Kollegen vom anderen Stern

13.08.1976

"Also hast du das gelesen? Hast du das gelesen, Frank? - Schreibt dieser unverschämte Kerl doch hier was von Hohepriestern der EDV, vom Staat in der Firma, vom Monopol der Eierköpfe, von ... !"

Horst schöpfte Atem, strich über sein rotes Gesicht und schwenkte erbost seine Zeitung.

Ich lächelte beruhigend.

"Aber was denn, Horst. Das sind doch nur die Phantasien eines Bundesbürger-Registrier-Nummergeängstigten Menschen. Dein-Computer-das-unbekannte-Wesen: das erschreckt ihn eben. Er weiß gar nicht, daß wir auch Menschen sind."

Horsts Blick wurde ruhiger.

Mit neuem Mut numerierte er die Seiten seiner Post-Liste wieder anders durch. Nach welchem System würde ich nie begreifen.

"Eigentlich hast du recht. Sie wissen's nicht anders.

Die Angst vor dem Unbekannten, das ist es. Ja, ja, das ist es!"

Er seufzte tief.

Die Tür unseres Büros öffnete sich. Herein kam Buchhaltungs-Meyer - der mit der Nickelbrille (unter uns: er meckert immer über unsere Grundbücher, diese Null. Und wir haben extra für ihn neue, Drucktücher gekauft.)

"Morgen, Kollegen!"

"Morgen. Es ist erst halb acht!!"

"Weiß ich. Aber ich brauche dringend eine Zwischenbilanz. Die letzte, o mein Gott."

Sein Blick richtete sich zur Zimmerdecke.

Ich schwang mein Schreibstellenlineal und überlegte, wie Buchhaltungs-Meyer wohl aussehen würde, wenn ich ihm damit 132 Druckstellen anmessen würde, aber dann ließ ich es.

Wir würden unsere neue Taktik gleich bei ihm ausprobieren.

"Verständnis beim Mitmenschen wecken", hieß die neue Devise.

"Na, dann kommen Sie mal mit", sagte ich fröhlich.

Gemeinsam schritten wir hinüber in den Maschinensaal, der uns in jungfräulicher Dunkelheit entgegengähnte.

"Gib mal Saft", sagte ich zu Horst.

"Ich?" fragte Buchhaltungs-Meyer erschreckt.

"Nee, Sie nicht. Horst! Nu' mach schon.'

Diverse Klick- und Klackgeräusche ließen , Buchhaltungs-Meyers Kopf in alle Richtungen zucken.

"Schmeiß mal den Hobel an. Pauer-onnnnn!"

"Pauerrr kommt, pauer reddiiiii!"

"Take on the Disks!"

Buchhaltungs-Meyers Augen wurden kugelrund.

Ich lief einmal mehr als nötig um die Zentraleinheit (weil Buchhaltungs-Meyer mich so bewunderte. Ehrlich, das mit dem Take on war 'ne Klasse Idee, nicht?).

"Gott sei Dank kein Christbaum", orakelte Horst.

"Hast du schon IPL gezogen?"

"Ich? Nee, noch nicht. IPL ist noch draußen!"

"Na. Dann zieh ich's rein!"

Buchhaltungs-Meyers Augen ruckten hilflos zur Tür.

Das gab mir Gelegenheit, unauffällig auf die Lade-Taste zu drücken.

"IPL kommt rein!"

Buchhaltungs-Meyers Kopf beschrieb eine 360-Grad-Drehung und blieb staunend auf den flimmernden Lampenketten hängen.

"Halb so wild', sagte ich väterlich, und überlegte, ob ich nicht noch die Szene mit dem Landeanflug bringen sollte.

"Schmeiß die Commands rein. Te Te Em Em Jot Jot, denk an die Schrägstriche, sieben vierzig null null!"

Horst und ich "sprangen gemeinsam im Kreis". Zusammen mit reddiii-gemachten Bändern, reddiii-gemachten Druckern und reddiii-gemachten Bildschirmen bildeten wir ein geheimnisvolles, unentwirrbares Knäuel, aus dem plötzlich an einem Drucker wie durch Zauberhand eine Zwischenbilanz erschien.

Buchhaltungs-Meyer nahm sie demütig entgegen.

Als wir ihn fragten, ob wir sie selektieren oder etwa auch noch separieren sollten, wurde er bleich und murmelte nur noch:

"Danke, Leute, danke."

Mit einer tiefen Verbeugung verließ er den Ort seiner Niederlage.

Wir schalteten die Bildschirme ab, legten die Arbeitsbänder zurück ins Archiv und die Work-Platten zurück in die Schränke, beendeten diverse 80/80-List- und Spezial-Loop-Programme, grinsten uns gegenseitig an, und dann meinte Horst:

"Was meinst du, Frank, ob ihm die nächsten Grundbücher gefallen?"

"Er wird sie als ein Geschenk dankbar und ehrfürchtig entgegennehmen", sagte ich weise.

"Genau!" meinte Horst.

"Man muß den Leuten nur unsere Arbeit verständlich machen. Dann verstehen sie einen viel besser."

* Hans-Georg Kempen ist Seniorprogrammierer bei der Zigarettenfabrik Haus Neuerburg in Köln.