Neuorganisation auf IT-Infrastruktur abgebildet

Klinikum Ludwigshafen migriert auf einen ATM-Backbone

20.02.1998

Das Klinikum der Stadt Ludwigshafen am Rhein beschäftigt derzeit 2500 Angestellte und versorgt pro Jahr rund 35000 stationäre und 58000 ambulante Patienten. Es muß Patienten aller Art inklusive der Schwer-, Schwerst- und Spezialfälle aufnehmen. Neben dem Klinikum als Hauptstelle gehören zu der gemeinnützigen GmbH zusätzlich zwei Altenheime und das Blutspendezentrum, deren Standorte sich alle im Stadtgebiet Ludwigshafen befinden.

Das Klinikum soll zudem als Gesundheitszentrum ausgebaut werden: In den vergangenen fünf Jahren flossen zirka 230 Millionen Mark in das Projekt, in den nächsten fünf Jahren dürften nochmals 50 bis 60 Millionen hinzukommen. Der Dienstleister betrachtet den Research Triangle Park, North Carolina, USA, wo Unternehmen und Institutionen aus Forschung, High-Tech und Dienstleistung angesiedelt sind, als Vorbild. Diese Ansprüche bilden nach Auskunft von Uwe Gansert, dem Leiter Informationstechnologie des Klinikums, die Grundlage für die Anforderungen an IT und Netzwerkinfrastruktur.

Bis 1995 betrieb die Verwaltung ausschließlich Host-basierte Datenverarbeitung. Mainframe-Standardanwendungen wie Finanz- und Anlagenbuchhaltung, Patientenverwaltung und -abrechnung, Controlling sowie die gesetzliche Diagnosedokumentation wurden als Service vom Rechenzentrum des Statistischen Landesamtes in Bad Ems bezogen. In der Verwaltung standen rund 40 Terminals für die Dateneingabe und -abfrage. In den Kliniken und Instituten gab es wenig oder gar keine DV, "auf jeden Fall Insellösungen, die den Fachbereichsleitern untergeordnet waren," so Gansert. Praktisch existierte keine zentrale Koordinierungsfunktion, daher herrschte ein Wildwuchs von Hard- und Software vor.

Die Krankenhäuser standen allerdings bis 1995 auch nicht unter dem heutigen Kosten- und damit Innovationsdruck, eine moderne und übergreifende DV einsetzen zu müssen.

Der Umschwung kam mit der Änderung der Gesetzgebung 1994/95, als die Krankenhäuser erstmals ihre Kosten detailliert ermitteln mußten. Zum 1. Juli 1994 wurde die GmbH gegründet, um den neuen Herausfordungen zu begegnen. Heute gibt es eine Bilanzierung und ein modernes Controlling, wie es in einem Unternehmen mit 2500 Angestellten und 250 bis 300 Millionen Mark Umsatz üblich sein sollte.

Neben der Einführung des modernen Krankenhaus-Managements fiel auch die Entscheidung, die neu gegründete IT-Abteilung mit einer komplett neuen Mannschaft organisatorisch als Stab der Geschäftsführung zu verankern.

Als erstes gingen die IT-Mitarbeiter an die Schaffung eines entsprechenden Netzes. Es mußte flexibel die Prozesse abbilden können und auf einfache Art dezentral benutzbar sein. Der zweite Schritt umfaßte neben einer IT-Infrastruktur für das Gesamthaus die Einrichtung von SAP R/3 als Wirtschaftssystem. Natürlich sollten auch PC-basierte Office-Anwendungen eingesetzt werden, denn bis 1994 gab es in der Verwaltung in vielen Bereichen nur Schreibmaschinen.

Kurz nach der GmbH-Gründung wurde ein Auftrag vergeben, das Projekt zu planen, mit dem Ziel der Umsetzung bis 1997. Das Ingenieurbüro HST in Bielefeld erarbeitete einen Einführungsplan, der folgende zentrale Anforderungen für das Netz enthielt:

- Voll strukturierte, redundante Vernetzung,

- Leistungsfähigkeit und Flexibilität zur Unterstützung der Unternehmensprozesse,

- dienste- und anwendungsneutrale Infrastruktur sowie

- standardisierte Komponenten und Technologien.

