Kompetenz muss durch Gutachten nachgewiesen werden DV-Fachleute koennen sich als Freiberufler anerkennen lassen

27.04.1995

Von Klaus Grunewald* und Hanns Hoecker*

Die steuerrechtliche Anerkennung des DV-Beraters als Freiberufler ist die Voraussetzung fuer seine Befreiung von der Gewerbesteuer. In der bisherigen Rechtsprechung waren hier - insbesondere fuer Berater ohne entsprechendes Studium - hohe Huerden aufgebaut worden. Der Ausgang eines Rechtsstreites vor dem Niedersaechsischen Finanzgericht Hannover eroeffnet jetzt neue Perspektiven.

Die Frage nach der rechtlichen Einordnung des Berufs DV-Berater knuepft an einen Begriff, fuer den es keine abschliessende Definition gibt. Grundsaetzlich impliziert der Begriff, dass es sich um einen beratenden Beruf handelt, der Auftraggeber also Informationen zur Loesung einer Problemstellung verlangt beziehungsweise erhaelt. So koennen Beratungsgegenstand die Entwicklung von Software, die Auswahl von Soft- und Hardware, Wirtschaftlichkeitsanalysen und anderes mehr sein.

Fuer die Frage der steuerrechtlichen Einordnung der Taetigkeit des DV-Beraters ist Paragraph 18 Absatz 1 Nr. 1 (Einkommensteuergesetz) EStG massgebend. Danach sind Einkuenfte aus selbstaendiger Arbeit freiberufliche Taetigkeiten und damit nicht gewerbesteuerpflichtig. Dazu zaehlen allgemein per Definition selbstaendig ausgeuebte wissenschaftliche, kuenstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Aktivitaeten. Darueber hinaus werden zahlreiche konkrete Berufe aufgezaehlt, die von dieser Norm erfasst werden. Zu diesen sogenannten Katalogberufen gehoert neben der selbstaendigen Berufstaetigkeit der Aerzte, Rechtsanwaelte etc. auch der hier interessierende Berufsstand der beratenden Volks- und Betriebswirte und der Ingenieure sowie die dort genannten aehnlichen Berufe.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich in der Vergangenheit in zahlreichen Entscheidungen mit der Anwendung dieser Regelung auf DV-Berater beschaeftigt, wobei fast alle Urteile ablehnend waren.

Lediglich in der Entscheidung "Diplom-Mathematiker"** aus dem Jahre 1985 gelangte der BFH zu dem Ergebnis, dass eine gewerbesteuerfreie Taetigkeit vorliegt. Der Antragsteller hatte sich, nach jahrelanger Taetigkeit in einem Unternehmen, in dem er in den Bereichen DV und Betriebswirtschaft ausgebildet wurde, als selbstaendiger Unternehmensberater niedergelassen und ueberwiegend Software entwickelt.

Der BFH verwies hier auf die eigene staendige Rechtsprechung und fuehrte aus, dass diese dahin geht, eine Taetigkeit als beratender Betriebswirt fuer denjenigen anzunehmen, der nach einem entsprechenden Studium oder nach einem vergleichbaren Selbststudium und praktischen Erfahrungen mit den hauptsaechlichen Bereichen der Betriebswirtschaft vertraut ist und davon bei seiner Taetigkeit tatsaechlich Gebrauch macht.

Die sonstigen Entscheidungen waren ablehnend, so beim "Techniker fuer Maschinenbau" aus dem Jahre 1989. Der Betroffene hatte sich - ebenfalls nach einer mehrjaehrigen nichtselbstaendigen Taetigkeit im Bereich Datenverarbeitung - als freier DV-Berater niedergelassen und unter anderem Programme fuer den oeffentlichen Nahverkehr entwickelt. Der BFH stufte, wie schon vorher das Finanzgericht, diese Taetigkeit als Gewerbe ein und verneinte damit eine freiberufliche Taetigkeit gemaess Paragraph 18 Absatz 1 Nr. 1 EStG.

