein wuerde. Grundsaetzlich behielt sich allerdings die EG in Punkt 18 der Vereinbarung die Moeglichkeit offen, das Verfahren gegen die IBM wieder aufzunehmen.

Dies koennte der Fall sein, wenn die Kommission bei einer neuerlichen Pruefung IBMs Marktposi-tion bei /370- beziehungsweise /390-Systemen nach wie vor als dominant beurteilt. Auch Beschwerden von Wettbewerbern koennten das im Sommer 1984 niedergeschlagene Verfahren wieder aufleben lassen. Allerdings hat die Kommission diesbezueglich noch keine Entscheidung getroffen, schreibt das "Wall Street Journal" unter Berufung auf einen EC- Sprecher.

Die Kehrtwende fuehren Insider auf die neue Belegung von IBMs Fuehrungsetage zurueck. "Gerstner und seine Manager wollen das Ruder bei Big Blue konsequent herumwerfen. Zu den Veraenderungen gehoert auch eine andere Einstellung zu Abkommen wie den mit der EC getroffenen," meinte ein der IBM nahestehender Informant gegenueber der CW.

Bei der Fujitsu Systems Europe Ltd., Anbieter von IBM-kompatiblen Grosssystemen wie Hitachi oder Amdahl, hat man sich zu IBMs Schachzug noch keine Gedanken gemacht. Auch Hansjoerg Schoene, Marketing-Manager bei der Amdahl Deutschland GmbH, blieb gelassen. Die Gefahr, Big Blue koenne auf Kosten der letzten noch verbliebenen Grossrechnerkonkurrenten wieder in alte Abschottungsmuster verfallen, sieht er nicht. Vielmehr muesse IBM an Konkurrenz sogar interessiert sein, denn "eine Bedingung bei grossen Ausschreibungen ist in der Regel, dass mindestens noch ein Hersteller kompatibler Systeme mitbieten kann". Dies gelte besonders bei Regierungsauftraegen.

Dass IBM in der Vergangenheit freiwillig Schnittstellen- Definitionen der /370- und /390-Welt offenlegte, duerfte auch in der Eigenart solcher Ausschreibungen begruendet gewesen sein.

Jim Ruderman, Sprecher der IBM in der Europa-Zentrale in Paris, begruendete Big Blues Schritt damit, dass sich der Markt im vergangenen Jahrzehnt erheblich veraendert habe und Mainframes an Signifikanz verloren haetten. Sie wuerden zunehmend von vernetzten PCs und Workstations ersetzt. Folgerichtig komme auch dem Abkommen mit der EC nur mehr geringe Bedeutung zu. Ausserdem habe IBM in den vergangenen fuenf Jahren von keinem europaeischen Wettbewerber mehr eine Anfrage erhalten, Technologieinformationen zur Verfuegung zu stellen. Lediglich die Japaner Fujitsu und Hitachi sowie Amdahl haetten IBM-Spezifikationen nachgefragt.