VertriebDas Spektrum reicht von Einzelteilen bis zur Generalunternehmerschaft

Komplexen Vertriebsprozeß mit Standardsoftware transparent gemacht

18.04.1997

Tagtäglich sehen sich Mitarbeiter und Management im Vertrieb mit vielen Fragen konfrontiert: Wie sind die Wettbewerber in meinem Marktsegment positioniert? Wie schätzen die Kunden unsere Produkte und Leistungen ein? Wer von meinen Kollegen im Unternehmen hat zuletzt mit meinem Kunden Kontakt gehabt? Was wurde besprochen? Wie ist der Status des vor einem Monat abgegebenen Angebots? Welche Kundenbesuche stehen in den nächsten Tagen an? Kommt der avisierte Auftrag oder nicht? Was kann ich dafür tun? Wie sieht eigentlich die Vorhersage im gesamten Vertriebsbereich unserer Produktlinie aus? Und selbstverständlich will die Unternehmensspitze wissen, was "läuft". Das ist im Schenck-Konzern nicht anders als in anderen Unternehmen. Sich selbst und anderen die richtigen Antworten zu geben war in der Vergangenheit allerdings oftmals schwierig.

Wenn überhaupt Informationen vorlagen, waren sie häufig verstreut, schlummerten möglicherweise sogar doppelt und dreifach in irgendwelchen Aktenordnern, waren nicht systematisch erfaßt und damit nicht jederzeit griffbereit. Darüber hinaus gab es oft keine Möglichkeit, die Einzelinformationen zu verdichten, allgemeine Fehlentwicklungen oder positive Trends zu erkennen und rechtzeitig darauf zu reagieren. Gesucht war also eine zu Organisation und Vertriebsprozessen passende Software.

Bei der Schenck AG sollte dies ein integriertes System sein. Zwar gab es bereits einige vertriebsbezogene "DV-Inseln", doch waren sie nicht miteinander verbunden und nicht für alle Beteiligten entlang der Prozeßkette verfügbar. Die neue Lösung sollte auf einer Standardsoftware aufbauen, den Vertriebsablauf durchgängig unterstützen und in das bestehende Anwendungsumfeld (SAP R/2 und R/3) integrierbar sein. Gleichzeitig wollte Schenck mit der Entscheidung für eine Standardsoftware von künftigen technologischen Entwicklungen profitieren.

Mit dieser Aufgabenstellung gingen Andreas Potreck und einige Kollegen aus dem Bereich Marketing Services der Carl Schenck AG daran, ein Informations- und Kommunikationssystem für alle Aspekte des Computer Aided Selling (CAS) zu entwickeln.

"Kein leichtes Unterfangen", sagt Projekt-Manager Potreck im nachhinein. "Anbieter von Vertriebsinformationssystemen gab es genügend.

Das Problem war, genau dasjenige herauszufinden, das in seinen Kernfunktionen unsere Ansprüche am besten erfüllt. Entscheidend war, inwieweit sich unsere Organisationsstruktur und der Ablauf der Vertriebsprozesse in dem System abbilden lassen."

Das neue Vertriebsinformationssystem mußte in der Lage sein, die mehrschichtige Struktur des Konzerns abzubilden und Auswertungen aus der Perspektive des Unternehmensbereichs, der Landesgesellschaft oder des Vertriebssegments sowie auch kombinierte Darstellungen zu ermöglichen.

Das Leistungsspektrum der verschiedenen Bereiche erstreckt sich vom Vertrieb von Standard-produkten bis hin zur Generalunternehmerschaft für die Errichtung kompletter Anlagen, beispielsweise eines Luftfrachtzentrums im Wert von mehr als 100 Millionen Mark. Entsprechend aufgefächert sind die Anforderungen an die Arbeitsprozesse im Vertrieb. Zu großen Teilen sind sie unmittelbar mit den Entscheidungs- und Ablaufprozessen beim Kunden verknüpft.

