Kommentar: HD DVD – oder wie man Verbraucher vorführt

21.02.2008
Toshiba zieht sich aus der Entwicklung des High-Definition-Video-Formats HD DVD zurück. Als Standard wird sich nun Blu-ray durchsetzen. Und Millionen Käufer von Video-Abspielgeräten können à la longue ihre Geräte auf den Müll werfen, weil sich eine Industrie nicht auf ein Format einigen wollte.

Kaum hatte Toshiba bekannt gegeben, es werde die Entwicklung des High-Definition-Videoformats nicht mehr weiter betreiben, kamen die ersten Kommentare in Zeitungen, Online-Publikationen und von Usern im Netz. Tenor: Im Prinzip sei es egal, ob HD DVD jetzt vom Markt verschwindet. Tatsächlich habe eh noch niemand Geräte für dieses Videoformat gekauft.

Marktzahlen 2006/07 laut IDC

Blu-ray

HD DVD

Hybrid

Standalone-Player für TV-Geräte

rund 750.000

rund 1.000.000

Laufwerke (für PCs)

rund 600.000

rund 400.000

rund 200.000 bis 300.000

Gaming-Industrie

rund 11 Millionen

rund 300.000

Insgesamt

12.350.000

1.700.000

200.000 bis 300.000

Das stimmt so nicht. Tatsächlich wurden weltweit im Zeitraum 2006/07 laut IDC insgesamt rund 12,4 Millionen Blu-ray- und 1,7 Millionen HD-DVD-Systeme vertrieben. Hinzu kommen etwa 200.000 bis 300.000 Hybridgeräte, also solche, die beide Videoformate in einem System unterstützen (siehe Tabelle).

Verantwortung der Industrie

Bei solchen Zahlen darf die Frage nach dem verantwortlichen Verhalten einer Industrie gestellt werden, die sich einen jahrelangen Streit um Formate leistet, dessen Folgen die Konsumenten, Verbraucher, Endanwender ausbaden müssen. Zumindest die Millionenschar der HD-DVD-Käufer ist mittelfristig gezwungen, sich nach neuen Geräten umzusehen. Zwar dürfte es in den kommenden Wochen und Monaten zu Ausverkaufsaktionen insbesondere bei Videos, Spielen etc. kommen, die auf HD-DVD-Scheiben vertrieben werden. Wer sich jetzt noch billig mit HD-DVD-Geräten und –Scheiben eindecken will, kann dies sicherlich auf dem-Ramschmarkt tun. Zukunft hat das alles nicht.

Wer in HD DVD investiert hat, ist gezwungen, sich nunmehr dem – noch – wesentlich teureren Blu-ray-Format zuzuwenden. Auch hier werden die Preise sich mit dem massenhaften Vertrieb von Geräte nach unten orientieren. Aber es bleibt dabei: Millionen von Kunden haben fehlinvestiert, weil die Industrie unfähig und/oder unwillig war, sich auf einen Videostandard zu einigen.

Zu früh gefreut

Wer nun denkt, die Blu-ray-Adepten könnten ob des Ausstiegs der HD-DVD-Vertreter frohlocken, dürfte sich zu früh gefreut haben. Zwar liegen TV-Flachbildschirme absolut im Trend und stehen millionenfach bei den Käufern herum. Zumindest hierzulande schaffen es öffentlich-rechtliche wie auch private Fernsehsender – Ausnahme Premiere und einige Spartenkanäle – jedoch auf absehbare Zeit nicht, Inhalte im HD-Format, also hoch auflösend zu senden. Couch-Potatoes aber, die auf ihren teuren Flachmännern High-Definition-Sendungen genießen wollen, müssen also zwangsläufig Medien nutzen, die solche HD-Inhalte liefern: HD DVD bisher und in Zukunft eben nur noch Blu-ray. Ersteres Format stirbt schnell aus, letzteres ist noch sehr teuer.

Doch die Konsumenten sind – welch platte Erkenntnis – mündig. Sie werden, statt früher auf HD DVD und Blu-ray zu setzen, einen dritten Vertriebsweg wählen: Internet-Downloads. Das ist bequemer und billiger. Dank schneller DSL-Anschlüsse holen sich die Endkunden ihr Heimkinoerlebnis einfach via Internet in ihre Wohnzimmer. Die Blu-ray-Industrie kann sich dann ihre Geräte und blauen Scheiben in die Haare schmieren. Sie haben jahrelang vorgeblich in eine Technik investiert, sich de facto aber ätzende Standardisierungsschlachten geliefert. Beide Lager werden deshalb abgestraft werden. Das zutreffende wiewohl nicht ganz korrekt wiedergegebene Zitat von Gorbatschow, wonach das Leben den bestraft, der zu spät kommt, wird sich auch am Beispiel Blu-Ray bewahrheiten. Die Konsumenten werden quasi via Internet abstimmen. Und die Abstimmung verlieren auch die Sonys, Philips etc. mit ihren blauen Scheiben. (jm)