Da nach Auffassung des BFH nur die Erstellung von Systemsoftware als typisches Berufsfeld fuer den an einer Fachhochschule oder wissenschaftlichen Hochschule ausgebildeten Diplominformatiker, den sogenannten Kerninformatiker, in Frage kommt, koenne sich der Steuerpflichtige, der unstreitig Anwendersoftware entwickelt habe, hierauf nicht berufen, wenn er seine steuerliche Anerkennung als Freiberufler betreibe.

Der BFH haelt die sogenannte Systemsoftware fuer erheblich anspruchsvoller als die Anwendersoftware, da es bei der erstgenannten um den Entwurf von Strukturen zwischen der Hardware und der Anwendernahtstelle gehe.

Als Beispiele fuehrt der BFH Betriebssysteme, Hilfs- und Dienstprogramme, Compiler oder Datenbanksysteme an, deren Schaffung in der Regel mit einer hohen Komplexitaet verbunden ist. Zwar sei auch die Entwicklung von Anwendersoftware in vielen Faellen nicht weniger anspruchsvoll, jedoch unterschieden sich beide Taetigkeiten insbesondere dadurch, dass der Anwendersoftware- Entwickler neben Informatikkenntnissen auch Fachkenntnisse der jeweiligen Branche (Technik, Medizin etc.) benoetige, um die entsprechenden Programme zur Loesung des jeweiligen Problems schreiben zu koennen.

Diese Taetigkeit spiele sich auf einem niedrigeren Niveau ab, was auch aus den Hochschul-Curricula und Pruefungsverordnungen sowie aus dem konkreten Einsatz der in diesem Bereich taetigen Mitarbeiter in den Unternehmen zu erkennen sei. Auch komme nach Ansicht des BFH eine dem Betriebswirt aehnliche Taetigkeit nicht in Betracht. Hierbei stuetzt sich das Gericht auf die eigene Rechtsprechung, nach der ein DV-Berater nicht in einer dem beratenden Betriebswirt aehnlichen Weise taetig wird. Als Begruendung wird hierzu genannt, dass beim selbstaendigen Berater fuer Anwendersoftware-Entwicklung auch dann, wenn seine Aufgabenbereiche wirtschaftlich orientiert sind, nicht die betriebwirtschaftliche Beratung, sondern die Entwicklung eines Anwenderprogramms im Vordergrund steht.

Die Entscheidung "Autodidakt" hat die fuer DV-Berater ohne akademischen Abschluss interessierende Frage der autodidaktischen Aus- und Weiterbildung zum Gegenstand. Dabei fuehrte der BFH aus, dass nach seiner Auffassung ein Autodidakt im Bereich der DV ebenso zu behandeln sei wie im Bereich anderer technischer Berufe, wobei er insbesondere den Nachweis der erforderlichen theoretischen Kenntnisse anhand eigener praktischer Arbeiten erbringen kann. Diese Arbeiten muessen jedoch den Schluss rechtfertigen, dass die theoretischen Kenntnisse des in dieser Weise Taetigen ihrer Breite und Tiefe nach denjenigen des an einer Fachhochschule oder wissenschaftlichen Hochschule ausgebildeten Diplominformatikers entsprechen.

In zwei neueren Entscheidungen aus dem Jahre 1993 hat der BFH diese Rechtspositionen bestaetigt. So wird vom BFH im Falle eines "Fachberaters fuer Telekommunikation" die Anerkennung als eine dem beratenden Betriebswirt aehnliche Berufstaetigkeit abgelehnt. Begruendet wird auch dies mit dem Fehlen der vermeintlichen fachlichen Breite und Tiefe des Wissens des Beraters.

In der Entscheidung "Programmierer" verweist der BFH wiederum auf seine eigene Rechtsprechung und fuehrt erneut aus, dass auch ein Autodidakt den Nachweis des durch Selbststudium erworbenen Wissens anhand eigener praktischer Arbeiten erbringen kann, ohne dies weiter zu konkretisieren.

