Organisatorische Voraussetzungen für den Einsatz von Arbeitsplatzcomputern:

Kleine Rechenzentren auf dem Schreibtisch

09.09.1983

Das Reizthema Mikros und Arbeitsplatzcomputer belastet die Bemühungen, die Datenverarbeitung in qualitativer Hinsicht voranzutreiben. Grund: Viele DV-Chefs fühlen sich angegriffen, reagieren emotional mit Ablehnung und tragen so nicht dazu bei, vorhandene Akzeptanzbarrieren abzubauen. Götz Mosig, DV-Berater in Dossenheim bei Heidelberg, erläutert die Problematik aus der Sicht eines Softwarehauses.

Arbeitsplatzcomputer (AC) hat es schon immer gegeben, wenngleich ein ordentlicher EDV-Boss diese Dinger erst seit der Ankündigung des IBM-PC registriert. Jedenfalls erinnere ich mich, daß ich mit meinem Bruder vor rund zehn Jahren die CeBlT-Halle in Hannover tagelang durchstreifte, um ein derartiges Gerät für die Projektierung eines technischen Großprojektes auszuwählen. Damals wußten weder Anwender noch Hersteller genau, was man mit den Zwergen so anzufangen habe. Und so erstellten wir erst beim Gang über die Messestände eine Checkliste der Hardware- und Softwarevoraussetzungen, um uns dann am letzten Tag, gut gewappnet, mutig an den IBM-Stand zu wagen. Die Standbesatzung flippte damals schier aus, als sie sich unseren Fragen konfrontiert sah. Und da wir als Berater und Anwender zwei renommierte Großfirmen vertraten, herrschte Ratlosikeit und Hektik. Es ging um die Projektion eines Milliarden-Projektes, und ich insistierte, daß die leitenden Doktor-lngenieure und Projektleiter statt der Rechenschieber und Planungstafeln Arbeitsplatzcomputer in der Zentrale und vor Ort zur Verfügung haben sollten.

Die angebahnten Verhandlungen und Demonstrationen wurden vom EDV-Gewaltigen abrupt unterbrochen, und mit Stolz formulierten wir beide später beim Bier:... "sehe ich mich veranlaßt, wegen der Verweigerung adäquater Hilfsmittel (Arbeitsplatzcomputer) für dieses Großprojekt seitens der EDV-Abteilung Ihre Unternehmen verlassen zu müssen, um mich anderweitig dem Stand der Technik entsprechend entfalten zu können."

Sprachlose Lochkartenfans

Und als wir vor fünf Jahren die dezentralen Vertriebsbüros eines weltweiten Konzerns mit Minicomputern ausrüsten wollten, gab es tagelange Diskussionen, ob ein oder zwei Operatoren erforderlich seien. Wir schlugen statt dessen den menügesteuerten, operatorlosen Rund-um-die-Uhr-Betrieb vor, was bei den Lochkartenfans Sprachlosikeit erzeugte.

Und als wir vor drei Jahren Mikros auf CP/M-Basis zur Fertigungsplanung und -steuerung in einem Chemiekonzern einsetzten, wurde dies hinter der vorgehaltenen Hand als Übergangslösung bezeichnet, jedenfalls von denen, die es nicht besser wußten.

Inzwischen haben wir Berater die erste oder gar zweite Generation der Mikros mit Verlust abgeschrieben, ausgebucht und unseren Kindern für die Schularbeiten überlassen. Eine neue Generation von kompletten Systemfamilien steht ins Haus, die unsere Produktivität und Kommunikationsfähigkeit verzehn- oder verhundertfachen kann.

Statistisch gesehen stehen 60 bis 80 Prozent der Mikros ungenutzt oder schlecht ausgelastet in den Betrieben und Büros der Erstanwender rum und untergraben das Image dieser ach so seriösen Branche.

Arbeitsplatzcomputer sind kleine Rechenzentren auf dem Schreibtisch, nicht mehr und nicht weniger. Und keine Phase und keine Funktion der klassischen EDV kann völlig wegdiskutiert werden. Alle Funktionen tauchen irgendwie beim Sachbearbeiter wieder auf, wenngleich auch unglaublich abgesichert, in Menüs eingebettet, mit Help-Funktionen kommentiert und narrensicher abgeschottet. Doch dieser Komfort ist teuer, und wo gegeizt wird, muß Lehrgeld gezahlt werden.

Die organisatorischen Voraussetzungen für den Einsatz von Arbeitsplatzcomputern erfordern ein EDV-Konzept, das über Jahre Bestand hat. Der datentechnische Hintergrund ist folgender: Nur wenige Hersteller bieten ein durchgängiges Betriebssystem in der Hierarchie: Host - Frontend - Arbeitsplatzcomputer. Der frustrierte EDV-Chef hat ja gar nichts gegen die Kollegen in den Fachabteilungen, aber es mangelt ihm an Ressourcen in Programmierung und Systemprogrammierung, um eine weitere Sprache und ein drittes Betriebssystem zu beherrschen.

