Kolumne/Der Blabla-Bedarf ist gedeckt Dieter Eckbauer

08.09.1995

Software ist deutschen Banken kein Risiko wert" - "Telekom nutzt die IFA '95 zum multimedialen Stelldichein". Zwei Headlines (CW Nr. 35 vom 1. September 1995, Seite 1), die auf den ersten Blick nichts gemein haben. Auf Seite 27 derselben Ausgabe erfahren CW- Leser mehr ueber Kausalzusammenhaenge, die gleichwohl hergestellt werden koennen: "Deutschland hat das Rennen um Multimedia noch nicht verloren." Der Widerspruch ist offenkundig. Wenn sich die hiesigen Banken zieren, Softwareprojekte zu finanzieren, dann koennen die Startbedingungen fuer das weltweite Multimedia-Rennen nicht die besten sein. Ueber die Innovationskraft der Softwarefirmen ist damit noch nichts gesagt.

Sorgen um die deutsche Softwarebranche? SAP geht es doch gut. Klar, die Walldorfer verdienen viel Geld mit konventionellen Standardprogrammen, jedoch in einem Anwendungsbereich, in dem Sanierung (Stichwort: Software-Altlasten) im Vordergrund steht - Innovationskrampf mit Blick in den Rueckspiegel. Wo sind sie denn, die deutschen Software-Unternehmer, wenn es darum geht, die Claims im noch unerschlossenen Multimedia-Markt abzustecken? Man sieht sofort, dass die Frage falsch gestellt ist. Die Banken wuerden ihnen kein Geld vorstrecken - man muesste ja in etwa eine Vorstellung davon haben, wo die Multimedia-Musik gespielt wird und was da abgehen kann.

Multimedia - Beginn eines Booms? Industrievertreter sollte man besser nicht fragen. Der Blabla-Bedarf ist gedeckt. Auch mit den scheinbar ausgewogenen "Multimedia"-Plaenen der Bonner Regierung betreten wir keinen festeren Boden. Den Durchbruch erwarten Experten, die bei dem Programm Pate standen, im Business-to- business-Bereich, bei der Buerokommunikation. Der Ansatz (Virtualisierung der Arbeitsplaetze) ist so umfassend, dass er nicht falsch sein kann. Fragezeichen aber bereits hinter dem Beschaeftigungseffekt: Sicher ist nur, dass durch Buerorationalisierung Zigtausende Arbeitsplaetze wegfallen werden. Diesmal trifft es die Angestellten.

Ohne Innovation entstehen keine neuen Jobs. Innovation findet nicht statt, wenn lediglich Sekretariatsfunktionen - Multimedia fuer das "Advanced Office" ist nichts anderes - in PCs verlegt werden, an denen "Entscheider" diese Aufgaben quasi miterledigen sollen. Die eifrigen Multimedia-Planer werden sehr schnell feststellen, dass sie es mit der Quadratur des Kreises zu tun haben: Sind multimedial vernetzte Entscheider auch bessere Entscheider? Wie entstehen Ideen, die Unternehmen wirklich weiterbringen? Das uralte MIS-Paradox.

Worauf kaeme es also an? Nun, in der Frage "Wo wird die Multimedia- Musik gespielt?" liegt bereits die Antwort: Wo die digitale Musik gespielt wird. Gemeint ist der Entertainment-Markt, nicht das Buero: Disneyland und Hollywood, Boards und Spiele. Vorsprung durch Software: Darauf setzt die US-Politik. Die Amerikaner sind drauf und dran, den Rest der Welt abzuhaengen - multimedial-kulturell und finanziell. Hollywood ist ueberall, selbst auf den Kirch-Kanaelen. Wir werden wohl in die virtuelle Roehre schauen.