Ein Plädoyer für die Selbstverantwortlichkeit des Unternehmers (Teil 1)

Know-how-Tausch: Sonntagspolitiker, Hände weg!

18.10.1985

Technologie-Transfer gab es schon, bevor das Schlagwort in aller Munde war. Außerdem ist dieser Austausch vielfältiger, als in den naiven Bemühungen um seine Förderung allgemein unterstellt wird. Drei gewachsene Voraussetzungen - Gefälle, Kompatibilität und gegenseitiger Nutzen der Partner - müssen stimmen, dann funktioniert dieses Wechselspiel, und nicht nur als kurze Episode. Kritik der bisherigen Praxis und Anregungen für eine bessere Zukunft will der Autor Dieser Artikelfolge vermitteln.

Die Wirtschafts- und Strukturpolitik oder besser die modische Industriepolitik, die in jüngster Zeit andiskutiert wurde, kreist um einen neuen Schlüsselbegriff: den Technologietransfer. Kaum ein Politiker, gleich welcher Couleur, läßt es sich nehmen, ihn zu fördern. Denn Technologietransfer erscheint ideologisch ungefährlicher als direkte Strukturpolitik. Mit ihm kann man sich, so glauben Politiker, unverbindlich in Wirtschaftsentwicklungen einschalten und dennoch Fortschritt und Prosperität versprechen - auch für die mittelländische Wirtschaft.

Ab und zu fragt man sich:" Was ist das, Technologietransfer?" - dieser Kurztransfer von der Hochschule zum Mittelständler, von der Wissenschaft in der Praxis. Ich will versuchen, diesen Bereich mit ein paar Beispielen auszuleuchten:

Ein besonders großer Technologietransfer fand eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg in der deutschen Wirtschaft unter dem Stichwort "Demontage" statt. Die russische Besatzungsmacht vollzog den mit vielen Güterzügen gewaltigen "Hardware-Technologie-Transfer", der freilich zum großen Teil in der Sowjetunion verrottete, weil man das zugehörige Know-how nicht mittransferierte, Anschlußtechniken fehlten und die Infrastruktur dort gar nicht aufnahmefähig war für das, was hier demontiert wurde. Geschickter waren dabei die Engländer, die im großen Umfange auch Pläne und Patente und damit eigentlich die gesamte Software der demontierten Unternehmen mitnahmen, also Software-Technologie-Transfer betrieben. Auch dieser Technologietransfer war unvollständig; das zurückgebliebene Fachpersonal belegte dies erfolgreich im darauf folgenden deutschen Wirtschaftswunder.

Noch einen Schritt weiter gingen die Amerikaner. Sie holten Hitlers Raketenbauermannschaft in die USA, gründeten darauf ihre Weltraumfahrtindustrie - ein nicht gerade kleiner Schub eines sogenannten Personal-Technologie-Transfers. Die Beispiele zeigen: "Transferieren" laßt sich im Prinzip alles zwischen verschiedenen Partnern. Erscheint diese Demontage zwar zunächst negativ, stellte sich die Räumung einer veralteten deutschen Wirtschaft doch als Anstoß zu gewaltigen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen und Grundlagen des Wiederaufstiegs heraus.

Ein anderes Beispiel soll das Themenfeld weiter ausleuchten. Wenn ein Automobil- oder Fernsehgerätehersteller die neuesten Produkte seines Konkurrenten kauft, um sie in seinem Labor auseinanderzunehmen, dann will er über die Hardware an das Know-how seines Mitbewerbers herankommen. Als klassisches Beispiel dienen deutsche Existenzgründer wie Krupp oder Daimler. Sie bereisten in der Gründerzeit England, nicht nur der Erweiterung ihres Bildungshorizontes wegen, sondern sie nahmen in erheblichem Umfang Know-how mit. Eine Reihe von Geschichtsschreibern berichtet über geistigen Diebstahl. Auf diesem Transfer gründen - verbunden mit eigenen Anstrengungen - jedenfalls bis heute recht bedeutsame deutsche Betriebe.

