Beim Anwender besteht Bedarf an Breitband-Kommunikation

Kommunikationsnetze von heute stoßen an ihre Leistungsgrenze

29.11.1991

Im Gegensatz zum Programm Fiber-to-the-Home zeigen sich schon heute vielfältige Anwendungsmöglichkeiten und ein konkreter Bedarf hinsichtlich der Verkabelung Fiber-to-the-Business. Zu dieser Erkenntnis kommt eine im Rahmen des Berkom-Projektes durchgeführte Marktstudie "Marktpotential für die zukünftige Nutzung digitaler Breitband. Netze in der geschäftlichen Kommunikation". Michael Nippa* gibt einen Überblick der Ergebnisse dieser Studie.

Vermittelnde Breitband-Kommunikation ist keine Zukunftsvision, sondern eine bereits heute - wenn auch in begrenztem Umfang - nutzbare technische Möglichkeit zur schnellen und individuellen Übermittlung umfangreicher Informations- und Datenvolumina. Die Telekom hat in den letzten Jahren zielstrebig den Ausbau des Glasfaser-Overlay-Netzes vorangetrieben und stellt interessierten Kunden seit längerem ein hochleistungs- und selbstwahlfähiges 140-Mbit/s-Netz, das vermittelnde Breitband-Netz (VBN), zur Verfügung. Mit unterschiedlichen Anwendungen können ausgewählte Pilotkunden bereits heute die Zukunft der geschäftlichen Kommunikation auf der Grundlage modernster Telekommunikations-Technik real miterleben und gestalten.

Im Gegensatz zur Verteilkommunikation, die ausschließlich eine Verteilung breitbandiger Informationen zuläßt, ist es bei der vermittelnden Breitband Kommunikation möglich, individuelle Verbindungen im erforderlichen Umfang aufzubauen und wie im schmalbandigen Selbstwählnetz zu nutzen. Vermittelnde Breitband-Kommunikation erweitert damit die Anwendungsmöglichkeiten über den einfachen Abruf zu einer dialogorientierten Breitband-Kommunikation.

Dadurch eröffnen sich vor allem für den Bereich der geschäftlichen Kommunikation Anwendungsmöglichkeiten, die weit über den Einsatz von Videokonferenzen zur Verringerung von Reisetätigkeiten hinausgehen. Die umfangreichen Interviews in etwa 1000 Organisationen und Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen verdeutlichen allerdings ein gravierendes Informationsdefizit hinsichtlich der unternehmerischen Potentiale, die mit einer Nutzung des erweiterten Kommunikationsangebots erschlossen werden können.

Schenkt man den Auguren Glauben, so wird die neuartige Nutzung von Information und Kommunikation die Wettbewerbsbedingungen verändern, wodurch neue Märkte entstehen, alte Märkte verschwinden, die Marktabhängigkeiten und -mächte sich neu gestalten und zu einem vollkommen an. deren Verständnis der traditionellen Pröduktionsfaktoren führen. Der Aufbruch in die Zukunft hat jedoch längst begonnen.

Welchen Einfluß Überlegene Informations- und Kommunikationssysteme haben können, zeigte sich - die moralischen Aspekte einmal außer acht gelassen - im Golfkrieg. Aber auch im "Wirtschaftskrieg" wird das Ringen um Marktanteile, Einflußsphären , und Wettbewerbsvorteile zunehmend durch neue Formen der geschäftlichen Kommunikation geprägt. Die Notwendigkeit des Ausbaus leistungsfähiger Kommunikationsnetze dürften langfristige Entwicklungstrends beschleunigen.

Bereits heute ist in industriellen Ballungszentren die Grenze der Aufnahmefähigkeit des öffentlichen und individuellen Verkehrssystems erreicht. Das wachsende Umweltbewußtsein forciert zusätzlich Überlegungen, anstelle von Personen und Gütern Informationen zu bewegen. Die Globalisierung der Beziehungen und Bedürfnisse bei gleichzeitiger Individualisierung von ehemals Einheitsprodukten und -dienstleistungen steht in einer sich verstärkenden Wechselwirkung mit neuen informations- und kommunikationstechnischen Möglichkeiten.

