Outsourcing/Stadtwerke Rottweil: Nicht das Outsourcing, aber R 3 war Neuland

Kleinerer Energieversorger kommt ohne SAP-Standardsoftware nicht mehr aus

26.03.1999
Taugt R/3 für den Mittelstand? Jürgen Hugger* beschreibt ein gelungenes R/3-Outsourcing-Projekt bei den Stadtwerken Rottweil, die eine aufgrund einer Gesetzesänderung notwendig gewordene Reorganisiation ihrer Geschäftsabläufe zum Anlaß nehmen, tabula rasa bei ihrer DV zu machen. Rechnungswesen und Verbrauchsabrechnung laufen nun auf dem R/3-System eines externen Dienstleisters.

Daß R/3 eine brauchbare Standardsoftware nur für größere Firmen ist, widerlegen zumindest die Stadtwerke der schwäbischen Kreisstadt Rottweil. Mit etwa 180 Mitarbeitern gehören die kommunalen Energieversorger zu den mittelständischen Vertretern ihrer Zunft und somit nicht unbedingt zur Zielgruppe komplexer Unternehmenslösungen. Klein ist nicht nur der Betrieb - klein ist auch das Outsourcing-Objekt, die DV-Abteilung der Stadtwerke. Doch den Rottweilern war nach entsprechenden Überlegungen klar, daß sie auch in ihrer "Schuh- größe" von einer Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Software profitieren können - wenn sie diese im Rahmen eines Outsourcing-Projektes "einsetzen".

Die langjährige gute Erfahrung mit dem Kommunalen Rechenzentrum Alb-Schwarzwald in Reutlingen sprach dafür, diesen Partner auch für das geplante Auslagerungs-Vorhaben zu gewinnen. Die Verbrauchsabrechnung lief ohnehin schon seit mehr als fünfzehn Jahren über das Rechenzentrum. Eine in den siebziger Jahren eigens von den Stadtwerken Freiburg, Krefeld und Mainz entwickelte Software ("FKM") für die Verbrauchsabrechnung von Energieversorgern war auf Mainframes in Reutlingen installiert und von den Rottweilern genutzt worden. Das gesamte Rechnungswesen einschließlich Materialwirtschaft, Finanz- und Anlagenbuchhaltung wurde indes bei den Rottweiler Stadtwerken hausintern auf Kienzle-Rechnern (M-TOS-Hardware) und mit Hilfe der Anwendungsprogramme "Carat 2000" abgewickelt.

Warum wurde nun aber plötzlich R/3 zu einem Thema? Die Antwort ist einfach. Aufgrund der 1997 vom Gesetzgeber vorgenommenen Änderungen des Energiewirtschaftsrechts war eine Reorganisation besagter Geschäftsprozesse unumgänglich. Diesen Neuanfang wollten die Stadtwerke sinnvollerweise dazu nutzen, um ihre Altsysteme durch neue zu ersetzen. Hierbei sollte vor allem eine Lösung gefunden werden, die es ermöglicht, das Rechnungswesen mit der Verbrauchsabrechnung zu koppeln. Doch für Energieversorger gibt es bekanntlich keine "Software-Wühltische". Die Auswahl an branchenspezifischen Lösungen, insbesondere mit Modulen zur Verbrauchsabrechnung, ist recht spärlich. Die Anbieter sind meist selbst mittelständische oder noch kleinere Softwarehäuser - Geschäftsbeziehungen mit ihnen unterliegen oft erheblichen Risiken, zum Beispiel was Investitionsschutz, Support oder Service betrifft.

Was lag also näher, als auf den großen Dienstleister SAP und deren seinerzeit neues Kundeninformationssystem-Modul "IS-U/ CCS" zu setzen? Die Rottweiler Stadtwerke entschieden sich zunächst, das gesamte Rechnungswesen auf R/3 umzustellen und später das Verbrauchsabrechnungstool der Walldorfer damit zu verbinden, mit dem sich für Energieversorger typische Vorgänge, beispielsweise die Zählerverwaltung, abbilden lassen.

Als Implementierungspartner für dieses Migrationsprojekt kam die R. Stahl AG zum Zug. Zur Optimierung der Geschäftsprozesse erstellte die Unternehmensberatung Baumgartner & Partner ein Pflichtenheft, das die Erfordernisse aller Abteilungen an eine neue Software genau definierte. Mit dem Projekt konnte dann Mitte 1997 begonnen werden. Die R. Stahl AG setzte dabei vor allem auf Teamarbeit. Klaus Schettler, Senior-Berater des Stuttgarter Dienstleistungs- und Industrieunternehmens (siehe Kasten "R. Stahl AG") betont: "Nur die enge Zusammenarbeit von Kunden und Beratern garantiert den Erfolg einer Neueinführung von R/3."

Deshalb wurden Projektteams mit Vertretern der drei beteiligten Partner gebildet. R. Stahl war für das Konzept und das anschließende Customizing zuständig, das Reutlinger Rechenzentrum bereitete die Umsetzung der Lösungen sowie die technische Abwicklung für das Outsourcing vor, und die Stadtwerke brachten als Auftraggeber ihr Know-how bezüglich der abzubildenden Geschäftsprozesse ein. Die so zusammengesetzten Teams nahmen sich, aufgegliedert in vier Arbeitsgruppen, die neu zu ordnenden Geschäftsabläufe vor: Finanz- und An- lagenbuchhaltung sowie Con- trolling, Materialwirtschaft, Vertrieb und Fakturierung sowie Auftragsabwicklung und Service-Management. In einer weiteren dreistufigen Phase erfolgte die eigentliche Realisierung: Ist-Konzept, Soll-Konzept und Custo- mizing mit anschließender Testphase.

