Komplex, chaotisch, IT

18.04.2007
Von Kai Nowak
Viele Unternehmen sind von einer konsolidierten IT weit entfernt. Sie wagen den Schritt nicht, weil sie nicht über die nötigen Ressourcen verfügen und sich nicht auf unbekanntes Terrain bewegen wollen.

Neue Applikationen und Rechner, neue Technologien und Paradigmen, neue Firmentöchter und Unternehmensstandorte: Die Anforderungen an die IT werden immer umfangreicher. Höhere Volumina und mehr Transaktionen gilt es zu meistern, mehr Anwender müssen versorgt werden, die Summe der Applikationen und die Bedeutung der Geschäftsprozesse steigen, aus nationalen werden globale Unternehmen. Die IT wird immer komplexer, ohne dass die IT direkten Einfluss darauf nehmen kann. Die Zeiten, in denen Technologien unbedacht eingeführt wurden, um hinterher an der Komplexität zu sterben, gab es nie wirklich - und wenn, dann wären sie schon lange vorbei. IT um ihrer selbst willen tut sich niemand an.

Hier lesen Sie ...

  • welche Trends die IT komplexer werden lassen;

  • wieso viele IT-Abteilungen nicht gegensteuern können;

  • warum das Management für die Vereinfachung Zeit und Geld bereitstellen muss.

"Simplify your IT" ist seit jeher ein Ziel der Verantwortlichen. Mit jeder Veränderung rückt es allerdings ein Stück in die Ferne. Daher die entscheidende Nachricht vorab: Die Vereinfachung der IT ist ein permanentes Projekt. IT-Verantwortliche haben in den vergangenen Jahren zwar durchaus Fortschritte in dieser Hinsicht gemacht. Teilweise wird ihnen aber kaum der Raum gelassen, um Standardisierung und Konsolidierung mit Erfolg voranzutreiben.

Ständig neue Anforderungen

Während die eine Hälfte der Unternehmen in konkreten Projekten daran arbeitet, ihre IT zu entschlacken, würde es die andere Hälfte liebend gerne tun, ist aber aufgrund der "Umsetzung der Geschäftsbereichsanforderungen" zeitlich nicht dazu in der Lage. Ständig werden der IT neue Anforderungen aufgebürdet (Mobilität, Echtzeit, Kundenfokus, Corporate-Performance-Management etc.), so dass die Verantwortlichen vor lauter Arbeit nicht merken, dass ihre Axt längst stumpf geworden ist. Und selbst wenn es ihnen auffallen sollte: Zeit beziehungsweise Budget, um das Werkzeug zu schärfen, bleibt kaum.

Zwei bekannte Rezepte

Standardisierung und Konsolidierung sind die traditionellen Antworten der IT-Verantwortlichen auf die steigende Komplexität. Standardisiert werden die IT-Infrastruktur, die Anwendungsarchitektur und vor allem die eigenen Prozesse. Eine gute Aufgabenteilung kann ein wesentlicher Hebel sein, um die Kosten zu drücken. Prozesse in der IT müssen standardisiert sein, um Verantwortlichkeiten exakt zu regeln. Wer sich um den Server-Betrieb kümmert, soll auch nur die Server betreiben. Anwendungsbezogene Themen als "Nebenjob" sollten darüber hinaus nicht noch geschultert werden. Die IT-Mitarbeiter müssen "fabrikorientiert" arbeiten können, um eine hohe Produktivität zu erzielen.

Auch die Konsolidierung hat in den vergangenen Jahren eine steile Karriere hingelegt. Komplexität lässt sich senken, indem etwa die Zahl der Standorte reduziert oder die Plattformen vereinheitlicht werden. Das klingt leichter, als es ist, denn jede Konsolidierung kostet Geld. Wichtiger ist aber, dass man sich selbst darüber klar wird, wo die eigenen Probleme und die wirklich komplexitätstreibenden Systeme liegen. Das macht die Angelegenheit nicht leichter. Eine Möglichkeit zur Identifizierung von Verbesserungspotenzialen ist Benchmarking: Was machen andere besser bei gleichen oder geringeren Kosten? Wie lassen sich Prozesse standardisieren, um Kosten zu sparen? Benchmarking liefert praxiserprobte Lösungen, da nicht mit theoretischen Ansätzen Besserung gelobt wird, sondern die aufgezeigten Maßnahmen den Praxistest schon bestanden haben.

