Der virtuelle Arbeitsmarkt bewegt sich

Kommerzielle Jobbörsen versus Arbeitsamt

16.01.2004
MÜNCHEN (iw) - Die seit Anfang des Jahres in Bundesagentur für Arbeit (BA) umbenannte Bundesanstalt für Arbeit ging am 1. Dezember 2003 mit einer neuen Stellenbörse ans Netz. Zahlreiche Pannen begleiteten den Start. Die kommerziellen Jobbörsen kritisierten vor allem die enormen Mittel, die das Stellenportal der Bundesagentur verschlungen hat.

Die Messlatte lag hoch. Mit einer eigenen Stellenbörse im Netz beabsichtigte die Bundesagentur für Arbeit (BA) zur zentralen Anlaufstelle für Jobsuchende aufzusteigen. In einem internen Papier der Behörde heißt es, man wolle einen "Meilenstein setzen, um eine Marktführerschaft vor allem auch aus qualitativen Gesichtspunkten heraus zu erreichen. Dabei sollen die kommerziellen Anbieter nicht vom Markt verdrängt werden, sondern vielmehr vom ,Virtuellen Arbeitsmarkt'' der BA profitieren." Die Ziele des Projektteams in der Nürnberger Behörde waren sportlich.

Nach einer europaweiten Ausschreibung erhielt das Beratungshaus Accenture im Frühjahr 2003 den Zuschlag für die Entwicklung von Plattform und Suchsystem. Zur CeBIT 2003 verkündete Accenture stolz den lukrativen Entwicklungsauftrag. Das Beratungshaus bezifferte damals den Wert des auf fünf Jahre angelegten Projekts auf über 50 Millionen Euro.

Zukünftig sollen nicht nur Stellensuchende, sondern auch die staatlichen Arbeitsvermittler mit der neuen Plattform arbeiten. Der Zeitplan sieht vor, dass ab dem 1. Mai 2004 in den drei ausgewählten Modellarbeitsämtern in Essen, Heilbronn und Marburg die Vermittler ebenfalls auf das neue System umsteigen. Ab 1. Juni sollen dann alle 180 Agenturen für Arbeit (ehemals Arbeitsämter genannt) die neue Plattform nutzen und die bisherigen internen Systeme ablösen. An der Migration der rund 2,3 Milliarden Datensätze der Arbeitsamtskunden vom alten auf das neue System werkeln 150 Entwickler.

Am 1. Dezember ging als erster Teil des neuen Serviceangebots die Stellenbörse der Behörde unter www.arbeitsagentur.de online zumindest zeitweise. Zahlreiche Fehlermeldungen, ungenaue Trefferlisten nach einer Suchanfrage oder ein hoffnungslos überlastetes und stundenlang nicht verfügbares System enttäuschten die Nutzer zunächst. "Wir hatten Startprobleme, das gebe ich offen zu. Doch mich stört die Kampagne, die gerade gegen unser Projekt läuft", ärgert sich Jürgen Koch, Projektleiter des Virtuellen Arbeitsmarktes (VAM) der BA in Nürnberg. Inzwischen wurden Navigationselemente überarbeitet und Korrekturen vorgenommen.

Die vier kommerziellen Jobbörsen Jobpilot, Jobscout24, Monster und Stepstone haben sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen und kritisieren das VAM-Projekt seit einigen Monaten. Sie werfen der Behörde vor, einen funktionierenden Markt zu zerstören und Steuergelder zu verschwenden. Immerhin hatten die bestehenden Stellenmärkte im Netz ihre jeweiligen Plattformen und Suchsysteme aus eigenen Mitteln entwickelt und finanziert. Streitobjekt sind auch die gut ausgebildeten, karrierebewussten und wechselwilligen Arbeitnehmer, die bisher zur Klientel der Jobbörsen zählten. Wenn Unternehmen das Portal der Behörde nutzen, um ihre Jobinserate zu veröffentlichen, bricht den kommerziellen Anbietern eine Einnahmequelle weg. VAM-Projektleiter Koch führt als Gegenargument die schon existierende Vermittlung von Fach- und Führungskräften an: "Wir betreuen jetzt schon 1,4 Millionen Kunden, die nicht arbeitslos sind. Künftig soll jeder, der sich mit Jobsuche oder Jobwechsel beschäftigt, zuerst an uns denken." Doch ob große Firmen wirklich ihre Mitarbeiter über das Arbeitsamt suchen, ist fraglich. Für den Personaler eines solchen Unternehmens arbeitet die jetzige Plattform noch zu ungenau.

