Knowledge-Management/Knowledge-Management-System (KM) mit Lotus Notes gestartet

KM-System minimiert das Risiko bei kritischen Entscheidungen

27.02.1998

Kein Unternehmen in der kurzweiligen IT-Branche ist vor möglichen folgenschweren Fehltritten gefeit. Vor allem die zusehends kürzeren Innovationszyklen, aber auch der rasante technologische Fortschritt und der anhaltende Preisverfall bei den Produkten stellen High-Tech-Unternehmen vor große Herausforderungen.

Was ist zu tun, um eine erarbeitete gute Marktposition weiter auszubauen? Für welche Produkte und Dienstleistungen gibt es künftig eine starke Nachfrage? Welche Entwicklungen müssen generell forciert werden? Oder: In welche neue lukrative, aussichtsreiche Geschäftsfelder soll man überhaupt investieren? Fragen über Fragen, die das Management beantworten muß. Egal welche Entscheidung getroffen wird, jede ist richtungsweisend, zielt mitunter sehr weit in die Zukunft und ist unter Umständen mit beträchtlichen Unwägbarkeiten verbunden.

Um die Risiken und damit auch das bei Entscheidungen stets vorherrschende "Bauchgefühl" zu minimieren, aber auch gleichzeitig die größtmöglichen Chancen herauszufiltern, bedient man sich unterschiedlichster Methoden und Verfahrensweisen zur Unternehmensführung. Dazu zählen etwa sogenannte strategische Frühwarnsysteme ebenso wie "Szenariotechniken", die einen Planungszeitraum von bis zu zehn Jahren berücksichtigen.

Bei diesen Planungsmethoden spielen als Entscheidungsgrundlage natürlich das bedarfsgerechte Wissen beziehungsweise qualitativ hochwertige Informationen eine fundamentale Rolle.

Zudem kommt es in diesem Zusammenhang ganz wesentlich darauf an, in Unternehmen und darüber hinaus im gesamten Unternehmensumfeld auftretende "schwache Signale" ähnlich einem Radar aufzuspüren und auch diesen eine entsprechende Wertigkeit zuzuordnen.

Daraus werden anschließend verwertbare Kennzahlen und relevante Indikatoren definiert. Sie fließen in ein strukturiertes und weitverzweigtes Regelwerk im Rahmen der strategischen Frühaufklärung ein.

Allerdings hat sich bei Hewlett-Packard herausgestellt, daß es bei jenen systemrelevanten schwachen Signalen in puncto Qualität haperte.

Klar wurde recht schnell: Nur mit einem ausgefeilten Informations- und Wissens-Management auf der Basis eines effizient arbeitenden IT-Online-Systems, das wirklich alle aussagekräftigen schwachen Signale zur Verfügung stellt, war es möglich, eine Qualitätsverbesserung zu erzielen.

Hinzu kam folgendes Handicap: Zwar konnten relevante Informationen in überaus üppiger Menge beschafft, selektiert und weitergeleitet werden, doch wurden das Wissen und die Bewertung der Infos durch die Mitarbeiter nur unzureichend berücksichtigt. Und last but not least standen die gefilterten Infos auch nur zeitversetzt online zur Verfügung, weil zuerst die zahlreichen Quellen (die nun einmal die Grundlage für die schwachen Signale darstellen) mit einem entsprechenden großen Aufwand manuell erfaßt werden mußten.

Genau diese Gründe führten bei HP dann im Kern dazu, für den Unternehmensbereich Dienstleistungen einen Prototyp eines Online-Knowledge-Management-Systems zu entwickeln und zu implementieren, das folgenden Oberzielen gerecht wird:

-Zeit- und Informationsvorsprung,

-frühzeitiges Erkennen von Chancen und Bedrohungen sowie

-Risikoeingrenzung bei Entscheidungen.

Von Anfang an wurde großer Wert darauf gelegt, die Mitarbeiter bei der Wissensbewertung zu integrieren; mehr noch, sie sollten mit ihrem Know-how und ihren Erfahrungen im Mittelpunkt des Systems stehen, während die reine Infobeschaffung sowie der Transport der Informationen vom "Electronic Marketing Information Broker", kurz "Elmi B", erbracht wird.

Dementsprechend wurde auch die Maßgabe auferlegt, daß das Wissens-Management-System für jeden Benutzer den Strom an internen und externen Informationen überwacht, den Zugriff auch auf das aktuelle Wissen der anderen Benutzer sicherstellt und die Institution ist, um eigene, neue Informationen zu publizieren. Hierarchische Beschränkungen sollte es nicht geben. Zudem sollte das System einfach zu bedienen und flexibel ausbaubar sein.

