Der ERP-Mittelstand sucht seine Nische

Kleinere Anbieter unter Druck

01.03.2004
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Agilisys schluckt Infor, Epicor verleibt sich Scala ein - die jüngsten Übernahmen sind ein neuerlicher Beleg dafür, dass die Konsolidierung im ERP-Markt in vollem Gange ist. Wer sich nicht kaufen lässt, zieht sich in die Nische zurück.

NACH DEN PLEITEN von Brain und Bäurer Ende vergangenen Jahres schien vorerst Ruhe in die deutsche Enterprise-Resource-Planning- (ERP-)Szene eingekehrt. Das änderte sich schlagartig im Sommer 2003. Anfang Juni verkündete der britische Mischkonzern Invensys, seine niederländische Softwaretochter Baan für rund 135 Millionen Dollar an die Investment- Gesellschaften Cerberus Capital Management und General Atlantic Partners zu veräußern. Den Käufern gehörte bereits die kalifornische SSA Global Technologies. Den Plänen der neuen Eigentümer zufolge sollen beide Softwareanbieter miteinander verschmelzen.

Wenige Monate später folgte der zweite Paukenschlag im Konzert der mittelständischen ERPAnbieter: Mitte November gab das US-amerikanische Softwarehaus Agilisys, das vor knapp einem Jahr bereits die insolvente Brain AG geschluckt hatte, bekannt, nun auch die saarländische Infor Business Solutions AG für etwa 42,5 Millionen Euro kaufen zu wollen. Auch hinter Agilisys stecken potente Geldgeber. Die Mehrheitseigner Golden Gate Capitol, Parallax Capital und Summit Partners verfügen über einen privaten Investmentfonds von rund 750 Millionen Dollar.

Die wichtige Rolle der Kapitalgeber macht das finanzielle Dilemma deutlich, in dem viele ERP-Anbieter derzeit stecken. Nach den hohen Investitionen im Zuge der Jahr-2000-Umstellung drehten viele Anwender den Geldhahn für neue Software erst einmal wieder zu. Das brachte in der Folgezeit die Bilanzen der Softwarehäuser gehörig ins Wanken und führte in letzter Konsequenz zu den beschriebenen Konsolidierungseffekten. So verzeichnete Baan in seinem letzten Fiskaljahr unter dem Dach von Invensys einen Umsatzrückgang von 22,3 Prozent auf 304 Millionen Euro. Unter dem Strich blieb ein Minus von 40,7 Millionen Euro.

Ziele verfehlt

Joachim Hertel, Noch-CEO von Infor, musste zuletzt bei der Bekanntgabe der Zahlen für die ersten neun Monate des laufenden Jahres einräumen, hinter den selbst gesteckten Zielen herzuhinken. Angesichts eines elfprozentigen Umsatzrückgangs auf 47,6 Millionen Euro und eines negativen Ergebnisses vor Steuern in Höhe von minus 3,3 Millionen Euro sei nicht davon auszugehen, die Umsatzprognose für 2003 in Höhe des Vorjahres sowie ein positives Jahresergebnis vor Steuern erreichen zu können.

„Dieses Tal der Tränen haben wir schon hinter uns“, blickt Markus Wild, Geschäftsführer der Bäurer GmbH, zurück. Mit dem Einstieg der Adastra Venture Consult GmbH nach der Insolvenz im Oktober vergangenen Jahres stehe das Unternehmen wieder auf einer soliden Basis. Um diese auch künftig zu sichern, wollen sich die Bäurer-Verantwortlichen vorerst auf ihre 1200 Bestandskunden konzentrieren. „Diese brauchen Lösungen für ihre Probleme und nicht irgendwelche Hirngespinste“, beschreibt Wild den neuen Fokus. Man werde künftig keinen Hypes mehr hinterherlaufen, sondern die bestehenden Produkte konsequent weiterentwickeln.

Auch bei der ehemaligen Brain lautete das Motto der vergangenen Monate: zurück zu den Wurzeln. „Wir haben uns ganz auf unsere Kernkompetenzen im Automotiveund Logistikbereich zurückgezogen“, unterstreicht Bernd Hau, Geschäftsführer der Agilisys Automotive GmbH. Das Unternehmen habe seine Lektion aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Eine übertriebene Diversifikation der Produkte und zu aggressive Expansionspläne werde es künftig nicht mehr geben. Wachstumspotenzial sieht Hau vor allem im osteuropäischen und asiatischen Markt. Hier könne man auf eine aus der Historie gewachsene stabile Infrastruktur aufbauen. „Man muss allerdings moderat planen“, warnt er.

Auch von seinem Kollegen Wolfgang Kobek, Geschäftsführer der ebenfalls zu Agilisys gehörenden Brain Industries GmbH, sind eher leise Töne zu vernehmen. „Heute geht es allein darum, das zu machen, was der Markt und die Kunden verlangen.“ Dabei baut Kobek auf eine strikt vertikal ausgerichtete Lösung, die laut seinen Worten 75 bis 80 Prozent der von den Anwendern geforderten Funktionen abdeckt. Es könne nicht das Ziel eines mittelständischen ERP-Anbieters sein, eine horizontale Lösung anzubieten: „Das wollen unsere Kunden auch nicht.“

Mittlerweile sei auch das während der Insolvenzphase verloren gegangene Vertrauen der Kunden zurückgekehrt, berichtet Kobek. Allerdings habe es etliche Monate beharrlicher Überzeugungsarbeit gekostet. Eine offene Kommunikation und viele Gespräche hätten die Anwender letzendlich dazu bewogen, Brain die Treue zu halten. Man habe keine Kunden verloren, behauptet der Manager. „Jedoch muss sich Brain jeden Tag neu beweisen.“