Auf dem Weg zur simplen IT gibt es offensichtlich Hindernisse: Das historisch gewachsene IT-Portfolio - Programme und Infrastrukturen, an die man sich "nicht herantraut" und bei denen man froh ist, dass sie störungsfrei laufen, weil das Know-how schon vor Jahren in Rente gegangen ist und sich damals niemand um die Dokumentation gekümmert hat. Anwender müssen in diesen Fällen evaluieren, wie hoch der aktuelle Wartungsaufwand ist und welche Risiken im Portfolio lauern, wenn eine Applikation sowie die Experten in die Jahre gekommen sind. Danach folgen der Entwurf des Migrationsszenarios mit Business Case, Risikoanalyse und Roadmap. Die Bereinigung, Standardisierung und Konsolidierung bedeutet also einen zusätzlichen Aufwand neben dem Tagesgeschäft.

Zweitens herrschen Budgetzwänge: Wer zahlt die Migration, wenn die IT Anwendungen konsolidieren will? Läuft die Altanwendung reibungslos, fragt sich der "Kunde", warum er überhaupt investieren soll, um zu konsolidieren. Das Projekt helfe unter dem Strich schließlich nur der IT. Der IT-Verantwortliche muss demnach beim Kunden den überzeugenden Anreiz für eine Investition auslösen. Das kann nur gelingen, wenn etwa die monatliche Umlage für den Nutzer (voraussichtlich) niedriger ausfallen wird als bisher oder entscheidende Funktionen die Geschäftsbereiche besser unterstützen - sich demnach der Aufwand für beide Seiten rechnet. Realistische Szenarien sind hier erfahrungsgemäß genauso hilfreich wie selten. Überzogene Erwartungen helfen nur kurzfristig weiter und blockieren spätere Budgetwünsche.

IT-Verantwortliche sollten wissen, wo sie mit ihrer IT stehen und welche Aufgabe sie vorrangig in Angriff nehmen müssen. Auch hier kann Benchmarking helfen zu erkennen, was eine "sinnvolle Komplexität" ist, denn komplett simpel wird die IT nie werden. Gerade Komplexität ist - neben dem Volumen - ein Bereich, der sich recht gut in Zahlen fassen lässt. In der Anwendungsentwicklung kann man die Komplexität an den verschiedenen Programmiersprachen, Entwicklungsplattformen, Schnittstellen und Datenbanksystemen messen. Bei der Infrastruktur fallen unter anderem die verschiedenen Hersteller und Betriebssysteme ins Gewicht. Stets geht es um die Heterogenität der Landschaft, wodurch die Komplexität und letztlich der Aufwand steigen. Beim Benchmarking ist Komplexität jedoch nur eine Dimension: Messen und Vergleichen lassen sich neben der Leistung auch das Volumen und die Qualität der IT.

Feste Termine im Blick

Oft bietet sich als Einstieg in die Konsolidierung an, gewisse unveränderliche Termine im Auge zu haben, etwa wann eine Betriebssystem-Version aus der Herstellerwartung herausfallen wird - mit Blick auf diesen Tag muss man sich sowieso darum kümmern. Häufig lassen sich dabei positive Effekte vorziehen: Wird die Software eher abgelöst, kommt man gegebenenfalls früher in den Genuss sinkender Kosten. Die IT muss in jedem Fall deutlich machen können, dass eine antike Software zwar weiterläuft, aber eine Kostenexplosion kurz- bis mittelfristig unabwendbar ist. Die gelegentliche Forderung der Geldgeber, eine Standardisierung und Konsolidierung aus dem regulären Budget zu bestreiten, ist fast immer ein hoffnungsloses Unterfangen. (ajf)

Fazit

Im nächsten Jahr wird es nicht besser. Für die Wette, dass die IT künftig noch mehr leisten muss, gibt es daher keine gute Quote. Der Zeitpunkt für die Konsolidierung und Standardisierung ist, so abgedroschen das auch klingen mag, nie günstiger als jetzt. Das Problem daran: Man muss der IT die Chance geben, sich zu vereinfachen. Dazu gehört auch, Geld in die Hand zu nehmen, um die Umsetzung zu ermöglichen und damit wieder Freiräume für weiteres Wachstum zu schaffen. Dass die IT die alleinige Schuld an der eigenen Misere trifft, ist ein weit verbreitetes Märchen. Und der Glaube an Märchen, so schön sie auch klingen mögen, bringt kein Unternehmen voran.