Kolumne

Kompromisslose Auslese

02.06.2000
Heinrich Vaske, stellvertretender Chefredakteur CW

Die Aussichten im E-Business sind - zumindest theoretisch - viel versprechend: Beschaffungsprozesse lassen sich vereinfachen, verbilligen und beschleunigen. Unternehmen schöpfen bei Ausschreibungen aus einem potenziell globalen Angebot. Sie können sich mit anderen Interessenten zu Einkaufsgemeinschaften zusammenschließen und gemeinsam die Preise drücken. Eine weltweite Kundschaft, so der Traum, reißt sich meistbietend um die Produkte.

Die Praxis dürfte ein wenig anders aussehen. Online-Ausschreibungen und Beschaffungen werden Industrien, Märkte und Gesellschaft nicht nur im Positiven verändern. Ein Beispiel: Amerikanische Farmer lehnen sich derzeit vehement gegen die Gründung eines Online-Marktplatzes der sechs größten Fleischproduzenten auf. Sie fürchten die Bildung eines Kartells, das Preisabsprachen trifft. Anstatt miteinander zu konkurrieren, so die Sorge, werden diese Konzerne gemeinsam ein Monopol bilden mit dem Ziel, die Bauern auszupressen. Kein Einzelfall: Längst observieren Antitrust-Behörden und Politorganisationen auch die Handelsplätze der Automobil-, Chemie- und Reisebranche.

Monopolbildung ist eine Gefahr, die verschärfte Wettbewerbssituation eine andere - und sie könnte sich gegen die B-to-B-Enthusiasten selbst richten. Zulieferer, die sich in fester Bindung zu ihrem Abnehmer wähnen, werden in Zukunft damit konfrontiert, dass ihre bisher kaum beanstandeten Produkte und Leistungen verglichen und gegebenenfalls ersetzt werden. Traditionelle Bindungen, die zuvor nicht gefährdet waren, stehen jetzt in Frage - und sei es nur, weil der Markt transparenter geworden ist und sich Alternativangebote leichter prüfen lassen.

Die weit verbreitete Meinung, Online-Marktplätze seien nicht mehr als das virtuelle Pendant zu den realen Warenumschlagplätzen der Gegenwart, ist falsch. Im virtuellen Handel rächen sich Management-Fehler und -Versäumnisse mehr als je zuvor. Unternehmen in der Krise werden kaum noch Zeit finden, Veränderungs- und Modernisierungsprozesse einzuleiten. Der Wettbewerb lauert rund um den Globus - und ist doch nur den vielzitierten Mausklick entfernt. Im Zeitalter der Online-Marktplätze müssen sich Unternehmen auf kompromisslose Auslese vorbereiten.