Ähnliches ist hinsichtlich der zu verarbeitenden Komplexität zu verzeichnen. Simulationen klimatischer Veränderungen, Visualisierung von komplexen technischen Prozessen und Real-time-Steuerung hochpräziser Werkzeugmaschinen sind nur Beispiele für die Interdependenzen zwischen Kapazitäten der Informationsverarbeitung und Komplexitätsanstieg der Problemstellungen. Dar. über hinaus gewinnt die Zeit vor allem in Entwicklungsprozessen zunehmende Bedeutung für technische und kommerzielle Prozesse und erzwingt neue Konzepte auf der Basis fortschrittlicher Informations- und Kommunikationstechniken.

Und schließlich werden sich die Organisationsstrukturen verändern, hin zu anpassungsfähigen, zeitlich begrenzten und im hohen Maße interaktiven Einheiten, die in unterschiedlich engen Kooperationsbeziehungen zu einer Vielzahl interner und externer Partner stehen werden. Unternehmens- und Ländergrenzen dürften in dem Maße verschwinden, wie grenzüberschreitende Kommunikationsnetze entstehen.

Mag dies alles noch als vage Zukunftsvision abgetan werden, so zeigen die vielfältigen Anwendergespräche im Rahmen der Berkom-Marktstudie, daß die bestehenden organisationinternen und -übergreifende Kommunikationsnetze bereit heute auf Leistungsgrenzen stoßen. Neben kommunikationsintensiven Spezialanwendungen, zum Beispiel in der Forschung und Entwicklung, führt insbesondere die Bündelung viele an sich "schmalbandiger", Komunikationsströme (zum Beispiel bei der Verbindung von LAN zu Anforderungen an die Übertragungskanäle, die sich nicht mehr mit 64 Kbit/s erfülen lassen. Darüber hinaus men grafikorientierte Anwedungen einen immer großere Anteil am Kommunikationgeschehen sowohl inhouse auch standortübergreifend ein. Und unter den meisten DV- und insbesondere PC-Anbietern grassiert die "Multi- und Hypermedia-titis".

Der Multimedia-Kommunikation gehört die Zukunft, das ist die einhellige Meinung. Trotzdem verhalten sich die Anwender in den meisten Fällen zurückhaltend. Zu oft haben große Ankündigungen auf Telekommunikations-Sektor nicht gehaltene was sie versprachen. Doch auch ohne Multimedia-Kommunikation sind Netze vieler Anwender schon überlastet. Für die netzung von Dateninseln, die vielen Unternehmen - Vorreiter ausgenommen - erst intensiv vorangetrieben werden, sind heute verfügbare Datennetze in vielen Fällen nicht leistungsfähig genug. Zunehmend werden die wirtschaftlichen und teilweise strategische Vorteile einer unternehmensweiten Vernetzung, zum Beispiel Electronic Mail, EIS, oder der gezielten Anbindung von Lieferanten, Kunden oder Kooperationspartnern, beispiel weise EDI, gesehen. Wieder einmal bewahrheitet sich de Grundsatz, daß umfassende technische Systemneuerungen mindestens eine Dekade benötigen, um sich zu etablieren. Aus Sicht der deutschen Industrie ist leider zu befürchten, daß vor allem die globalen Gegenspieler in Japan und den USA die wettbewerbsstrategischen Vorteile auf der Grundlage einer effizienten Telekommunikation bereits heute erkannt haben und konsequent handeln.