Projektkosten der BA steigen

Ein gewichtiger Kritikpunkt sind unterdessen die Kosten von VAM, die mittlerweile aus dem Ruder laufen. Accenture sprach zur CeBIT von einer Projektsumme von über 50 Millionen Euro. Koch hatte jedoch nur für die erste Umsetzungsphase 57 Millionen Euro (netto) angesetzt. "Uns war von vornherein klar, dass weitere Kosten dazukommen, da wir uns in einem Gesamtreformprozess befinden, zusätzliche Features wollten und Accenture uns auch bei der Schulung unserer Mitarbeiter konzeptionell unterstützen soll", begegnet der 33-Jährige der Kritik an den mittlerweile 77 Millionen Euro Gesamtkosten. Crosswater Systems, ein Branchendienst für elektronische Jobbörsen, schätzt die Gesamtkosten inklusive Öffentlichkeitsarbeit auf 97 Millionen Euro.

Einige Jobbörsen hatten frühzeitig ihre Zusammenarbeit mit dem Nürnberger Projektteam angeboten, um die eigenen Erfahrungen mit der Entwicklung eines virtuellen Stellenmarktes an die Behörde weiterzugeben. Doch erste Gespräche hätten erst im Juni vergangenen Jahres stattgefunden, nachdem die Konzeption bereits festgeschrieben war und die Entwicklung begonnen hatte. Das forsche und mitunter arrogante Auftreten seitens der Behörde sei für die vergiftete Atmosphäre zwischen den Konkurrenten mitverantwortlich, ist hinter vorgehaltener Hand zu hören. Auch der Zuschlag an Accenture rief Kritik hervor. Doch Koch glaubt, dass die Entscheidung für Accenture richtig war. Er räumt allerdings ein, dass die Berater etwas zu unbefangen an die neue Aufgabe heran gingen und Strukturen sowie Widerstände auch innerhalb der Behörde unterschätzt hätten.

Jobboards suchen neue Einnahmequellen

Vielen Marktbeobachtern fehlt das Verständnis für die Streitigkeiten zwischen Jobbörsen und Behörde. Nach ihrer Überzeugung ist der Kuchen groß genug für alle. Gerade mittelständische und kleine Unternehmen bedienen sich zunehmend der virtuellen Stellenmärkte, um Personal zu akquirieren. Allerdings ist mit den Anzeigen längst nicht mehr viel zu verdienen, das wissen auch die kommerziellen Anbieter.

Viele Stellenbörsen bieten schon seit einiger Zeit zusätzliche Dienstleistungen an, da die Veröffentlichung von Inseraten allein kein lohnendes Geschäft mehr ist. Monster beispielsweise konzentriert sich auf drei Geschäftsfelder. Neben dem Einstellen und Texten von Stellenangeboten generiert die Jobbörse ein weiteres Drittel ihres Umsatzes mit der Datenbanksuche nach geeigneten Kandidaten. Als dritte Einnahmequelle entwickelt das zu TMP Worldwide gehörende Unternehmen als Technologieanbieter Karriereportale für Firmen. "Wir setzen auf weitere Dienstleistungen, etwa im Auftrag von Firmen Mitarbeiter zu suchen. Ich sehe die zukünftige Entwicklung so, dass es bei uns die Stellenanzeigen fast kostenlos dazugibt", erklärt Kai-Uwe Deininger, Geschäftsführer von Monster, die Perspektive seiner Jobbörse. Jobscout24-Chef Harald Lenz arbeitet ebenfalls an neuen Produkten, etwa einem Angebot für Bewerber. Gegen eine Gebühr können Jobsuchende ihre Unterlagen von Jobscout24 überprüfen und dann in einen Bewerberpool der Jobbörse stellen lassen. Der Vorteil für Unternehmen gegenüber den bereits existierenden Datenbanken mit Lebensläufen wäre laut Lenz, schneller geeignete Kandidaten zu finden.