Mit Ausnahme des Katalogvertriebs folgen sie einer für die Investitionsgüterindustrie typischen Grundstruktur, die sich in die Phasen Akquisition, Projektierung, Abschluß, Abwicklung und Service gliedert. Die daraus resultierenden Informations- und Kommunikationsbeziehungen zwischen Kunde, Vertrieb und den übrigen Unternehmenseinheiten müssen also ebenfalls in dem System darstellbar sein und optimal unterstützt werden. "In erster Linie haben wir uns dabei zunächst auf schon bestehende Informationsprozesse konzentriert. Vorgabe für das neue System war also die Erfassung und Weiterverarbeitung von Daten, die ohnehin im Tagesgeschäft anfallen. Wir wollen ja die Arbeit der Mitarbeiter erleichtern und nicht komplizieren", so Potreck.

In einem relativ aufwendigen Verfahren wurden die Softwareprodukte verschiedenster Hersteller bewertet, die technischen Perspektiven genau analysiert sowie mehrere Testinstallationen von Vertriebsmitarbeitern in Gruppen und über mehrere Tage hinweg eingehend "am praktischen Fall" überprüft. Ergebnis: "Orvis S/3" machte das Rennen.

Das System wurde vom gleichnamigen Saarbrücker Softwarehaus entwickelt. Es ist speziell auf die Bereiche des Database-Marketing, der Vertriebsunterstützung und des Vertriebs-Controlling ausgerichtet. Basis ist eine umfassende relationale Datenbank, die gezielt Daten und Informationen in unterschiedlichsten Detaillierungsstufen und Aufbereitungsformen zur Verfügung stellt. Gespeist wird sie im wesentlichen von zwei Quellen: einerseits von den Informationen, die während der Vertriebsprozesse im Außen- und Innendienst anfallen, andererseits von den Daten, die sich von bestehenden Auftragsabwicklungssystemen übernehmen lassen.

Auf dieser Grundlage wurde das System an die speziellen Bedürfnisse bei Schenck angepaßt und in den letzten zwei Jahren zunächst in Deutschland und bei einigen europäischen Tochtergesellschaften eingeführt. In den deutschen Unternehmensbereichen können heute rund 400 Vertriebsmitarbeiter mit dem System arbeiten.

Bei der inhaltlichen Gestaltung des Systems stand die einfache Erfassung der Daten im Mittelpunkt. Alle Daten einer Auswertung können meist in einer einzigen Bildschirmmaske eingegeben werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist nach Ansicht Potrecks, "daß das System unsere Sprache spricht". So konnten nicht nur die bei Schenck verwendeten Ordnungskriterien und Datenstrukturen direkt in das System übernommen werden, sie heißen auch so. Die zentrale Rolle spielen dabei die elektronische und die Kundenstammakte. Identifizierender Begriff für jeden Vorgang ist bei Schenck das Aktenzeichen. Alle Vorgänge (Anfragen, Angebote, Aufträge) lassen sich einer Akte und einem Kunden zuordnen, sämtliche Dokumente (Besprechungsprotokolle, Gesprächsnotizen) in einer Akte "abheften". Dazu Potreck: "Das System bildet die Vertriebsrealität so ab, wie sie ist. Die Mitarbeiter können weiter die vertrauten Begriffe verwenden. Das macht den Einstieg leicht und fördert die Akzeptanz."

Ausgangspunkt des Vertriebsinformationssystems ist der Datenbestand. Er enthält bei Schenck alle Kundeninformationen (Adressen, Standorte, Ansprechpartner etc.) und die mit ihm in unmittelbarer Beziehung stehenden Daten (Akten, Vorgänge, Konditionen, Zuständigkeiten, Planungen). Ausschlaggebend für den Nutzen dieses Fundus sind Aktualität und Qualität. Bei Schenck schätzt man, daß "ungepflegtes" Datenmaterial in der Vergangenheit Effizienzverluste von jährlich 500000 Mark verursachte. Permanente Datenpflege ist also unabdingbar. Aus diesem Grund wurden alle Vertriebsmitarbeiter intensiv geschult und mit den Regeln und Auswirkungen ihrer Dateneingaben vertraut gemacht. Zusätzliche - auch systemtechnische - Kontrollmechanismen sollen Eingabefehler in der Hektik des Tagesgeschäfts verhindern.