Leerformeln der Gerichte helfen nicht weiter

Mit Ausnahme des bejahenden Urteils "Diplommathematiker" stimmen alle Entscheidungen darin ueberein, dass DV-Berater betroffen waren, die keinen akademischen Abschluss einer Universitaet oder Fachhochschule vorweisen konnten.

Der BFH ist zwar "im Grundsatz" der Auffassung, dass sich ein DV- Berater das erforderliche theoretische Wissen auch selbst aneignen kann und wiederholt in vielen Entscheidungen fast gebetsmuehlenhaft immer wieder den Hinweis auf die Moeglichkeit, autodidaktisch erworbene Kenntnisse nachzuweisen - schweigt sich aber stets dazu aus, wie dies konkret zu geschehen habe.

Mit einer derartigen Leerformel ist jedoch niemandem gedient. Wenn der BFH einerseits stets betont, dass auch Autodidakten eine Chance haben, er andererseits aber, wie gezeigt, allen "Nicht- Akademikern" eine Abfuhr erteilt, so fuehrt dies zur Konsequenz, dass der BFH entgegen seinen eigenen Ausfuehrungen letztlich doch nur akademische Abschluesse (Diplom, Examen etc.) anerkennt.

Und doch muss es einen Weg zur Darstellung und Beweisbarkeit der Gleichwertigkeit der Kenntnisse eines DV-Beraters ohne entsprechenden formalen (Universitaets- oder Hochschul-) Abschluss geben, der zur Anerkennung als von der Gewerbesteuer befreiter Freiberufler fuehrt. In einem kuerzlich mit einem Vergleich beendeten Rechtsstreit vor dem Finanzgericht Hannover wird eine moegliche Loesung des bisherigen Dilemmas aufgezeigt.

In dem erwaehnten Rechtsstreit klagte ein DV-Berater vor dem Niedersaechsischen Finanzgericht Hannover gegen das Finanzamt Oldenburg mit dem Ziel einer Anerkennung seiner Taetigkeit als selbstaendige im Sinne des Paragraphen 18 Absatz 1 Nr. 1 EStG. Der Klaeger hatte, bevor er sich im Jahre 1988 als freier Unternehmensberater niederliess, eine Lehre als Industriekaufmann absolviert und den Abschluss der Fachoberschule erlangt.

Daran schloss sich ein sechsmonatiger Lehrgang fuer Programmierung und Systemanalyse beim Control Data Institut an. In den nachfolgenden zehn Jahren war der Klaeger dann in verschiedenen Firmen und DV-Projekten als Systemanalytiker taetig, in den letzten Jahren auch in der Position eines Projektleiters.

Falsche Interpretation von DV-Begriffen

Waehrend der gesamten Zeit erfolgte - neben der eigentlichen Projektarbeit - eine intensive Aus- und Weiterbildung durch den Besuch von Anwenderseminaren, firmeninterne Schulungen und zusaetzliches Selbststudium. Sowohl ueber seine Ausbildung als auch ueber die praktische Projektarbeit konnte der Klaeger entsprechende Nachweise (Zeugnisse und diverse Arbeitsunterlagen) vorlegen.

Vor diesem Hintergrund formulierte das Niedersaechsische Finanzgericht - anknuepfend an die oben geschilderte Rechtsprechung des BFH - einen Beweisbeschluss, der im wesentlichen zwei durch Sachverstaendige zu beantwortende Fragen enthielt. Dabei ging es zum einen um die Frage, ob der Klaeger ueberwiegend auf dem Gebiet der Systemsoftware-Entwicklung taetig war. Zum anderen war zu klaeren, ob der Klaeger insgesamt ueber wissenschaftlich-theoretische Kenntnisse verfuegte, die in Breite und Tiefe den Fachkenntnissen eines Diplominformatikers - nach einer spaeteren Abaenderung des Beweisbeschlusses: eines Diplom-Wirtschaftsinformatikers (FH) - entsprechen.

