Kolumne/Vom Unix-Sack und dem Windows-Esel

06.10.1995

Dieter Eckbauer

Wenn der IT-Industrie wirklich an offenen Systemen gelegen waere - wuerde sie es zulassen, dass einzelne Hersteller mit dem Betriebssystem Unix Blindekuh spielen? Die Frage impliziert, dass es unter den Anbietern so etwas wie Solidaritaet gibt, die verbreitete Vorstellung davon, was der Branche schadet und wie wichtig herstellerneutrale Standards fuer die Marktentwicklung sind. Wir muessen nicht erlaeutern, dass eine solche Annahme Mumpitz ist. Doch die Anwender werden heute nicht einmal mehr bereit sein, den Punkt aufregend zu finden, um den es bei der Betriebssystem- Kungelei eigentlich geht: Dass man, wie beim Novell-SCO-Deal, den Unix-Sack schlaegt, weil man Microsofts Windows-Esel nicht treffen kann (CW Nr. 39 vom 29. 9. 1995, Seite 1).

Wer das fuer Gemeinsinn ausgibt, mutet den Anwendern allerhand zu - kaum anzunehmen jedoch, dass die Hersteller selbst daran glauben. Doch darauf kommt es gar nicht mehr an. Nicht, dass es egal waere, was aus Unix wird. Aber was soll der staendige Vergleich mit Windows NT, bei dem das weitaus aeltere Betriebssystem Unix nach Ansicht von Marktanalysten nicht etwa deshalb den kuerzeren zieht, weil es das schlechtere Produkt ist, sondern weil es nicht von Microsoft stammt? Was ein Microsoft-Monopol bedeuten wuerde, kann sich jeder ausmalen. Bereits jetzt findet in bestimmten PC- Software-Segmenten, bei Textverarbeitung, integrierten Office- Paketen und Desktop-Datenbanken, kaum noch Wettbewerb statt, und alle Erfahrung spricht gegen eine Selbstheilung der IT-Industrie.

Also muessen die Anwender ihrer Forderung nach offenen Systemen groesseren Nachdruck verleihen, wenn sie nicht das Nachsehen haben wollen. Jeder, der ueber die Koepfe der Kunden hinweg De-facto- Standards setzen will, sollte mit Kritik und Widerstand rechnen muessen. Das Kriterium Offenheit ist zu wichtig, als dass es die Anwender der Traegheit von Unix-Gremien oder der Frechheit eines einzelnen Anbieters (Microsoft!) ueberlassen sollten. An ihnen ist es, Druck auf die Hersteller auszuueben, damit diese die Arbeit leisten, fuer die sie doch wohl auch bezahlt werden, naemlich dafuer zu sorgen, dass Kompatibilitaet in heterogenen Umgebungen funktioniert - ein One-vendor-Szenario waere der Horror.

Dazu wird es nicht kommen. Die Geduld der Anwender wurde lange Zeit - zu lange - ueberstrapaziert. Volle Portabilitaet der Software unter Unix ist ja immer noch nicht gewaehrleistet. Aber auch sonst funktioniert wenig, wenn es um Interoperabilitaet, Schnittstellen, Plug and play und dergleichen geht. Wer daraus konstruiert, die IS-Manager seien es leid, sich mit offenen Systemen herumzuschlagen, verkennt die Tatsachen. Client-Server gehoert mittlerweile bei vielen zum Pflichtprogramm - nicht um der schoenen, neuen Technik willen, sondern weil nur so flexible, kundennahe und aenderungsfreundliche Loesungen realisiert werden koennen. Mit proprietaeren Systemen ist man da sehr schnell aufgeschmissen. Fazit: Die Anwender wollen und koennen auf offene Systeme nicht mehr verzichten. Bei den Herstellern klemmt es. Nun aber dalli!