Kolumne Was Reizthemen anrichten koennen

30.06.1995

Dieter Eckbauer

Regelmaessige Leser dieser Kolumne werden feststellen: Es handelt sich diesmal nicht um ein Stueck im Stile einer "terrible simplification" (Aufloesung spaeter). Aber wann hat unsereiner schon einmal die Gelegenheit, auf Auswertungen und daraus abgeleitete Thesen einzugehen, fuer die das Themenangebot der COMPUTERWOCHE ueber 20 Jahre hinweg die Grundlage bildete? Diese Situation haben wir - indirekt ein Kompliment fuer die CW; ob es auch ein Gluecksfall ist, muss sich noch herausstellen. Das Corpus delicti: Eine Studie von Peter Mertens, Professor fuer Wirtschaftsinformatik an der Universitaet Erlangen-Nuernberg, ueber "Wirtschaftsinformatik - von den Moden zum Trend", dokumentiert in dem Band "Wirtschaftsinformatik 95".

Der Beitrag zeigt anhand von Beispielen, welche Themen welchen Anteil an der CW-Berichterstattung hatten. Die Auszaehlungsstatistik verhilft Mertens zu Erkenntnissen, die in Kritik an der CW, aber auch an IT-Herstellern, Schulungsanbietern und DV-Beratern muenden: Es gehe diesen Gruppen nur um die modische Darstellung dessen, was "in" oder "out" sei; Bilanzen der Pros und Cons (Mertens: "Argumentenbilanzen") seien die grosse Ausnahme. So trete, wie sich etwa bei MIS, CIM, Btx, KI, Business Re- Engineering oder zuletzt Multimedia gezeigt habe, nach anfaenglicher Euphorie schnell Ernuechterung ein - bedenklich fuer den Erlanger Institutsleiter, weil wichtige Entwicklungen unterschaetzt, andere ueberbewertet werden koennten, auch wenn sie keinen wirklichen Fortschritt bringen wuerden. Die Praktiker haetten es in einem von Modeschwankungen gepraegten Meinungsklima schwer, gegen den Strom zu schwimmen. Mertens: "Was soll der IV-Leiter einer Bank tun, wenn der Vorstand von einem Seminar ueber Informatik in der Bank kommt und fragt, warum man noch keine neuronalen Netze zur Kreditwuerdigkeitspruefung einsetze oder kein Konzept zum Virtual Banking habe?"

Fassen wir die Mertenssche Kritik noch einmal zusammen: Gurus koennten, erstens, nur durch uebertriebene Vereinfachung ("terrible simplification") die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums auf sich lenken. Zweitens nutzten Schulungsfirmen, Autoren und Verlage Moderscheinungen fuer ihre eigenen Zwecke und werteten sie damit unverdient auf.

"Software-Ausbeuter" muessten, drittens, mit kurzen Produktzyklen ihrer Produkte kalkulieren und spielten sie deshalb kuenstlich hoch.

So, damit haetten wir dem Protokoll Genuege getan. Was koennen wir zu unserer Entlastung vorbringen? Mit Schulungsanbietern, Beratern und Softwarefirmen sitzen wir nicht in einem Boot. Bei einer qualitativen Auswertung haette Mertens merken koennen, dass sein Anliegen auch unseres ist. Auf einen Pflichtverteidiger erheben wir keinen Anspruch, obwohl die Betroffenen aus verstaendlichen Gruenden wohl kaum unser Alibi bestaetigen werden. "Gurus als schreckliche Vereinfacher" hat Mertens gesagt und damit explizit auch den CW-Kolumnisten gemeint. Jede Gegenargumentation scheint zwecklos. Bleibt die Frage: Haben nicht gerade die Hochschul- Informatiker in der Vergangenheit jede Mode mitgemacht?