Die Ist-Analyse diente dazu, das System kennenzulernen und herauszufinden, welche Geschäftsprozesse auf welche Weise abgewickelt werden. Im anschließend gemeinsam erstellten Soll-Konzept berücksichtigten die Berater von R. Stahl die Änderungs- und Verbesserungswünsche der Stadtwerke-Mitarbeiter. So sollte R/3 zum Beispiel zusätzlich die Erstellung eines Wirtschaftsplanes sowie die Abbildung eines auftragsbezogenen Deckungsbeitrags ermöglichen. Nach Rücksprache mit einem eigens hierfür herangezogenen Testmandanten wurde im Wege eines Customizing das Soll-Konzept in der Praxis realisiert.

Die abschließende Testphase beendete die Konfiguration des neuen Systems. Das R/3-Team der R. Stahl AG unterzog dabei die bisherigen Probeläufe in einer Problemdiskussion mit den betroffenen Anwendern der Stadtwerke einer kritischen Prüfung. Nach dieser letzten Hürde konnte das Testsystem in ein produktives System kopiert werden, und es wurde unter Windows NT auf "Compaq Pro-Line"-Maschinen im Rechenzentrum Reutlingen installiert. Die Berechtigungen für die Durchführung einzelner Aktionen vergibt das Rechenzentrum Reutlingen, in dessen Hand nun das komplette Outsourcing liegt. Die Berater haben sich zunächst verabschiedet, stehen aber für spätere Änderungen im System zur Verfügung. Bereits im Januar 1998 lief das System produktiv, so daß von der Ist-Analyse bis zur Aufnahme des produktiven Betriebs lediglich etwas mehr als ein halbes Jahr vergangen ist.

Das Kommunale Rechenzentrum Reutlingen besitzt umfangreiche Erfahrungen im Einsatz von SAP-Software bei Krankenhäusern. Mit dem Outsourcing von R/3 bei den Stadtwerken Rottweil allerdings betraten die Reutlinger DV-Spezialisten Neuland. Deshalb waren auch hier die Berater von R. Stahl mit Rat und Tat zur Stelle. Durch einen entsprechenden Wissenstransfer konnten die Rechenzentrums-Mitarbeiter dann beispielsweise die Schulungen, getrennt nach Abteilungen, in den Stadtwerken vor Ort durchführen. Bereits während der Einführung des neuen Systems waren dadurch die Mitarbeiter, die später das System bei den Stadtwerken benutzen sollen, schrittweise an die Besonderheiten des neuen Programms herangeführt worden.

Insgesamt ziehen die Mitarbeiter der Stadtwerke Rottweil bis dato eine positive Bilanz. "Der Informationsfluß konnte mit dem neuen System deutlich erhöht und effizienter gestaltet werden", stellt der kaufmännische Werkleiter, Heinz Wettstein, fest. Für jeden Kundenauftrag läßt sich nun eine Gegenüberstellung von Kosten und Erlösen vornehmen, so daß jederzeit eine aktuelle Bilanz abgefragt werden kann. Der Lagerbestand konnte dank der Materialreservierungen, die das neue ERP-System ermöglicht, deutlich gesenkt werden. In der Materialwirtschaft läßt sich eine Rechnung durch Rechnungsprüfung bis zur Bestellung zurückverfolgen. "Alle genannten Beispiele konnten wir bisher nur mit erheblichem Zeitaufwand erledigen. Nun lassen sie sich mit geringem Aufwand erstellen", so Wettstein.

Mit der Einführung von R/3 zählen die Stadtwerke Rottweil zu den ersten SAP-Anwendern unter den kleineren mittelständischen Energieversorgern. Als Pilotanwender haben sie einen zunächst auf drei Jahre befristeten Vertrag mit einer monatlichen Gebühr an das Rechenzentrum Reutlingen abgeschlossen. Aufgrund der guten Erfahrung mit R/3 bei den Anwendungen im Rechnungswesen gehen jedoch beide Parteien davon aus, daß sie ihre Zusammenarbeit über diesen Zeitraum hinaus fortsetzen werden.

R. STAHL AG

Der Unternehmensbereich Informationssysteme und Dienstleistungen der R. Stahl AG bietet Beratung, Programmierung und Dienstleistung für die Module Rechnungswesen und Logistik der SAP-Standardsoftware "R/2" und "R/3" an. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Beratung und Outsourcing-Lösungen für "R/3" sowie das Gehaltsabrechnungssystem "Paisy". Das börsennotierte Unternehmen mit Sitz in Stuttgart verfügt zudem über drei weitere Geschäftsbereiche: Fördertechnik, Schaltgeräte und Blasformtechnik. Mit Beteiligungsgesellschaften ist die Firmengruppe in über 20 Ländern vertreten und beschäftigt zur Zeit rund 2100 Mitarbeiter.

Der Anwender

Die Stadtwerke Rottweil sind ein klassisches mittelständisches Energieversorgungsunternehmen mit den Sparten Strom, Gas, Wärme, Verkehr, Wasser, Abwasser und Bäder. Die 180 Mitarbeiter erwirtschafteten 1998 einen Umsatz von rund 80 Millionen Mark.

Angeklickt

Die Stadtwerke Rottweil haben sich für die komplexe Standardsoftware R/3 in Kombination mit entsprechendem Outsourcing entschieden. Das SAP-Modul "IS-U/CCS" bietet dabei das für die Schwaben unabdingbare Feature der Zählerverwaltung. Bislang ist dieser Pilotanwender zufrieden; ob R/3 mit Projekten wie diesem den Durchbruch bei mittelständischen Energieversorgern schafft, wird indes erst die Zukunft zeigen.

*Jürgen Hugger ist PR-Redakteur bei der 1&1 Marketing GmbH in Montabaur.