Wie die Ergebnisse der Marktstudie des Forschungskonsortiums zeigen, bestehen schon heute bei den befragten Anwendern - weitgehend unabhängig von ihrer Branchenzugehörigkeit - vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für eine vermittelnde Breitband-Kommunikation. Im Mittelpunkt der Studie stand die Frage, ob sich bereits heute Anwenderunternehmen, Branchen oder Funktionsbereiche identifizieren lassen, die einen deutlich höheren Bedarf an vermittelnder Breitband-Kommunikation aufweisen als andere Bereiche. Als wesentliche stimmungsgröße wurde die konkrete Aufgabensituation identifiziert, hinter der andere flußfaktoren, wie beispielsweise, die Organisationsgröße, Wettbewerbsdruck, die Finanzkraft, die Innovationsbereitschaft oder der informations technische Entwicklungsstand vergleichsweise stark in den Hintergrund treten.

Vorrangige Schwerpunkte für Anwendungen der vermittelnden Breitband-Kommunikation zeichnen sich vor allem in dem Funktionen "Forschung und Entwicklung", "Vertrieb" und" Service" ab. Für Organisationen, die dem Dienstleistungssektor zuzuordnen sind, kommen die Funktionen "Leistungserstellung und -vermittlung hinzu.

Neben der relativ hohen Informations- und Kommunkationsintensität in diesen Funtktionsbereichen spielt hier sicherlich auch deren wettbewerbsstrategische Bedeutung eine gewichtige Rolle (vgl. Abbildung 1). Mit der Veränderung des Aufgabenumfeldes werden jedoch - so die Analyseergebnisse - weitere Funktionsbereiche einbezogen.

In Abhängigkeit von funktionalen Schwerpunkten konzentrieren sich Anwendungsmöglichkeiten für vermittelnde Breitband-Kommunikation vor allem in den klassischen Industriebranchen, wie zum Beispiel de chemischen Industrie, dem Maschinenbau oder der Elektroindustrie sowie in informationsintensiven Dienstleistungsbranchen wie den Banken und Versicherungen oder der Beratungsbranche. Es ist jedoch festzustellen, daß in nahezu allen Wirtschaftszweigen interessante Anwendungsmöglichkeiten existieren. Die Frage, ob die vermittelnde Breitband-Kommunikation nur für große Unternehmen Vorteile bietet und kleine Organisationen erst einmal abwarten sollten, kann eindeutig beantwortet werden. Unabhängig von der Organisationsgröße lassen sich unter Anwendung der vermittelnden Breitband-Kommunikation, eine situationsgerechte, anwendungsorientierte Planung und Gestaltung vorausgesetzt, für alle Unternehmen deutliche Vorteile erzielen. "Vorreiter" oder "Nachzügler" zu sein ist eine unternehmenspolitische und keine technikbedingte Entscheidung.

Die Analyse der derzeitigen Ausstattung sowie der informationstechnischen Planungen in Unternehmen (vgl. Umfrageergebnisse aus dem Maschinenbau in Abbildung 2) zeigt, daß hiervon sowohl positive (Erfahrungspotential) als auch negative Effekte (zum Beispiel zu starke DV-Orientierung) ausgehen. Zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen ist vor allem darauf zu achten, daß die Anwender- und

Anwendungsorientierung in den Fach- und Funktionsbereichen gefördert wird und den Anforderungen in unterschiedlicher Weise und keinesfalls mit Einheitslösungen, wie beispielsweise Videokonferenz oder Multimedia-Datenbank, entsprochen werden sollte.

Die geplante oder tatsächliche Anwendung vermittelnder Breitband-Kommunikation wird von allen geschäftlichen Anwendern auf der Grundlage des zu erwartenden Nutzens im Vergleich mit dem notwendigen Aufwand bewertet. Es zeigt sich, daß reine Kostenvergleichsrechnungen, wie sie häufig im Bereich von DV-Investitionen angewendet werden, die wesentlichen Effekte des Einsatzes vermittelnder Breitband-Kommunikation nicht widerspiegeln, im Gegenteil, sogar aus gesamtunternehmerischer Sicht kontraproduktiv wirken. Hier sind ganzheitliche Bewertungsmethoden anzuwenden, die vor allem den qualitativen und wettbewerbsstrategischen Nutzen deutlich machen.