Diese Beispiele sollten deutlich gemacht haben, daß die aktuelle Diskussion "Transfer - Wissenschaft - Praxis" nur einen schmalen Ausschnitt aus dem allgemeinen Technologie-Transfer-Problem aufgreift. Es ist sehr naiv, diesen Teil für, das Ganze zu nehmen, wie das in der öffentlichen Diskussion oft geschieht. Glaubt man, indem man nur in diese eine Richtung vorstößt, die Umsetzungsgeschwindigkeit erhöhen oder das Innovationsgeschehen gravierend beeinflussen zu können, verhält man sich nicht weniger naiv. Die Beispiele zeigen aber auch, daß Technologietransfer in der Vergangenheit eigentlich immer ganz gut funktionierte -, ohne daß man darüber redete. Er funktionierte immer dann, wenn die Umstände stimmten und er auf drei Voraussetzungen basierte:

Die erste Voraussetzung besteht darin, daß überhaupt ein Gefälle zwischen zwei Partnern oder Kontrahenten besteht. Die beiden Partner brauchen nicht nur Wissenschaft und Praxis zu sein, sondern können durchaus auch einzelne Personen, Unternehmen, Institutionen oder Nationen sein. Das Gefälle kann in Differenzen aus Hardware, Software, Know-how, Personalqualifikation oder was immer sie transferieren wollen, bestehen.

Die zweite Voraussetzung basiert auf Kompatibilität des Transfer-Gegenstandes mit dem jeweiligen Aufnahmesystem. Gesichert sein oder hergestellt werden muß ein bestimmter Reifegrad sowohl der zu transferierenden Technik als auch, auf der anderen Seite, der technischen, personellen und qualifikatorischen und infrastrukturellen Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein.

Und als dritte Voraussetzung gilt: Man muß sich einen Vorteil vom jeweiligen Technologietransfer versprechen, Dazu kommt, der Nutzer muß bereit sein, erhebliche eigene Aufwendungen zur Umsetzung des Jeweils zu transferierenden Gegenstandes, etwa irgendeines spezifischen technischen Wissens, zu leisten.

Wenn Gefälle, Kompatibilität und Vorteil vorhanden sind, funktioniert auch der Technologietransfer: durch Kooperation, Imitation, Diebstahl oder auch - durch "Abgucken", Will man ernsthaft diskutieren, kann man das nicht in der naiv-technokratischen Form unserer Politik und Sonntagsredner. Gut zwei Drittel des Technologietransfers finden nämlich auf diesem Wege statt. Das kann man zwar meistens nur hinter geschlossenen Türen so diskutieren aber das ist die Praxis. Wer im Alltag damit zu tun hat, kennt das - und zwei Drittel ist sicher glicht zu hoch gegriffen, wie mir mancher wird bestätigen können.

Wenn dieser Technologietransfer nun nicht funktionierte, könnte ich den Umkehrschluß ziehen, stimmen die Umstände nicht, gibt es kein Gefälle, sieht man keine Vorteile, fehlt die Kompatibilität mit dem Anwendersystem. Während diese Umstände - echtes Gefälle, Kompatibilität oder Reife und reale Vorteile - indes nicht weiter reflektiert werden, gründet sich der Technologietransfer-Aktivismus unserer Politiker, an dem sich auch eine Reihe der Verbände beteiligen - manche Wissenschaftler tun dies auch ganz gerne - auf einigen Vermutungen.

Die erste Vermutung betrifft eine mögliche Technologiehalde: In- und ausländische Institutionen einschließlich des Wissenschaftssystems besitzen hinreichende Mengen an Hardware, Software und a brauchbarem Personal, die zu transferieren wären.

Die zweite Vermutung betrifft die Allmacht der lnformation. Dieser naive Glaube, der eng mit den modischen Endzeitvorstellungen von der Informationsgesellschaft zusammenhängt, geht davon aus, daß die vermeintliche Blindheit - für mich meist fehlende Kompatibilitat zwischen Technik-Anbietern und -Anwendern - durch informatorische Hilfsmittel (Informationsmanagement wäre ein typisches Stichwort) behebbar ist.

Und die dritte Vermutung ist die von der Machbarkeit der technischen Entwicklung bei hinreichendem Mittel-Einsatz. Diesen Fatalismus kennt man eigentlich seit der Goldmacherei im Absolutismus, wo doch so mancher Monarch versuchte, seinen Haushalt dadurch zu sanieren, daß er sein letztes Geld in Goldmacher investierte, weil er eben von solch visionellen Vorstellungen die Rettung seiner Wirtschaft erhoffte. Alle drei Vermutungen enthalten - Jede für sich genommen - ein Körnchen Wahrheit (sonst ließen sie sich ja nicht so leicht unters Volk bringen). Dies wird mehr oder weniger bemüht mit Geschichte belegt. Die Vermutung von der Technologiehalde hebt häufig auf der Erfolgsstory des Musters ab: "Da gab es mal den Heinrich Hertz, und dessen Nachweisapparatur für elektromagnetische Wellen weist 50 Jahre später die Grundlage auf für eine Radio-Industrie."

