Newcomer in Deutschland: Netlife AG

Kleiner E-Business-Spezialist versucht sich als Global Player

12.11.1999
HAMBURG - Die Netlife AG entwickelt und vertreibt Lösungen für den Internet-Handel und das elektronische Zahlungsverfahren SET. Damit hat das Unternehmen alles auf den Durchbruch des Internet als kommerziell genutztes Massenmedium gesetzt. Das ist im Zweifel auch das Markenzeichen anderer Internet-Firmen am Neuen Markt. Der Unterschied: von Anfang an richtete sich die Strategie der Hamburger stark international aus.

Seit 1995 glaubt der gelernte Mathematiker Claus Müller, daß "das Internet die gesamte Geschäftswelt nachhaltig verändern wird." Mit dieser Auffassung ist er bekanntlich nicht alleine - trotzdem scheint das Schicksal seiner Company im Moment noch etwas mehr als bei vergleichbaren Internet-Firmen am seidenen Faden zu hängen.

1996 gab Müller seinen Beraterjob bei Roland Berger auf und gründete unter Zuhilfenahme von Venture Capital die Netlife AG. Da seiner Meinung nach das neueste Wissen an den Hochschulen zu finden ist, holte sich der 45jährige seine ersten Mitarbeiter direkt von der Universität. Das auf diese Weise zusammengewürfelte Netlife-Team entwickelte ein für den Online-Handel von Banken konzipiertes System, die erste Version des "Netlife E-Banking-Server". Zu den ersten Kunden gehörte die Postbank, die seit nunmehr zwei Jahren ihr Direktgeschäft mit Hilfe dieser Technik abwickelt.

Im Gegensatz zu vielen Jungunternehmen versuchte Netlife nicht nur hierzulande Fuß zu fassen, sondern verfolgte von Anfang an eine stark international ausgerichtete Strategie. Obwohl das Geschäft noch mit Verlusten belastet war, eröffneten die Hanseaten 1998 ihre erste ausländische Niederlassung in Singapur. Mittlerweile hat sich die Zahl der Filialen auf 14 erhöht. In Europa, Nah- und Fernost, in den USA und Südafrika sorgen regionale Vertriebsbüros oder eigenständige Tochtergesellschaften für Präsenz vor Ort. Außerdem wird der Einstieg in fremde Märkte von strategischen Partnerschaften begleitet. So konnte Netlife vor einigen Wochen einen Kooperationsvertrag mit dem indischen IT-Dienstleister Network Solution (Netsol) präsentieren. Das Unternehmen wird Vertrieb, Installation und Support sämtlicher Netlife-Produkte in Indien übernehmen. Auch die Zusammenarbeit mit NCS, einem der führenden Integratoren und E-Business-Spezialisten Singapurs, kann zu einem festeren Stand in Asien beitragen.

Den "E-Banking Server" ergänzt mittlerweile ein flexibles "Multi Business System" (MBS), auf dem sämtliche E-Commerce-Lösungen basieren. Damit hat Netlife eigenen Angaben zufolge eine flexible E-Business-Plattform entwickelt, die als Schnittstelle zwischen Firmenanwendungen und den neuen Medien fungiert. Neben dem Bankensektor geht das Unternehmen damit vor allem im Versicherungs- und Gesundheitswesen auf Kundenfang.

Gemeinsam mit dem britischen Handheld-Anbieter Psion arbeiten die Hamburger außerdem an der nächsten Generation des elektronischen Handels: dem Mobile Commerce. Bereits in diesem Jahr sollen erste Produkte aus diesem Bereich, die beispielsweise den Aktienhandel per Handy ermöglichen, auf den Markt kommen.

Weiteres Standbein der Norddeutschen ist eine Lösung, die unter anderem das elektronische Zahlungsverfahren Secure Electronic Transaction (SET) unterstützt. Zwar wird das Verfahren immer wieder als globaler Standard gefeiert, konnte sich bisher jedoch noch nicht entscheidend am Markt durchsetzen. Denn die Zertifizierung aller Beteiligten und eine mehrschichtige Datenverschlüsselung verleihen SET eine komplizierte Struktur, was einen Großteil der potentiellen Anwender noch abschreckt. Hinzu kommt, daß sich das Vertrauen in Kreditkartenzahlung per Internet hierzulande nur langsam verbreitet. Für Netlife-Chef Müller ist dies jedoch nur eine Frage der Zeit: "Vor allem in Europa, aber auch in den Zukunftsmärkten Nah- und Fernost besteht ein sehr hohes Sicherheitsbedürfnis", erklärt er.

Wie wirkte sich die Strategie der Hamburger bisher auf die Geschäftszahlen aus? Nicht zuletzt wegen der hohen Aufwendungen für ein internationales Firmennetz ging Netlife schon drei Jahre nach Gründung im Juni dieses Jahres an den Neuen Markt. Immerhin konnte das Unternehmen zuletzt halbwegs volle Auftragsbücher vorweisen. Verglichen mit dem Vorjahr, gelang es dem E-Business-Spezialisten, sein Auftragsvolumen von 3,5 Millionen auf über 20 Millionen Mark zu erhöhen. Dies scheint jedoch an der Börse bis dato niemanden so recht zu beeindrucken. Im Juni zu 25,5 Euro emittiert, fällt die Netlife-Aktie mit Ausnahme von Zwischenhochs kontinuierlich. Zuletzt kostete das Papier weniger als neun Euro.

Solch ein Kurssturz mag sicher mit der allgemeinen Müdigkeit für IT-Werte am Neuen Markt zu erklären sein, doch läßt sich auch nicht leugnen, daß das Geschäftsmodell Internet noch nicht überall die hohen Erwartungen erfüllt. Hinzu kommt: netlife bewegt sich in einem Markt, in dem sich mit Brokat und Datadesign bereits prominentere Neue-Markt-Firmen tummeln. Ganz zu schweigen von Branchengrößen wie IBM und Hewlett-Packard (Verifone).

Die Skepsis der Investoren scheint demnach berechtigt, und Netlife selber hat dem bisher nichts entgegenzuhalten. Im Gegenteil. Wurde zum Börsengang noch ein Umsatz von 26 Millionen Mark prognostiziert - 1998 lag er bei 3,5 Millionen Mark -, schraubten die Hanseaten bereits Ende August ihre Zielvorgaben kräftig herunter. Wegen der nur zögerlich anlaufenden Auslandsgeschäfte - immerhin die oberste Geschäftsmaxime der Hamburger - reduzierten sich die Erwartungen nun auf Einnahmen von 16 Millionen Mark, und auch beim Ergebnis war die Meßlatte zu hoch gelegt: Der angepeilte Verlust für das gesamte Geschäftsjahr von sechs Millionen Mark wurde bereits in der ersten Jahreshälfte durch einen Fehlbetrag von knapp neun Millionen Mark deutlich übertroffen. Müller räumt ein, daß hier vor allem die starken Investitionen in neues Personal zu Buche schlugen. Das Unternehmen, das im vergangenen Jahr noch gut 60 Mitarbeiter zählte, will bis Ende dieses Jahres rund 230 Leute weltweit beschäftigen. "Die geplante Entwicklung", so der Netlife-Gründer, "wird sich allenfalls um etwa sechs bis neuen Monate verzögern." Der Durchbruch zur Rentabilität wird nun spätestens im Jahr 2001 erwartet.