Erfahrungen nur durch praktische Anwendungen

Diese Feststellung wird bestätigt durch deutliche Unterschiede in der Nutzenerwartung in Abhängigkeit vom Informationsstand über VBK-Anwendungen. Informationen über wirtschaftlich interessante Anwendungsmöglichkeiten der vermittelnden Breitband-Kommunikation lassen sich aufgrund unserer Erfahrungen sicherlich nicht durch Anzeigenaktionen oder Messebesuche vermitteln oder gewinnen, sondern nur durch anwenderorientierte Realisierung praxisrelevanter Anwendungslösungen.

Der wesentliche Nutzen des Einsatzes der vermittelnden Breitband-Kommunikation liegt weder in einer Fokussierung auf breitbandige Bewegtbild-Kommunikation (zum Beispiel Videokonferenzen) noch auf breitbandiger Rechnerkommunikation (zum Beispiel LAN- oder Großrechnerkoppelungen), sondern in der vielfältigen Ausnutzung eines leistungsfähigen Übertragungsmediums für unterschiedliche Anwendungen und Dienstleistungen. Die Gestaltung beziehungsweise das Angebot an leistungsfähigen Archivierungs- oder Dokumentationssystemen, etwa Volltexte, multimediale Datenbanken, kann als bestimmender Faktor für eine derartige Nutzungsvielfalt gelten.

Welche Bedeutung dem Management von Informationsressourcen zukünftig zukommen wird, läßt sich beispielsweise anhand der technischen Dokumentation verdeutlichen. Aus Kostengründen, aber auch zur Beschleunigung von Entwicklungsprozessen oder zur Erhöhung der Leistungen im Bereich Kundenservice, gehen immer mehr Unternehmen dazu über, ihre technische Dokumentation elektronisch abzuspeichern und - leistungsfähige Kommunikationskanäle vorausgesetzt - zu jeder Zeit an jedem Ort verfügbar zu machen. Mit der Ausweitung der zentralen Anwendung auf alle Funktionen der Wertschöpfungskette (Projektierung, Entwicklung, Produktion, Inbetriebnahme und Service) und gleichzeitig zunehmender unternehmensübergreifender Arbeitsteilung wird die technische Dokumentation zum wettbewerbsstrategischen Herzstück vieler Unternehmen.

Geschäftliche Kommunikation, so faßt die Marktstudie zusammen, ist ihrem Wesen nach multimodular und -funktional, das heißt, die Kommunikation bedient sich gleichzeitig unterschiedlicher Kommunikationsformen. Die Innovationskraft der neuen Telekommunikations-Technik wird davon abhängen, inwieweit sie die Voraussetzung für eine multimediale Kommunikation unabhängig von Raum und Zeit schafft. Doch Vorsicht ist geboten. Die Erfahrungen der diesjährigen CeBIT wie auch vieler Anbieterslogans lehren, daß sich hinter den Begriffen Multi- oder Hypermedia häufig nur bunte Bilder verbergen und daß zwischen Anspruch und multimedialer Wirklichkeit teilweise noch Welten liegen.

Die Marktstudienergebnisse machen jedoch deutlich, daß bereits heute bei den Anwendern ein erkennbarer Bedarf anhochleistupgsfähigen, multimedialen Übertragungsnetzen und entsprechenden Endsystemen besteht.

Die zentrale Botschaft der Marktstudie lautet: "Verfolgung einer weitgehenden Anwenderbeziehungsweise Kundenorientierung, das heißt frühzeitige und umfassende Einbindung der VBK-Anwender in die Entwicklung von Systemkomponenten.

*Michael Nippa ist Geschäftsführer der BPU Betriebswirtschaftlichen Projektgruppe für Unternehmensentwicklung GmbH in München.