Erfolgsstories. . . Und es gibt Dutzende davon. Nur wenn man hochrechnet und statistisch die Summe der Professoren mit der Summe der Mittelständler, die beglückt werden sollen, vergleicht, ist die Bestückungsdichte schon geringer als bei der Ärzteversorgung in der Bundesrepublik. Wenn man nochmals ungefähr 50 Prozent Geisteswissenschaftler abzieht, bleiben 50 Prozent übrig. Von ihnen betreibt die Hälfte mehr Theorie als anwendungsorientierte Arbeit. So bleibt nur noch ein Viertel.

In Großbetrieben spricht man mitunter von einem Sozialplan für Führungskräfte, wenn es wieder gelungen ist, eine nicht mehr gebrauchte Führungskraft statt als Frühstücksdirektor dem Wissenschaftssystem als Professor unterzujubeln - das muß man schon ernst nehmen beim Personaltransfer heute. Wenn Verantwortliche so den Mittelstand retten wollen, ist das schon recht fatal und relativiert die ganze Rechnung noch mal um einige Prozentpunkte. Man sollte also ehrlich darüber diskutieren und nicht unreflektiert von Einzelstories ausgehen; die Hochrechnungen sehen dann schnell ganz anders, nämlich realistischer, aus. Die zweite Vermutung - diese Informationsutopie - rekurriert ebenfalls auf solchen Erfolgserlebnissen des Musters, daß man einem deutschen Innovator durch Zugang zu einer amerikanischen Datenbank helfen kann.

Und die dritte Vermutung, der Machbarkeitsglaube an die technische Entwicklung, ist bei uns politisch in Mode gekommen mit der erfolgreichen Mondlandung. Wenn man mit hinreichendem Mittel-Einsatz operiert, werde man alle Ziele realisieren können; nicht nur Mondlandungen - hoch subventioniert - sondern auch andere Ziele im Innovationssystem der Wirtschaft. Nur: Wenn Die Fahrkarten zum Mond unsubventioniert verkauft werden mußten. . . Prüfen wir also erst die Machbarkeit dieser technischen Entwicklung.

Betrachte ich die begrenzten Ressourcen für die Umsetzung von technischen Ideen, muß ich als Ökonom argumentieren: Man kann eigentlich nicht alles transferieren, was möglich ist, weil die Umsetzung mindestens zehnmal so teuer ist, grob über den Daumen gepeilt, wie die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen in diesen Transferquellen, beispielsweise in Wissenschaftssystemen. Angesichts der umfangreichen Wissenschaftsproduktion, den Möglichkeiten also, etwas zu "puschen", muß jeder dirigistisch angesteuerte Transfer damit zwangsläufig auswählen. Da man nicht in aller Breite fördern kann, muß selektiert werden. Die Beschleunigung der technischen Entwicklung, die deutsche Technologie-Fabrikherren heute auf Landes- und Bundesebene - neuerdings auch auf europäischer Ebene - mit ihrem Aktivismus anstreben, ist stets inhaltlich gerichtet. Auch wenn man sich, wie in jüngster Zeit Mode geworden, indirekt spezifisch gibt.

Professor Dr. Erich Staudt ist Vorstand des Instituts für angewandte Innovationsforschung in Duisburg. Dieser Beitrag entstammt dem Ersten Europäischen Innovations- und Technologie-Kongreß der mittelständischen Wirtschaft veranstaltet von der Vereinigung Mittelständischer Unternehmen e. V. (VMU) im April 1985 in München.

(wird fortgesetzt)

Informationsutopie Mitteleinsatz

Entgegen oberflächlichen Behauptungen, mit hinreichenden Mitteln werde man alle Ziele realisieren, kann man indes nicht alles transferieren. Die Umsetzung ist nämlich mindestens zehnmal teurer als die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen in Transferquellen, wie etwa dem Wissenschaftssystem. Zuerst ist also die Machbarkeit technischer Entwicklungen zu prüfen. Angesichts der umfangreichen Wissenschaftsproduktion, den Möglichkeiten, etwas zu "puschen", muß jeder dirigistisch gesteuerte Transfer damit zwangsläufig auswählen - Kriterien dafür mit Blick auf begrenzte Ressourcen fehlen aber bisher.