Kolumne/IBMs Leidenschaft ist der Mainframe

10.05.1996

Keine Frage, Louis Gerstner macht Eindruck. Mit einer imponierenden Kraftanstrengung hat der Kapitän den havarierten Tanker IBM wieder flottgemacht und in ein tieferes Fahrwasser gelenkt - auch wenn dabei ein Gutteil der Mannschaft unfreiwillig über Bord ging. Gerstners Zahlen können sich sehen lassen: Ein Gewinn von 770 Millionen Dollar blieb allein im vergangenen Quartal übrig, auch der Umsatz lag mit 16,5 Milliarden Dollar deutlich über dem des gleichen Vorjahreszeitraums. Vielleicht war es nicht ganz das Ergebnis, das die Aktionäre erwartet hatten, doch Rückschlüsse auf eine Krise innerhalb der IBM läßt es nicht zu.

Dennoch sind es wohl nicht nur Börseninsider, die Zweifel an einer gesicherten Zukunft der IBM hegen. Ihr positives Abschneiden verdankt die Company in erster Linie ihrem traditionellen Geschäft, dem MVS-Mainframe-Business. IBM verkaufte jede Menge Großrechner-Mips und kassierte bei Systemsoftware und Wartung.

Daß dieser Markt schon bald Schwächen zeigen wird, ist keine Prognose, für die man Analysten zu Rate ziehen müßte. Es reicht vollkommen aus, Großanwender nach ihren Investitionsplänen zu fragen. Entscheidend ist aus IBM-Sicht also, mit welcher Strategie mittelfristig die fehlenden Einnahmen aus dem Mainframe-Geschäft kompensiert werden - und hier bleiben viele Fragen offen.

In wichtigen Wachstumsmärkten tut sich Big Blue ausgesprochen schwer. Zwar sind die Produkte in der Regel von hoher Qualität, doch oft handelt es sich um "Me-too"-Ware, die zu spät herauskommt und nur halbherzig vermarktet wird. Die Power-PC-Technologie etwa war durchaus konkurrenzfähig, hat aber den Massenmarkt nie erreicht, ebensowenig das mehrfach ausgezeichnete und unter enormem Kostenaufwand entwickelte Betriebssystem OS/2.

Statt sich einen Namen im prosperierenden Internet-Geschäft zu machen, setzte Gerstner beim Workgroup-Computing auf die kostspielige Neuerwerbung Lotus Notes. Dessen Zukunft ist - da mögen die zahlreichen Notes-Freunde noch so protestieren - angesichts des Intranet-Booms und der geballten Anstrengungen der Konkurrenz alles andere als sicher. Schon gar nicht gelang es der IBM, den Erzrivalen Microsoft über die Workgroup-Schiene in die Schranken zu weisen.

Die Liste der verlorenen Märkte ließe sich beliebig fortsetzen. Beispielsweise mußte Big Blue im Markt für Speichertechnologien Federn lassen, hier ergatterten Wettbewerber wie EMC zuletzt immer größere Stücke vom Kuchen. Selbst im vielgepriesenen Servicegeschäft macht IBM kaum Gewinne - rechnet man die Hardwarewartung nicht mit ein.

Louis Gerstner erntet zur Zeit die Früchte seiner zweifellos glänzenden Sanierungsarbeit. Doch der Abbau von Bürokratie, die Schließung ganzer Produk- tionsstätten und das Wiederaufleben eines mehrfach totgesagten Mainframe-Marktes reichen nicht aus, um langfristig Erfolge zu feiern. Als unternehmerischer Visionär muß sich Gerstner erst noch beweisen.