Ob das Angebot unter www.arbeitsagentur.de mit dem der kommerziellen Anbieter konkurrieren kann und zum zentralen Portal für die Jobvermittlung wird, entscheiden letztendlich die Nutzer. Die Arbeitsvermittlung der Behörde war in der Vergangenheit stark in die Kritik geraten, und es bestand dringender Modernisierungsbedarf. Inwieweit der neue Service Verbesserungen für das Gros der Arbeitslosen schafft, muss sich zeigen. "Unser gesetzlicher Auftrag ist es, Menschen so schnell wie möglich in Beschäftigung zu bringen. Diesem Auftrag sind wir in der Vergangenheit nicht immer optimal nachgekommen", gibt Koch zu und ergänzt: "Es könnte unsere letzte Chance sein." Für die Arbeitssuchenden wäre eine Zusammenarbeit der Bundesagentur für Arbeit mit den Jobbörsen sicher nützlicher als das momentane Kräftespiel.

Diskutieren Sie mit uns

Was bringt das neue Angebot www.arbeitsagentur.de den Jobsuchenden? Steigen Unternehmen auf den neuen Service um und veröffentlichen zukünftig ihre offenen Stellen nur noch kostenlos bei der Behörde? Wie sind Ihre Erfahrungen als Jobsuchender oder Arbeitgeber mit dem neuen Angebot? Ist der Service für Sie attraktiv?

Das Diskussionsforum erreichen Sie unter www.computerwoche.de/jk

Den neuen Job ergooglen

Roland Metzger meldet sich zurück. Nach einer einjährigen Pause faszinieren ihn immer noch Stellenmärkte im Netz. Er gilt als Pionier der virtuellen Jobbörsen in Deutschland. 1995 gründete der Mathematiker und promovierte Wirtschaftswissenschaftler Jobs & Adverts. Nach internationalem Expansionskurs, Börsengang und rasantem Aufstieg musste das inzwischen als Jobpilot firmierende Unternehmen gehörig Federn lassen. Metzger gelang es, nach Umstrukturierungen und Personalabbau seine in Turbulenzen geratene Gründung im Mai 2002 an den Schweizer Adecco-Konzern zu verkaufen. Nach der Integration zog er sich Ende 2002 aus der Unternehmensführung zurück.

"Ich habe mir die Jobbörsen in dieser Zeit von außen angesehen und einen neuen Trend entdeckt." Jetzt möchte der 49-Jährige wieder mitmischen. Als ersten Schritt kaufte er Name und Domain der inzwischen insolventen Jobbörse Worldwidejobs.de aus Hamburg. Metzger knüpft an das Konzept der ehemaligen Geschäftsführerin Ursula Triller an. Mit einer Suchmaschine nach dem Vorbild eines Job-Roboters sammelt die Software die Stellenangebote von Unternehmensseiten ein und veröffentlicht sie auf der eigenen Plattform. Bewerbern steht ein ähnliches Suchsystem zur Verfügung wie es Google verwendet, um nach passenden offenen Stellenangeboten zu recherchieren. Über die Ergebnisliste gelangen die Jobsuchenden direkt zur Seite des Unternehmens. Der Basisservice ist kostenlos. Wer in der Trefferliste weiter nach oben rutschen oder mehr Details zur offenen Position möchte, zahlt für dieses Listing. Metzgers Idee ist nicht neu. Triller startete 1999 mit einem ähnlichen Konzept. Metzger hofft, diesen Trend jetzt in bare Münze umzuwandeln.