Gutachter kommen nicht zum gleichen Ergebnis

Der zunaechst mit diesen Fragen befasste Sachverstaendige kam in insgesamt drei Gutachten - in denen dem BFH unter anderem eine gravierende Fehlinterpretation des Begriffes Systementwicklung nachgewiesen wurde - zu dem Ergebnis, dass der Klaeger ueberwiegend in der Systemsoftware-Entwicklung beziehungsweise Systemprogrammierung taetig gewesen sei. Diese Bewertung ergab sich aus der Tatsache, dass der Sachverstaendige eine relativ umfassende Definition des Begriffes Systemsoftware zugrunde legte und damit auch Gebiete wie Datenbank- und Datenkommunikationssysteme sowie Netzwerksoftware einbezog.

War somit die erste zentrale Frage des Beweisbeschlusses positiv im Sinne des Klaegers beantwortet worden, so kam der Sachverstaendige bei seiner Beurteilung der beruflichen Qualifikation des DV-Beraters zu anderen Ergebnissen.

Eine Gleichwertigkeit der bei dem klagenden Unternehmensberater vorliegenden Fachkenntnisse mit denen eines Diplom- Wirtschaftsinformatikers (FH) wurde vom dem Gutachter - selbst Hochschullehrer an einer Fachhochschule - nicht bestaetigt.

Erst das Gutachten eines weiteren Sachverstaendigen fuehrte hier zu einem anderen Resultat. Dieser zweite Gutachter - ebenfalls Hochschullehrer fuer Wirtschaftsinformatik an einer Fachhochschule - konnte in einem akribisch durchgefuehrten Vergleich zwischen den Fachkenntnissen des Klaegers und den Lehrinhalten eines entsprechenden Studiums an einer Fachhochschule ueberzeugend darlegen, dass der klagende DV-Berater in vollem Umfang ueber die bei einem Diplom-Wirtschaftsinformatiker(FH) vorhandenen Kenntnisse verfuegte.

Entscheidend fuer das Ergebnis war, dass die vom Klaeger in der praktischen Projektarbeit erworbenen Fachkenntnisse in hohem Masse mit den sehr anwendungsorientierten Studieninhalten, wie sie fuer Fachhochschulen kennzeichnend sind, uebereinstimmten.

Diese Einschaetzung des zweiten Gutachters fuehrte zu einem Vergleich, der den Vorstellungen des Klaegers in dem entscheidenden Punkt entsprach. Die Taetigkeit des DV-Beraters wurde als selbstaendig im Sinne des Paragraph 18 Absatz 1 Nr.1 EStG anerkannt.

Obwohl in dem vorliegenden Fall durch das Niedersaechsische Finanzgericht kein abschliessendes Urteil gesprochen wurde, das als Beginn einer veraenderten Rechtsprechung fuer weitere aehnlich gelagerte Faelle herangezogen werden koennte, zeichnet sich hier doch ein grundsaetzlich neuer Weg zur Anerkennung der Selbstaendigkeit einer Beratertaetigkeit ab.

Speziell fuer DV-Berater ohne Hochschulexamina, deren Fachkenntnisse zu wesentlichen Teilen autodidaktisch erworben wurden, eroeffnet sich die Moeglichkeit, ihre fachliche Qualifikation durch Sachverstaendige ueberpruefen zu lassen. Eine Bewertung dieser Fachkenntnisse sollte dann, bei entsprechenden Resultaten, die Anerkennung der selbstaendigen Berufstaetigkeit zur Folge haben. Letztlich duerfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis diese durch die bisherigen Urteile des BFH vorgezeichnete Verfahrensweise sich auch in einer neuen Rechtsprechung der Finanzgerichte niederschlaegt.