Die 1994 verfügbaren Technologien wie FDDI genügten diesen Ansprüchen nicht. "Das lag schon an der unvorhersehbaren Patientenversorgung", erinnert sich Gansert. FDDI war zwar schnell, nicht aber flexibel und skalierbar genug. Allerdings zeichnete sich bereits ab, daß aufgabengerechte Technologien in der Entstehung begriffen waren, speziell Fast Ethernet und ATM.

Neben generellen Anforderungen wie dem absoluten Vorrang des Patienten vor der Technologie mußte beim Netz auch die Hardware berücksichtigt werden: Im Klinikum sind mittlerweile gut 1000 PCs im Einsatz, davon 600 bis 650 bereits vernetzt. Bis 1999 sollen 2000 PCs vernetzt sein. Bei den Arbeitsstationen handelt es sich durchgängig um Standard-PCs, die alle die gleiche Konfiguration aufweisen. Aus Sicherheits- und Wartbarkeitsgründen booten alle remote über das Netz. Hierüber werden das Betriebssystem und die Anwendungsprogramme geladen. "Wir haben den vielzitierten Net PC praktisch schon im Einsatz", hebt Gansert die moderne Konzeption hervor.

Für die diversen Aufgaben gibt es unterschiedliche Nutzer- und Maschinenprofile. Auf den Client-PCs kommen Windows 3.11 und Windows NT Workstation zusammen mit Microsoft Office 4.3 zum Einsatz, als Groupware dient im ganzen Unternehmen "Novell Groupwise" für Mails und Terminplanung. "Mittlerweile gibt es auch Schnittstellen nach draußen", so Peter Böhmer, Mitarbeiter der IT-Abteilung, "wir bieten für das Klinikum Internet-Dienste an und betreiben einen Web-, Mail- und News-Server."

Als größtes Softwarepaket läuft SAP R/3 auf je zwei Sun-Servern "4000" und "1000E" mit drei Storage-Arrays, von denen jedes über 40 GB Platte und 512 MB RAM verfügt. Automatische Backups (kontinuierlich und über Nacht für größere Datenmengen) werden mit Bandrobotern bewältigt. Die Server laufen im Hochverfügbarkeitsverbund, "bei Störungen springt 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr ein anderer Server ein, ohne daß der Anwender etwas davon bemerkt", so Böhmer. Daneben gibt es zirka 25 Novell-Server mit Netware 4 als Netz-Betriebssystem, die als Boot-Server, für die Office-Anwendungen und die File- und Print-Dienste arbeiten. Alle Server sind in der DV-Abteilung konzentriert, für kritische Anwendungen wie R/3-Dienste besteht aber auch die Möglichkeit zur dezentralen Auslagerung der Server.

Das Klinikum Ludwigshafen hatte das Glück, ein modernes Netz von Grund auf neu planen zu können. Zu einem bestimmten Stichtag wurden alle Daten in SAP R/3 übernommen, alle Patienten nur noch im neuen System erfaßt, und die alten Terminals abgeschaltet. Die Strategie und Konzeption, die das Klinikum und das Ingenieurbüro HST entwickelten, lag dann der bundesweiten Ausschreibung zugrunde.

Den Zuschlag bekam die Firma Neef Elektrotechnik GmbH & Co, Systemhaus für Gebäude- und Kommunikationstechnik, Karlsruhe. Das Unternehmen entwarf ein dreistufiges Verkabelungskonzept: Im Areal entstand 1995 eine hochvermaschte Glasfaserverkabelung, in den Etagen bildet eine flächendeckende Twisted-Pair-Verkabelung die Grundlage für das Netz.

Als Übertragungstechnologie wurde Ethernet gewählt. Teilweise waren bereits Ethernet-LANs vorhanden. "Aber der Hauptgrund für Ethernet war, daß es kostengünstiger war als Token Ring. Zudem reicht Ethernet sowohl vom Bandbreitenbedarf als auch von der Nutzungsanforderung wie Strukturierung und Verfügbarkeit her völlig aus für die Projektlaufzeit bis 1999", begründet Gansert. Für die Anbindung der Server und im Backbone-Bereich wird derzeit Fast Ethernet eingesetzt. Im Backbone plant man den Umstieg auf ATM mit einer Bandbreite von 155 Mbit/s.

