Kolumne/Just do it! Christoph Witte

27.10.1995

Da haben wir sie wieder - die typisch deutsche, lange Grundsatzdebatte. Dieses Mal werden nicht Segen oder Fluch von Atomkraft, Drei-Wege-Katalysator oder Gentechnologie diskutiert. Das aktuelle Streitgespraech dreht sich zumindest in DV- interessierten Kreisen um die Moeglichkeiten der neuen Online- Kommunikation - allen voran denen, die das World Wide Web (WWW) bietet. Geraet das Internet und sein populaerster Dienst zur Spielwiese fuer Hacker, Surfer und sonstige Computersuechtlinge? Oder bringt es Anwenderunternehmen, sei es fuer DV-Abteilungen selbst, den Vertrieb, das Marketing sowie fuer Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, konkreten Nutzen? Kurz: Gehoert das Internet in den Consumer-Bereich, oder laesst es sich auch zu den ernsthaften Geschaeftsanwendungen zaehlen?

Waehrend die Liebhaber der Grundsatzdebatte noch muessig diskutieren, haben sich andere - Hersteller und Anwender - fuer das pragmatische "sowohl als auch" entschieden. Die Bandbreite der Aktivitaeten ist gross. Sie reicht vom mittelstaendischen Anlagenbauer, der die elektronische Post mit dem Zeichnungsbuero in Polen via Internet bewaeltigt, bis hin zur Nutzung des Internet-Protokolls TCP/IP fuer konzernweite Netzwerkloesungen. Dabei verwenden Grosskonzerne zunehmend nicht nur das zugrundeliegende Protokoll, sondern auch Internet-Technologien wie WWW-Tools, die Seitenbeschreibungssprache HTML und das FTP-Protokoll zur Uebertragung von Dateien. Marktforscher schaetzen heute, dass der Anteil der weltweit unter TCP/IP vernetzten PCs von 5,5 Prozent im vergangenen Jahr auf 66 Prozent im Jahr 1999 steigen wird.

Viele Anbieter sind fest entschlossen, sich das Internet als Geschaeftsmoeglichkeit nicht entgehen zu lassen. Produkte wie die Internet-basierte Entwicklungssprache "Java" und der Web-Browser "Hot Java", die Sun vor wenigen Monaten vorgestellt hat, sollen es etwa ermoeglichen, objektorientierte Applikationen zu schreiben und als Ressource im Netz der Netze bereitzustellen.

Andere Softwarehaeuser, darunter auch deutsche, richten virtuelle Shops im WWW ein, in denen sie ihre Standardprodukte feilbieten. Einige Player, beispielsweise Oracle, denken darueber nach, ihre elektronischen Laeden Anwendungsentwicklern zu oeffnen, damit diese dort weltweit Softwarekomponenten anbieten und kaufen koennen, die mit Hilfe objektorientierter Entwicklungsumgebungen geschaffen wurden. Eine Einigung ueber Standards und Methoden vorausgesetzt, koennte so eine weltweite, online kommunizierende Entwicklergemeinde entstehen, die vermeidet, was jahrzehntelang unter Anwendungsprogrammierern in Unternehmen gang und gaebe war: das Rad jeden Tag neu zu erfinden.

Anwender sollte die vom US-Vizepraesidenten Al Gore losgetretene Diskussion um den Information-Highway nur am Rande interessieren. Szenarien wie Video on demand und Teleshopping haben sicher den privaten Konsumenten im Visier. Aber ohne die im Dunstkreis dieser Vision entstehenden konkreten Techniken duerften in Zukunft auch Unternehmen nicht auskommen, die ihre Informationsverarbeitung effektiv und auf der Hoehe der Zeit halten wollen. Ausprobieren heisst die Devise. Just do it!