Die zentrale Aufgabe des Systems liegt darin, die notwendigen Informationen für den gesamten Verkaufsprozeß bereitzustellen. Ordnungsprinzip ist bei Schenck die Kategorisierung der Vorgänge nach Akten, Kunden und betreuendem Personal. In der Akte werden alle Kundenkontakte gesammelt und abgelegt. Sie zeigt die Vertriebsentwicklung und ist gleichzeitig Ausgangspunkt für die Erfassung und Darstellung der einzelnen Geschäftsabläufe. Bei der Bearbeitung der Vorgänge (Anfragen, Angebote etc.) wurde wiederum besonderer Wert auf die einfache Erfassung gelegt. Alle Kerninformationen - bei einem Angebot sind das beispielsweise Kunde, Produkte, Angebotswerte, Bearbeitungsstatus - sind in einer einzigen Erfassungsmaske abgebildet. Erst wenn Zusatzinformationen (zum Beispiel über Mitbewerber) erforderlich sind, wird in weitere Bildschirmmasken verzweigt.

Mit der konsequenten Erfassung aller relevanten Daten ergibt sich die Basis für eine durchgängige informationstechnische Begleitung im gesamten Vertriebsprozeß. Dabei kommen im Laufe der Zeit immer wieder neue und verfeinerte Daten hinzu. Auf diese Weise entsteht nach und nach ein Datenpool, mit dem sich vielfältige Aktionen und Auswertungen auslösen lassen. So bilden beispielsweise die eingehenden Anfragen die Grundlage für die Termin- und Kapazitätsplanung im technischen Vertrieb. Man kann schnell erfahren, welcher Auftrag von wem bearbeitet wird und wie der aktuelle Status aussieht. Mit dem System lassen sich sehr einfach zusätzliche elektronische Formulare verteilen, um weitere Daten zu gewinnen. "Das hilft uns, in einem Screening-Prozeß die sich abzeichnenden Projekte zu prüfen, zu bewerten und uns auf die erfolgsträchtigen zu konzentrieren", erläutert Potreck.

Erwächst schließlich aus der Anfrage ein Angebot, erfolgt auch dessen weitere Bearbeitung mit dem System. So entstehen unter anderem Übersichten, die als Projektlisten die offenen Angebote pro Betreuer oder Vertriebseinheit aufbereiten. Für seine eigene Planung kann der Vertriebsmitarbeiter Termine eintragen, die ihn automatisch an Folgekontakte und -aktivitäten erinnern.

Voraussetzungen für Vertriebs-Controlling

Darüber hinaus ist es natürlich auch nötig, die übrigen beteiligten Stellen (beispielsweise im Innendienst) in die Arbeitsabläufe einzubinden. Dazu werden elektronische "To-Do-Listen" erzeugt, die den betreffenden Mitarbeitern rechtzeitig die von ihnen erwarteten Aktivitäten und die einzuhaltenden Termine anzeigen. Jeder Kundenkontakt wird über das System lückenlos dokumentiert, so daß sich der Vertriebsmitarbeiter ebenso wie das Management zu jeder Zeit über den aktuellen Stand eines Angebots oder Auftrags informieren kann. Damit schafft das System die Voraussetzungen für ein leistungsfähiges Vertriebs-Controlling.

Die Datenbank bietet alle Möglichkeiten für Aktionen des Direkt-Marketings (Database Selling). Nach differenzierten Kriterien lassen sich ohne viel Mühe genau die Kunden und Ansprechpartner auswählen, die man mit einer Aktion oder Information von der Zentrale aus gezielt ansprechen will. Auch dabei gilt natürlich wieder das Prinzip der elektronischen "Rückkopplung", damit der zuständige Vertriebsbeauftragte immer im Bilde ist, was bei seinem Kunden läuft.