Am Anfang der Netzinstallation standen 1995 einzelne Ethernet-Inseln auf Basis von 10Base-T-Hubs, die in ein arealübergreifendes Netzwerk integriert werden sollten. Dafür wurde zunächst eine sternförmige Ethernet-Struktur gewählt, da vom Rechenzentrum der IT-Abteilung aus alle umgrenzenden Häuser versorgt werden mußten. Die Struktur bestand hauptsächlich aus vier Multiprotokoll-Switching-Hubs "IBM 8260", die zunächst per Standard-Ethernet vernetzt wurden. Aus logischer Sicht stellte sich das gesamte Netz bis Anfang 1997 daher als ein einziges Ethernet-LAN dar.

Die zweite Projektphase war 1996: Das Netz wurde um einen Multiprotokoll-Switching-Hub erweitert und die bisherige Switch-Verbindung aufgelöst. An drei Standorten entstanden Fast-Ethernet- und Ethernet-Hochleistungs-Switching-Knoten. Drei der Multiprotokoll-Switching-Hubs sind nun redundant per Fast-Ethernet full-duplex miteinander verbunden (200 Mbit/s je Verbindung). Bisher wurden noch keine Domänen gebildet. Bereits in der zweiten Projektphase waren alle Backbone-Knoten redundant ausgelegt.

Im Zuge der dritten Projektphase ersetzt das Klinikum die Fast-Ethernet-Verbindung, die jedoch als Backup bestehen bleibt, durch einen ATM-Backbone. Die Hubs werden per ATM-Uplink (jeweils 155 Mbit/s) mit dem neuen ATM-Backbone verbunden, das dann aus zwei ATM-Switches besteht. Gleichzeitig mit der Einführung des ATM-Backbone wird das Netz- und System-Management von Windows auf Unix umgestellt. Für die Zukunft denkt man auch an die Integration von Audio- und Video-Anwendungen "in einer Qualität, die den Klinikanforderungen entspricht, also nicht H.320," so Gansert.

"Künftig soll jedes Gebäude voll vernetzt werden", plant der DV-Chef. Derzeit sind es bereits zirka siebzig Prozent der Gebäude-DV. Das Schwesternwohnheim wird als Ausweichrechenzentrum ausgebaut. Auf Anwendungsseite läuft das Wirtschaftssystem R/3 bereits seit 1. Januar 1996 produktiv unter dem Betriebssystem "Sun Solaris" und einer Informix-Datenbank. Groupwise bleibt als Kommunikationssystem erhalten. 1998 werden die Client-PCs wahrscheinlich komplett auf NT Workstation umkonfiguriert, wobei Netware als Netz-Betriebssystem für die File- und Print-Server bestehen bleibt. "Hochleistungs-Multimedia- Server-Systeme wollen wir dann direkt per ATM einbinden, um auch in Zukunft den besten IT-Service für das Klinikum und letztlich die Patienten bieten zu können", verspricht Gansert.

Angeklickt

Die Umwandlung des Klinikums Ludwigshafen in eine gemeinnützige GmbH machte auch ein leistungsfähiges Netz als Grundlage für die Datenverarbeitung notwendig. Besaß das Krankenhaus bis 1995 überwiegend Ethernet-Insellösungen, so hatte es anschließend die Chance, eine von Grund auf neue Lösung zu schaffen. Weil FDDI nicht flexibel und skalierbar genug war, fiel die Wahl auf Fast Ethernet beziehungsweise ATM als Backbone-Technologie. Als größtes Anwendungspaket läuft SAP R/3 auf vier Sun-Servern. Eine sternförmige Ethernet-Struktur versorgt vom Rechenzentrum aus die umliegenden Häuser. In der zweiten Phase des Projekts wurden drei Standorte full-duplex über Fast Ethernet verbunden. Mit der Einführung eines ATM-Backbones erreicht das Projekt einen vorläufigen Abschluß.

* Andreas Gillhuber ist freier Journalist in München.