Kommentar Wer die Daten hat, hat die Macht

04.11.1994

Von Heiner Poessnecker*

Die Stellenmarktanalysen der EMC belegen fuer 1993 einen drastischen Rueckgang der Nachfrage nach DV-Spezialisten. Vor zwei Jahren glaubten noch viele Experten, dass diese Krise, wie so manche auch, ohne nennenswerte Ueberraschungen voruebergehen werde. Man braeuchte diesmal nur einen etwas laengeren Atem - und dann muss er doch wieder kommen, der alte Buhmann "Anwenderstau", und die DV-Budgetverantwortlichen wie zuvor so richtig das Fuerchten lehren. Nichts dergleichen geschah.

Waehrend ein paar Schlachten auf dem Nebenkriegsschauplatz Outsourcing und Downsizing fuer Ablenkung sorgten, holte der bislang gering geschaetzte David PC zum entscheidenden Schlag gegen den Goliath Host aus und machte ihn zum - immerhin noch nuetzlichen - Idioten. Und brachte den Stellenmarkt fuer DV-Berufe wieder in Schwung, wie die EMC-Untersuchungen zeigen.

Was war geschehen? Die Marktmacht der Verbraucher siegte ueber die Macht des Marketings grosser Drei-Buchstaben-Companies. Mitarbeiter in den Entwicklungsteams und Fachabteilungen - als private Anwender zwischenzeitlich Besseres gewoehnt - trugen ihre Ansprueche in ihre Unternehmen. Insbesondere bei Programmiersprachen und Entwicklungs-Tools verweigert sich heute der Kunde dem Marketing- Geklingel und fragt nach der Leistung. Und nach der Attraktivitaet.

Seit Software in der Schachtel ueber den Ladentisch geschoben oder durch den Paketdienst gebracht wird, hat sich grundlegend etwas geaendert. Aber insgesamt ist das Leben nicht leichter geworden. Fuer die Softwarehersteller und Distributoren tauchen neue Probleme auf. Das Zauberwort heisst Support, aber der laesst allgemein noch zu wuenschen uebrig.

Wie die EMC-Stellenmarktanalysen eindringlich belegen, haben die Unternehmen der Softwarebranche dieses Manko offensichtlich erkannt und wollen hier den Hebel ansetzen. Nachdem die Einsicht eingekehrt ist, dass Support nicht laenger kostenlos sein kann und in Rechnung gestellt werden muss, wird auch hier investiert.

Client-Server ist mehr als das "Organisationsprinzip zur Koordination von Softwareprozessen fuer verteilte heterogene Systeme" (IBM). Die Fachabteilungen wollen Client-Server, um die im Mainframe-Bereich nicht erhaltene Anwenderunterstuetzung selbst realisieren zu koennen. Wer die Daten hat, hat die Macht.

In der Praxis der Software-Entwicklung zeichnet sich aber ein Prozess ab, der den Stellenmarkt nicht beeinflussen wird: Es gibt bald zu wenige Entwickler, die ihre Erfahrungen und Fehler - insbesondere beim DV-Projekt-Management - schon gemacht haben. Die "Neuen" und die "Alten" sind getrennt durch gewaltige Graeben technologischen Wissens, und deshalb machen die juengeren Entwickler oft erst einmal die gleichen Fehler wie frueher die alten.

*Heiner Poessnecker ist selbstaendiger Berater und Trainer in Hamburg.