Auf der Grundlage dieser vorrangigen Rahmenbedingungen wurde die "Elmi-B-Systementwicklung" mit Lotus Notes gestartet, die auf einem Basiskonzept des australischen Knowledge-Management (KM)-Spezialisten Grapevine Technologies (www.grapevine.com) aufbaute.

Ein Hauptelement der Entwicklungsarbeiten war dabei der Aufbau eines unternehmensspezifischen und maßgeschneiderten, hierarchisch aufgebauten Funktionsbaums (Knowledge Tree), der die auswählbaren Themenbereiche inklusive Unterrubriken (Fachgebiete wie IT-Services, Maintenance, Server, Mitbewerber, Kunden und ähnliches) aufweist. Gleichzeitig mußten ausreichende Möglichkeiten zur Klassifizierung geschaffen werden, um die Inhalte nach vier Prioritätsstufen (sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig, unwichtig) bewerten zu können. Ferner wurde ein Mechanismus entwickelt, der generell jeden Mitarbeiter in die Lage versetzt, ein eigenes Benutzerprofil zu kreieren, um ganz gezielt und bedarfsgerecht Informationen gemäß dem Push-Prinzip anzufordern, diese zu beurteilen, mit eigenem Wissen anzureichern und dem Knowledge-Management-System (den Usern) wieder zur Verfügung zu stellen.

Ausreichende User-Zahl zwingend notwendig

Als ein weiterer wichtiger Projektschritt stand auf dem Plan, die einzelnen in den elektronischen Informationsbroker online einfließenden originären Informationsquellen zu bestimmen und gegebenenfalls die Nutzungsrechte und -bedingungen abzuklären. Dabei sollten durch diese zahlreichen Quellen genau jene schwachen Signale aufgespürt werden, die für HPs strategische Frühaufklärung relevant sind.

So entschied man sich dafür, sowohl ausgewählte IT-Fachzeitschriften als auch Wirtschaftspublikationen und Tageszeitungen zu verwenden; darüber hinaus Studien und Newsdienste von Marktforschungsgesellschaften, die HP-eigenen "Newsgrams", das Firmen-Intranet sowie zahlreiche Web-Quellen. Andererseits war vorgesehen, als weitere originäre Informationsquelle die Mitarbeiter mit ihrem Wissen selbst zu nutzen. Und zwar in der Form, daß sie Infos über Wettbewerber oder Kunden(situationen), aber auch gewonnene Erkenntnisse und Neuigkeiten aufgrund von Messebesuchen, Seminaren und Konferenzen sofort in Elmi B. stellen.

In dieser Vorphase des Pilotprojekts ist außerdem eine wichtige Frage zu beantworten: Wie viele Benutzer sollten oder mußten am Testbetrieb teilnehmen, um ein sinnvolles und nützliches "Verkehrsaufkommen", bei dem auch genügend "wissensrelevante" Bewertungen in das System fließen, sicherzustellen? Dieser eher weiche erfolgskritische Faktor ist - das hatten bisherige KM-Projekte bereits aufgezeigt - nicht zu unterschätzen.

Nimmt man beispielsweise eine Menge weit unter 50, läuft man Gefahr, daß entweder die schwachen Signale überhaupt nicht erkannt werden oder kein ausreichender, mit Wissen und Bewertungen angereicherter "Traffic" zustande kommt. Wird andererseits im Test eine User-Zahl nahe 100 gewählt, sind erforderliche Auswertungen und Analysen sowie sich hieraus ergebende Änderungen und Korrekturen nur unter großen Anstrengungen zu realisieren, dauern zudem unverhältnismäßig lange.

Bei HP verständigte man sich für die Testphase auf 50 Benutzer (inklusive Management) des Geschäftsfelds Dienstleistungen aus zuvor festgelegten Bereichen. Daneben wurden weitere fünf User aus anderen Unternehmensteilen bestimmt.

Innerhalb der Testphase stellte sich heraus, daß an dem strukturellen Aufbau so gut wie keine Korrekturen vorgenommen werden mußten. Änderungsanforderungen aus den Tests betrafen im wesentlichen zwei Problembereiche. Zum einen ging es darum, den Such- beziehungsweise Funktionsbaum zu optimieren, speziell die Zuordnung der Querverweise zu tatsächlich relevanten Themenbereichen zu korrigieren. Zum anderen machte der Probebetrieb die semantischen Tücken von Online-Suchvorgängen deutlich. So landeten in der Rubrik "Bayer" (Kunden) nicht nur Firmennews, sondern auch solche Infos zum Bundesligisten Bayer Leverkusen.

