Kommentar/Realitaet nach Lust und Laune

14.07.1995

So, wie sich zu Anfang des PC-Zeitalters die Diskussionen um Auswirkungen und Gestaltung der Arbeitsplaetze drehten, wird auch Virtual Reality ihre Themen finden.

Die Problematik ist unverkennbar - VR beruehrt in bisher nicht gekanntem Ausmass die Empfindungswelt des Menschen. Positive und negative Erfahrungen aus der persoenlichen, privaten und beruflichen Welt treffen auf kuenstlich Geschaffenes mit realem Touch. Auswechselbar nach Lust und Laune und - das ist der Punkt - erstellt von Dritten frei nach deren Gusto und wohlfeiler Ambition.

Die Herausforderung liegt nicht nur in der technischen Vervollkommnung der kuenstlichen Realitaet, sondern auch in einer parallel einsetzenden Sensibilisierung des Anwenders. VR muss auf breiter Basis als das begriffen werden, was es ist: eine faszinierende neue Technologie mit einem immensen Potential und auch Risiken, die es zu orten gilt.

VR-gestuetzte Prozesse in Planung und Produktion schaffen kuerzere Entwicklungszeiten und bessere Produkte, VR im betrieblichen Umfeld sorgt fuer flexiblere und oekonomischere Ablaeufe; in der Medizin sind die Vorteile durch Visualisierung und Telepraesenz eindeutig, und auch beim virtuell gestuetzten Lernen lassen sich leicht Nutzwerte ausmachen.

Die Gefahren - soweit erkannt oder befuerchtet - liegen vor allem im Bereich der Unterhaltung in sozialer Vereinsamung und dem Abbau natuerlicher Grenzen und Hemmschwellen. Das Schlagwort von VR als Flucht und Droge macht die Runde. Experten sehen auch Risiken der inhaltlichen Manipulation und der zunehmenden Kontrolle und Ueberwachung - vom Konzept her ist der VR-Anwender in allen seinen Aktionen mess- und protokollierbar bis hin zur Aufzeichnung der Gedankenstroeme.

Noch wird die VR-Diskussion von Experten und Medien bestimmt - zu klein ist bislang die Gruppe derer, die die virtuelle Welt live und in Farbe erleben koennen. Die Anwender haben derzeit noch eher ein emotionales als ein rationales Verhaeltnis zur VR.

Die Qualitaet der Darbietung, das Umfeld mit Datenhandschuh und Helm beeinflusst nach ersten Untersuchungen das Interesse von Erstanwendern stark und haelt es wach - mit einem nicht unterzubewertenden Nebeneffekt: Der VR-Anwender waehnt sich unverletzbar. Killt Virtuelles also doch den Realbezug zur Welt?

VR muss raus aus ihrem Turm. Hier sind Hersteller und Provider stark gefordert; die breite Masse braucht den aktiven Zugang, um den Blick zu schaerfen. Dann und nur dann auch lohnt die Diskussion um Fuer und Wider. Und diese Kontroverse sollte sich im realen Raum bewegen - mit virtuellen Mitteln zur Kommunikation, versteht sich.

*Horst-Joachim Hoffmann, freier Fachjournalist in Muenchen