Mit dem Vertriebsinformationssystem wird es wesentlich leichter, einen Blick in die Zukunft zu wagen. Ein ausgeklügeltes Verfahren prognostiziert jeweils Zeitpunkt und Umfang der zu erwartenden Auftragseingänge, faßt sie in Reports zusammen und leistet somit Vorhersagen für die zukünftige Geschäftsentwicklung. Das bringt mehr Transparenz in die einzelnen Vertriebsbereiche und ist gleichzeitig eine wichtige Grundlage für die Kapazitätsplanung im gesamten Unternehmen. Darüber hinaus ist Schenck dabei, sich sukzessive eine umfassende Wettbewerber- und Produktdatenbank aufzubauen. Jeder Mitarbeiter, der im Vertrieb tätig ist, erfährt nahezu zwangsläufig Daten über Marktentwicklungen, technologische Trends, Wettbewerber und deren Verhalten sowie über Stärken und Schwächen der konkurrierenden und eigenen Produkte. Einmal erfaßt und immer wieder aktualisiert, haben solche Informationen einen unschätzbaren Wert für unternehmerische Entscheidungen.

Bessere Kommunikation untereinander entscheidend

Einer der Dreh- und Angelpunkte des Vertriebsinformationssystems ist das Notebook des Außendienstmitarbeiters. Auf diesen Rechner (mit einer SQL-Datenbank) lädt er sich einmal täglich die für ihn relevanten Informationen, ruft die ihn betreffenden Auswertungen ab, erfaßt die im Tagesgeschäft anfallenden Daten und überträgt sie via Modem an die Zentrale. Arbeitet er im Vertriebsbüro kann er natürlich unmittelbar auf die vorhandenen lokalen Datenbestände innerhalb des etablierten Novell-Netzwerks zugreifen. Sämtliche Updates laufen allerdings über den zentralen Rechner mit einer relationalen Oracle-Datenbank im Rahmen einer Client-Server-Architektur. Das sichert die Konsistenz der Daten für alle Beteiligten. Hier liegen auch die Schnittstellen zu den bei Schenck eingesetzten Abwicklungssystemen SAP R/2 und R/3. Mit diesem integrierten und gleichzeitig verteilten DV-Konzept erreicht Schenck eine durchgängige Informationsverarbeitung über alle Ebenen und Prozesse hinweg.

"Entscheidend ist aber nicht nur die technische Lösung, sondern die bessere Kommunikation untereinander", macht Potreck deutlich. "Erst dadurch lassen sich Verfügbarkeit und Qualität der Informationen steigern, die Abstimmprozesse vereinfachen, der Administrationsaufwand und damit die Kosten senken..

Die Carl Schenck AG

mit Hauptsitz in Darmstadt ist ein weltweit operierender Konzern des Maschinen- und Anlagenbaus. Der Jahresumsatz liegt bei mehr als einer Milliarde Mark, die Beschäftigtenzahl bei 5800. Die Palette der Produkte und Dienstleistungen reicht von Verfahrens- und Instandhaltungssystemen, Plattenproduktions- und Fördersystemen über die Prüf- und Automatisierungstechnik bis hin zur Auswucht- und Diagnosetechnik und geht weiter über Prüfsysteme zur Simulationstechnik. Die Kunden entstammen allen Bereichen der Industrie, schwerpunktmäßig der Automobil- und Elektroindustrie. Innerhalb der strategischen Unternehmensbereiche ist der Vertrieb nach Branchen beziehungsweise Technologien in Form von Vertriebssegmenten gegliedert. Darüber hinaus erfordert die starke Präsenz im Ausland mit 35 Tochtergesellschaften eine Regionalstruktur unter der Führung von Landesgesellschaften.

ANGEKLICKT

Von Effizienzverlusten im Wert von einer halben Million Mark geht Anlagenbauer Carl Schenck AG in Darmstadt im nachhinein aus und nennt als Grund: "ungepflegtes" und deshalb nicht nutzbares Datenmaterial im Bereich Vertrieb. Ein integriertes Vertriebsinformationssystem hat diesen stattlichen Wert zutage gefördert. Gewinnbringende Steigerungen erwarten sich die IT-Strategen von Schenck nun durch die Einführung eines "After-Sales-Service-Systems".

*Frank Hässler ist freier Journalist in Schöneich.