Nach der Abnahme des elektronischen Informationsbrokers Mitte September letzten Jahres stieg die Elmi-B-Benutzerzahl bis Ende Januar auf über 110 und wurde damit kontinuierlich ausgebaut. Vom Produktivstart weg hat sich das Grundkonzept des Wissens-Management-Systems bei HP bewährt.

So fließen täglich online (in aller Regel nachts) aus den sechs externen und mehreren internen originären Quellen Informationen in das Knowledge-Management-System ein und werden sofort nach entsprechenden Themenfeldern sortiert, wobei jede Nachricht mit der untersten Prioritätsstufe eins versehen wird. Zudem hat jeder Benutzer sein Interessenprofil definiert, kann dieses aber zu jeder Zeit und entsprechend den aktuellen Erfordernissen ändern.

Klassische Printmedien nicht obsolet

Hat ein Mitarbeiter beispielsweise den Bereich Hardware- Maintenance mit der Prioritätsstufe eins versehen, erhält er auch alle Infos zu diesem Thema mit der entsprechenden Wichtigkeit. Nun ist er, sofern möglich, täglich angehalten, diese Mitteilungen zu lesen und eine Bewertung vorzunehmen. Mißt man einer oder mehreren Infos eine größere Bedeutung bei, kann eine höhere Priorität - etwa drei für wichtig - vergeben werden. Außerdem läßt sich ein fachrelevanter Kommentar zur Info, etwa bezogen auf das Thema Server, hinzufügen. Durch diese "Dynamisierung" erhalten sowohl alle Benutzer zum Thema Maintenance mit der Prioritätsstufe drei als auch zusätzlich jene zum Thema Server die Info samt Kommentar.

Somit wird sichergestellt, daß zum einen jeder Benutzer Inhalt, Wertigkeit und die Menge der Infos selbst bestimmen kann. Zum anderen werden Themen in einen Kontext gestellt, mit wichtigen Umfeldinformationen angereichert und anderen wichtigen angrenzenden Bereichen anhand konkreter Fälle und aktueller Begebenheiten zur Verfügung gestellt. Damit wird in einem kontinuierlichen Prozeß individuelles Wissen zu kollektivem, implizites zu explizitem Wissen. Ist eine Info uninteressant, läßt sie sich elektronisch entsorgen.

Die bisher gemachten Erfahrungen mit Elmi B, dessen Einführungskosten sich auf rund 80000 Mark beliefen und mit rund 150 Mark pro Monat als laufende Kosten zu Buche schlagen, sind positiv zu bewerten.

Nebenbei bemerkt: Durch die Online-Verfügbarkeit von Nachrichten und Hintergrundinformationen wurde die Nutzung klassischer Printmedien nicht obsolet. Die wesentlichen Gründe: das manifestierte Leseverhalten, der Ausbau der Allgemeinbildung oder auch das Informieren über interessante Randthemen.

Allerdings kommt es ganz wesentlich, und das hat der bisherige Einsatz des Wissens-Management-Systems - das künftig Web-basiert läuft - bei Hewlett-Packard ebenfalls gezeigt, auf die Einstellung der Benutzer gegenüber einem solchen System an. Schließlich wird ein Wissensvorteil auch immer als ein vermeintlicher Machtvorteil angesehen. Auf der anderen Seite basiert ein Wettbewerbsvorteil auf einem Wissensvorteil vieler Mitarbeiter in einem Unternehmen.

Als nutzenbringend hat es sich deshalb erwiesen, den effizienten Umgang mit Informationen und Wissen als kollektive Aufgabe aller Mitarbeiter im Unternehmen anzugehen und dafür zu werben. Eine gesunde und über Jahre hinweg gelebte fruchtbare Firmenkultur kann dabei äußerst hilfreich wirken. Alle Punkte, die den Faktor Mensch betreffen - beispielsweise auch jener, wie Mitarbeiter belohnt werden, die Informationen sammeln und weiterleiten, - sollten auf jeden Fall vor technologischen Kriterien abgeklärt werden.

Angeklickt

Bei Hewlett-Packard ist man mit dem internen Wissens-Management-System zufrieden. Innerhalb der strategischen Frühaufklärung konnte die Qualität der "schwachen Signale" spürbar verbessert werden. Zugleich ist jeder Mitarbeiter über die unterschiedlichsten Vorgänge besser informiert; etwa ein Vertriebs-Manager, der sich im Vorfeld eines Kundenbesuchs umfassend informieren will.

*Jürgen Görner ist verantwortlicher Projektleiter für den elektronischen Informationsbroker "Elmi B" und Market Development Manager Software & Services Group bei der Hewlett-Packard GmbH in Böblingen.