Arbeitsplatzcomputer muß sich dem Host anpassen

Fazit: Der AC muß sich mit seinem kompletten Software-Environment der Host-Umgbung anpassen oder der Host wird im Sonderfall zugunsten einer durchgängigen Systemfamilie geopfert.

Der flächendeckende Einsatz von IBM-PCs in einer IBM-Umgebung ist in vielen EDV-Organisationen zum Strohfeuer verdammt, und zwar aus verschiedensten Gründen: Die Bürokommunikation wird verhindert; Mickymaus-Software kommt zum Einsatz; Programmierkapazitäten Host-AC-Schnittstellen und Langfristplanungen fehlen; Ressourcen werden fehlgeleitet.

Erkenntnis: Es lohnt sich, auf dem Mehrplatz-AC mit Datenbank und Anwendungskomfort wie bei der Groß-EDV und vernünftigem Netzwerkmanagement für das Fernoperating zu warten.

Der AC-Einsatz erfordert einen Umdenkungsprozeß. Die heilige Expertenwelt wird total auf den Kopf gestellt. Anwender werden die neuen Entscheider. Buchhalter Meier zieht an Systemanalytiker Müller vorbei. Bei der Textverarbeitung reden plötzlich die Schreibdamen mit. Grafikausgabe wird plötzlich zum Muß. Die Fachabteilung geht auf Messen und lernt programmieren. Die OEMs verdrängen den VB mit ihrer Software. Finanziert wird über das Schreibmaschinenbudget, ohne den arroganten EDV-Boss zu konsultieren. Probeinstallationen finden statt, ohne EDV und Betriebsrat zu fragen.

Wer als Systemanalytiker in einer EDV-Org.-Abteilung ehrlich ist, muß zugeben, daß er den Tagesablauf eines Sachbearbeiters nie richtig analysiert, geschweige denn verstanden hat. Da wird telefoniert, Notizen werden gemacht, es wird kopiert, archiviert, kommuniziert. Und all dies wurde jahrelang von der EDV ignoriert!

Beim EDV-Einsatz am Arbeitsplatz stehen wir am Anfang. Ich weiß dies recht genau, da ich jahrelang auch als Führungskraft meinen Bildschirm acht bis zwölf Stunden täglich genutzt habe und gerne mehr damit angefangen hätte. Ein Pilotprojekt innerhalb der EDV-Abteilung zur Wiedererlangung der Fachkompetenz in der Organisation steht fast allen Kollegen gut an. Man kann nur etwas in den Tagesstreß der Kollegen einfügen, was man selber beherrscht und abschätzen kann. Schließlich soll der Einkauf oder Verkauf ja produktiv sein und nicht ein Versuchskaninchen für verschlafene Analytiker.

Mit 100 000 Mark kommt man schon relativ weit, und da die Zeit drängt, sind eigene Praxiserfahrungen mehr wert als die Zeitverschwendung auf Kongressen und Messen. Ein Besuch beim Referenzkunden des Herstellers ist unabdingbar, und danach sollte in kleinen, überschaubaren Schritten begonnen werden.

Die Methodik für die Einführung von Arbeitsplatzcomputern ist noch in unseren Köpfen, wo auch die guten und schlechten Erfahrungen schlummern. Es ist daraus zum Glück noch kein überdimensionales Handbuch geworden. Jede Abteilung und Unternehmung ist unterschiedlich und erfordert erneut Pioniergeist.

Statt organisatorische Hemmnisse aufzubauen, sehe ich eher den Ansatz in einem gezielten Motivationstraining, die neue Herausforderung als Team von Anwendern, Hardware- und Softwarelieferanten, EDV-Mitarbeitern und Beratern anzunehmen und zu meistern. Dann kommt auch jener spielerische Eifer auf, den ich an meinen Kindern bei der Erledigung ihrer Schularbeiten mit meinem ausgedienten Mikro immer so bewundere. Für die junge Generation ist der Computer am Arbeitsplatz ein selbstverständliches Hilfsmittel geworden, wie es das Telefon heute ist und Bildschirmtext morgen sein wird.

Ohne Motivationstraining kann der AC-Einsatz ein großer Flop werden, denn die Fachabteilung begibt sich in die heiligen Gefilde von hoch bezahlten Spezialisten, in denen diese längst nicht mehr zu Hause sind.

Diesen Blattschuß sollten wir von den Kollegen abwenden, denn schließlich benötigen wir sie in den kommenden Jahren für die Steuerung komplexer Netzwerke und die Paketauswahl am Mikro-Softwaremarkt.