Kolumne/Adam Online and the ants

07.07.1995

Dieter Eckbauer

Ist es live oder ist es virtuell? Ist der Preis fuer "going online" nicht zu hoch? Fuer Internet-Suechtige stellt sich die Frage nicht. Im elektronischen Netz kommen sie anderen Menschen "naeher", in welchem Winkel der Cyberwelt diese auch am Bildschirm sitzen moegen. Nie war das Global Village so klein wie heute - sollten abgespacete Online-Marketiers einen solchen Werbespruch noch nicht erfunden haben, sie muessten es schleunigst nachholen. Wir werden sehen, dass sich die Message auch gegen die Onliner richten kann. Was es mit dieser Naehe auf sich hat, damit beschaeftigen sich naemlich durchaus auch Leute, die als DV-Insider nicht unbedingt der antitechnischen Subversion verdaechtig sind.

Da ist Eckart Wintzen, Gruender und Chef des hollaendischen Softwarehauses BSO/Origin. Auf einer Konferenz unter dem Motto: "Focus on the human network" praesentierte er neben Internet-Gurus einen Branchenfremden wie den deutschen Tierphysiologen Bert Hoelldobler, bekannt fuer sein Buch ueber Insekten, insbesondere Ameisen, "The Ants". Hoelldobler verwies darauf, dass in bestimmten informationstechnischen Modellen der Insektenstaat mit einem Gehirn verglichen und die Kommunikation der Ameisen untereinander mit der von Nervenzellen gleichgesetzt werde.

Der Bezug zum Thema ist hergestellt: Ameisen verfuegen ueber aussergewoehnliche Kommunikationstechniken, die sie gemeinsam, als Staat, zu enormen Leistungen befaehigen. Aber ist der Bezug auch klar? Mit dieser Frage sollten sich gerade IT-Spezialisten beschaeftigen, die ja fuer die kommunikationstechnische Infrastruktur in Unternehmen verantwortlich sind. Der amerikanische Online-Kritiker Sven Birkert unterstreicht in dem Kultmagazin "Wired" seine Klage ueber den mit der totalen Vernetzung verbundenen Verlust der menschlichen Praesenz, der Unmittelbarkeit, der Authentizitaet mit der Bienenkorb-Analogie und provoziert: Wo ist die elektronische Koenigin?

Birkert ist der Preis fuer das faustische "going online" zu hoch, er will seine Seele nicht ans Netz verkaufen. Der Amerikaner vertritt eine Extremposition, weist jedoch jeden Missionarsduenkel von sich: Andere koennten es mit dem Online-Anschluss halten, wie sie wollten. IT-Praktiker koennen sich den Luxus des Laisser-faire nicht leisten. Man kann sich nicht einmal auf den neutralen Standpunkt zurueckziehen, dass der Trend zum vernetzten virtuellen Unternehmen unaufhaltsam sei: Der Mensch ist kein Insekt. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich die elektronischen Medien ausbreiten, kann darauf nicht oft und entschieden genug hingewiesen werden.

In einem elektronisch vernetzten System muessen sich die Verhaltensweisen von Menschen sowie juristischen Personen, von Unternehmen, zwangslaeufig immer mehr angleichen. Wollen wir das? Die Frage ist hier nicht persoenlich gemeint. Fuer die Unternehmen geht es um ihre Wettbewerbsfaehigkeit, also werden sie gegensteuern. Man darf gespannt sein auf die Post-Cyberspace-Zeit. Oder sollte es erst gar nicht soweit kommen?